Sonntag, Januar 19

Eine bedrohliche Begegnung in der Hotellobby, Verfolgungsjagden und ein Brief mit intimen Details: Neue Dokumente zeigen, wie nach einem Eklat in Hongkong die Sicherheitsmassnahmen für den früheren CS-Chef massiv ausgeweitet wurden.

Es ist Freitag, der 15. Oktober 2016, als Tidjane Thiam in Hongkong spätnachts einen Fehler begeht. Eigentlich hat der Konzernchef der Credit Suisse (CS) von seinen Sicherheitsleuten klare Anweisungen für die Geschäftsreise erhalten: Wann immer er sich aus dem luxuriösen Hotel Four Seasons bewege, müsse er Bescheid geben. Auf keinen Fall dürfe er das Hotel allein verlassen.

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Doch irgendwann hält es Thiam nicht mehr in seinem Zimmer. Er macht sich auf den Weg ins angrenzende Einkaufscenter. Dort will er sich eine Zigarre kaufen, um den Tag ausklingen zu lassen – eine seiner Angewohnheiten. Vielleicht fühlt sich Thiam sicher, weil sein Hotel eine direkte Rolltreppenverbindung zu den Luxusgeschäften hat und er nicht vor die Hoteltüre treten muss.

Beim Gang durch die Lobby nahe der Reception passiert es. Eine Asiatin stellt sich direkt vor Thiam auf und versucht, ihm einen braunen Gegenstand in die Hand zu drücken. Thiam wirft mit einem Ausruf die Hände in die Luft, der Gegenstand fällt zu Boden, und er eilt weiter zu den Rolltreppen.

Die Polizei wird eingeschaltet

Der Gegenstand wird sofort vom Sicherheitsdienst des Hotels konfisziert, dieser informiert zudem die Polizei. Diese redet mit der Frau und dem Mann, der sie begleitet hat. Es wird klar, dass es sich beim Gegenstand um einen an Thiam adressierten Brief handelt. Darauf können die beiden das Hotel verlassen.

Am Morgen werden die Sicherheitsleute von Thiam informiert, bis am späteren Nachmittag weiss die CS, dass die beiden für eine lokale Hongkonger Detektivagentur arbeiten. Der Brief, den sie zu übergeben versuchten, stammt von einer lokalen Anwaltskanzlei. Auftraggeber des Schreibens ist der frisch geschiedene Ex-Mann von Marie-Soazic Geffroy, der damaligen Partnerin und heutigen Ehefrau von Thiam.

Die Vorfälle in jener Hongkonger Nacht liegen fast zehn Jahre zurück, aber sie wirken bis heute nach. Die Credit Suisse und ihre heutige Besitzerin, die UBS, sind kürzlich von Geffroys Ex-Gatten vor einem Gericht in den USA eingeklagt worden. Seine Anschuldigung: Die CS habe nach der versuchten Übergabe des Briefs zwischen 2016 und 2019 ein umfassendes Spionageprogramm gegen ihn aufgezogen – orchestriert von Thiam persönlich.

Die Vorfälle in Hongkong zeigen zudem auf, welch massive Sicherheitsmassnahmen in der Ära Thiam zur Normalität werden. Und intern umstrittene Kosten verursachen, die von der Bank bezahlt werden, obwohl sie zum Teil eindeutig Thiams Privatleben betreffen. Das zeigen Gespräche mit Insidern und Dutzende von Dokumenten, die der «NZZ am Sonntag» vorliegen.

Am Schluss wird die Schaffung des massiven Überwachungsapparats Thiam den Job kosten. Die Situation eskaliert im September 2019, als die unter dem Namen Spygate bekannten Beschattungen des Topmanagers Iqbal Khan und weiterer Mitarbeiter durch die CS bekanntwerden. Thiam betont zwar stets, nichts davon gewusst zu haben. Dennoch muss er im Februar 2020 gehen.

Beschattungen angeordnet

In jenem Herbst 2016 aber ist es unbestritten Thiam selbst, der gleich zwei Beschattungen anordnet. Die erste betrifft einen entlassenen Stabsmitarbeiter aus seiner Zeit als CEO beim britischen Versicherungskonzern Prudential. Der mit Sicherheitsfragen beauftragte Mitarbeiter galt laut Insidern bei Prudential als «der Mann für die heiklen Fälle» und stösst nun massive Drohungen gegen Thiam aus, auch nachdem Thiam am 1. Juli 2015 als CEO zu CS gewechselt hat. Die «NZZ am Sonntag» hat letzten September erstmals über diese Vorfälle berichtet.

