Ein Film des Schweizer Fernsehens thematisiert den Stellenabbau der Migros. Zu Unrecht, wie diese sagt.
Die Migros hat sich den Start in ihr Jubiläumsjahr wohl anders vorgestellt. Das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) hat am Donnerstag einen Dokumentarfilm veröffentlicht, der der Frage nachgeht, wie es zum grössten Konzernumbau in der Geschichte der Migros kommen konnte. Dieser wurde vor einem Jahr angekündigt und ist immer noch im Gang.
Der SRF-Beitrag wirft der Migros «Missmanagement, Ineffizienz und Sololäufe» vor. Und er zeigt auf, dass die schlechten Zahlen von 2023 – die Migros musste 500 Millionen Franken abschreiben – grossteils selbstverschuldet waren.
In der Zürcher Migros-Zentrale war man über den Film wenig erfreut. Die Führung lud die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Donnerstag kurzerhand zu einer Informationsveranstaltung ein. Es sei bedauerlich, «dass das Schweizer Fernsehen mit grossem Aufwand einen Film produziert, der in der Vergangenheit verhaftet ist». So steht es in dem internen Dokument an die Belegschaft, das der NZZ vorliegt.
Auf Anfrage teilt die Migros mit, dass der Film «ein einseitiges und unvollständiges Bild zeigt, da er konsequent alle Errungenschaften der Migros der vergangenen hundert Jahre ausblendet». So verschweige er die zahlreichen Erfolgsgeschichten wie Denner, Digitec Galaxus oder Medbase. «Ebenso wenig kommen die wichtigsten Gründe der Transformation vor.» Mit dieser will die Migros ihre Position als grösste Detailhändlerin des Landes sicherstellen.
Ein leeres Verteilzentrum, aber . . .
Für den Film hat die Journalistin Karin Bauer die Migros während fast eines Jahres begleitet. Nun zeichnet sie in 50 Minuten das Bild eines komplex organisierten Konzerns, in dem nicht immer klar ist, wer an welchen Stellen das Sagen hat. Die Migros erscheint als hochpolitisches und mächtiges Unternehmen, dessen Mitarbeiter nicht öffentlich Stellung nehmen wollen. Einer jedoch tritt vor die Kamera: Jules Kyburz, 92, ehemaliger Präsident des Migros-Genossenschafts-Bunds. «Ich sage nichts mehr», entgegnet er auf die Frage von Bauer, was er vom grossen Migros-Umbau halte. Und sagt damit sehr viel.
Der Film thematisiert auch die strategischen Fehlentscheidungen der Migros aus der Vergangenheit. Vieles davon war bereits bekannt. Es wird gezeigt, wie die Migros das Geschäft mit Frey-Schokolade in den USA stillschweigend aufgab, nachdem die Umsatzzahlen nicht den Vorstellungen entsprochen hatten.
Die vielleicht brisanteste Neuigkeit betrifft die Regionalgenossenschaft Aare, welche grob die Kantone Bern, Aargau und Solothurn umfasst: Sie baute für 250 Millionen Franken ein Verteilzentrum, mit dem sie auch die Genossenschaften Basel und Neuenburg-Freiburg beliefern wollte. Da diese aber nicht mitzogen, steht laut dem Film ein Drittel der Anlage leer, was zu Abschreibungen von 100 Millionen Franken geführt haben soll.
Die Migros schreibt: «Mittel- und langfristig wird die Plattform von weiteren Bereichen der Migros-Gruppe genutzt werden und voll ausgelastet sein.» Dies sei bei der Eröffnung der Anlage im Herbst 2024 auch so kommuniziert worden. Im SRF-Film fehlt diese Präzisierung.
SRF braucht Werbegelder
Die Migros feiert in diesem Jahr ihr hundertjähriges Bestehen und ist wohl darauf bedacht, das Jubiläum mit einer positiven Berichterstattung zu begleiten. Der SRF-Film aber durchkreuzt diesen Plan. Hinzu kommt, dass die anstehenden Veräusserungen der Reisetochter Hotelplan und des Kosmetikkonzerns Mibelle zu weiterer Unruhe führen dürften. Erst am Mittwoch wurde bekannt, dass die Migros ihre Obi-Filialen, die sie als Franchising-System betrieb, an die Obi-Gruppe verkauft hat.
Andererseits dürfte auch SRF ein Interesse daran haben, es sich mit der Migros nicht zu verscherzen. Diese hat anlässlich ihres Jubiläums einen Werbespot produziert, der derzeit im Fernsehen ausgestrahlt wird. Das kommt SRF wohl gelegen, denn der Sender steht politisch unter Druck: Die Halbierungsinitiative will die Gebühren für die SRG drastisch reduzieren. Da dürfen nicht auch noch die grossen Werbepartner abspringen.