In jenen Oktobertagen 2016 werden seine Drohungen immer massiver. Die CS-Sicherheitsleute und Thiam selbst sind nervös. Sie schliessen zuerst nicht aus, dass es sich beim Vorfall in der Lobby um eine Aktion des entlassenen Mitarbeiters handelt. Nach Sichtung des Briefes ist aber klar: Der Vorfall hat nichts mit Thiams Zeit bei der Prudential zu tun – sondern mit der neuen Frau an seiner Seite.

Der «NZZ am Sonntag» liegt eine Kopie des Briefes vor. Daraus wird ersichtlich, dass der frisch geschiedene Ex-Mann mit dem Schreiben versucht, intime Details über die Beziehung zwischen Thiam und seiner Partnerin herauszufinden. Zentraler Teil ist der Entwurf eines Geständnisses, in dem Thiam ein Fehlverhalten zugeben soll. Im vierseitigen Brief wird Thiam aufgefordert, das Geständnis zu unterschreiben und es an die Anwaltskanzlei des Ex-Mannes zurückzusenden.

Thiam fühlt sich bedroht

Ein Sprecher von Tidjane Thiam und seiner Partnerin sagt, Thiam habe das Geständnis nie unterschrieben. «Es war absurd», so der Sprecher.

Auf der anderen Seite bestreitet der Anwalt des Ex-Gatten von Geffroy, dass Thiam im Zusammenhang mit der Übergabe des Schreibens überwacht wurde. «In Übereinstimmung mit den üblichen Verfahren in Hongkong» habe eine Person aus dem Büro der Rechtsvertretung des Ex-Mannes Thiam einfach ein Schriftstück zugestellt, sagt der Anwalt. Auf die Frage, ob bei der Aktion mehr als eine Person oder spezialisiertes Personal involviert gewesen sei, gibt er keine Antwort.

Sicher ist, dass im Zentrum des Vorfalls im Hotel Four Seasons ein privater Streitfall von Thiams Partnerin steht. Und sich jetzt auch Thiam bedroht fühlt. Seine Entourage fährt sofort die Sicherheitsmassnahmen hoch. So werden zusätzlich acht Sicherheitsleute einer örtlichen Detektivagentur aufgeboten, alles frühere Polizisten aus Hongkong. Thiam und Geffroy werden nun rund um die Uhr beschützt. Bis zu drei Limousinen begleiten sie zum Einkaufen oder zu Abendessen in den von Thiam bevorzugten chinesischen Restaurants. Der knapp dreitägige Einsatz der externen Spezialisten kostet fast 45 000 US-Dollar.

Auch veranlasst die Bank für Thiams Villa in Herrliberg bei Zürich Sicherheitsmassnahmen der höchsten Schutzstufe 3. Das Haus wird fortan rund um die Uhr von bewaffneten Sicherheitskräften bewacht, für rund 59 000 Franken im Monat, wie die Dokumente zeigen.

In Hongkong kommt es laut Insidern zu weiteren Kontaktversuchen der Detektive. Sie folgen Thiam und seiner Freundin mit Auto und Motorrad, wann immer diese das Hotel verlassen. Nun reagieren die von der CS angeheuerten Detektive: Sie observieren ihrerseits die beiden Detektive.

Thiam selbst gibt seinen Sicherheitsleuten zudem den Auftrag, den Ex-Mann seiner Partnerin überwachen zu lassen. Das belegen die Gerichtsdokumente, die dieser mit seiner Klage in den USA eingereicht hat. Allerdings gelingt es Thiams Bodyguard, dem CS-Chef die Überwachung auszureden. Er warnt Thiam per SMS vor einem Reputationsschaden für die CS. Thiam bläst die Aktion darauf ab.

Dafür aber gibt Thiam eine weitere, heikle Anweisung. Er will, dass seine Partnerin auch nach seiner Abreise aus Hongkong beschützt wird, und ordnet deshalb die Bewachung ihres Appartements an. Zwischen Oktober 2016 und mindestens Sommer 2017 wird ihr Anwesen in einem wohlhabenden Viertel nach Aussagen von Insidern durchgehend beschützt. Laut Belegen ist wochentags ein Bewacher zwischen 19 Uhr und 7 Uhr morgens vor Ort. An den Wochenenden wechseln sich zwei Bewacher rund um die Uhr ab.

Rechnungen gehen an die CS

Die Rechnungen dafür sind an die CS adressiert und werden von dieser vollständig bezahlt. Dieser Zeitung liegen nicht alle Belege vor, die Bewachung kostet aber im Monat zwischen 7000 (damaliger Kurs umgerechnet aus Hongkong-Dollar) und 21 000 US-Dollar. Hochgerechnet ergibt das geschätzt über 50 000 US-Dollar, welche die CS für den Schutz von Thiams Freundin bezahlt.

Für Thiam persönlich wäre eine solche Summe leicht verkraftbar: Er erhält für das Jahr 2016 ein Salär von fast 12 Millionen Franken. Die Kosten für den Schutz von Geffroys Haus führen jedenfalls zu Diskussionen unter den Sicherheitsleuten. In einer Antwort-E-Mail an den globalen CS-Sicherheitschef betreffend «Surveillance of girlfriend» äussert ein Mitarbeiter der CS-Security Bedenken: Der Schutz von «TTs [Thiams] Girlfriend» liege nicht in der Verantwortung der Bank, die Angelegenheit müsse intern diskutiert werden.

Ob es dazu kommt, ist unbekannt. Sicher ist: Marie-Soazic Geffroy hat ab jenem Wochenende innerhalb der Bank den Status einer Ehefrau, wie Insider erklären – und wird auch so behandelt. Trifft sie Thiam, wird sie mit der Limousine abgeholt und ins Restaurant, ins Hotel oder an den Flughafen gefahren. Damit wird sie ins umfassende Sicherheitssystem der Grossbank eingebunden, das die Konzernleitungsmitglieder, den vollamtlichen Präsidenten Urs Rohner sowie deren Familienmitglieder schützt.

Ein Anwalt sagt, dass dieses Vorgehen aus Sicht der Compliance in einem Graubereich liege. Es sei nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass eine private Bedrohung eines Familienmitglieds auch den CEO treffen könne. Materialisiere sich die Bedrohung, habe das auch Auswirkungen auf ihn – und damit auf das Unternehmen.

Allerdings ist Marie-Soazic Geffroy nicht wie andere Freundinnen oder Ehefrauen des damaligen CS-Topkaders Hausfrau oder leitet ein Filmfestival, so wie damals Nadja Schildknecht, die Ehefrau des damaligen CS-Präsidenten Urs Rohner. Geffroy war im relevanten Zeitraum ein hochrangiges Kadermitglied der Investmentbank von Morgan Stanley in Hongkong. Die CS bezahlt also in jenen Monaten die Bewachung des Anwesens einer Kaderfrau einer direkten Konkurrenzbank. Morgan Stanley nimmt keine Stellung dazu, ob die Bank von dieser Situation wusste. Ebenso wenig die UBS.

Auf Anfrage sagt der Sprecher von Thiam und Geffroy, die Übernahme der Kosten für die Sicherheitsüberwachung durch die CS sei aus beruflichen Gründen gerechtfertigt gewesen. «Trotzdem bot Tidjane Thiam an, diese Kosten privat zu übernehmen, erhielt aber nie eine Antwort von der Bank», sagt der Sprecher weiter.

Wem er dieses Angebot gemacht hat, ist unklar. Seinen direkten Chef, Urs Rohner, fragte er aber offenbar nicht. Dem Vernehmen nach war Rohner nicht in Themen involviert, welche die Sicherheit des CEO betrafen. Rohner selbst will keine Stellung nehmen.

Einem Untergebenen zumindest hätte Thiam dieses Angebot nicht machen dürfen: Ein solcher hätte weder unbefangen antworten noch entscheiden können. Aufgrund dieser Konstellation ist der von der NZZ befragte Anwalt denn auch überzeugt: Thiam hätte diese Kosten privat bezahlen müssen.

Die Folgen des Vorfalls reichen bis in die Gegenwart. Die Klage von Geffroys Ex-Mann in den USA ist noch immer hängig, wie dessen Anwalt bestätigt. Der Fall zeigt zudem: Selbst der oberste Chef der CS geht in einer klaren und für ihn wenig kostenintensiven Angelegenheit zu locker mit Compliance-Regeln um – und lässt sich private Aufwendungen von der Bank bezahlen. Es ist ein Beispiel für eine in der Bank weitverbreitete Nonchalance, die letztlich in ihrem Untergang gipfelt.

Wie lange die Bewachung in Hongkong anhält, ist unklar. Geffroy zügelt irgendwann zu Thiam in seine Villa nach Herrliberg, ab Januar 2017 arbeitet sie für Morgan Stanley in Zürich. Seit September 2023 ist sie für die Deutsche Bank in Paris tätig. Inzwischen tritt sie an Wahlkampfveranstaltungen ihres Mannes auf: Thiam will im Herbst dieses Jahres Präsident der Elfenbeinküste werden.

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