Mittwoch, Oktober 9

Am Donnerstag beginnt in St. Gallen die 81. Olma. Gastkanton ist zum dritten Mal der Kanton St. Gallen. Hat sich die Tradition überlebt?

Es gab viel böses Blut, als der Kanton St. Gallen im April 2023 ankündigte, dass er dieses Jahr als Gastkanton an der Olma einspringen werde. Der ursprüngliche Gastkanton Tessin hatte sich mit Verweis auf die schwierige finanzielle Lage zurückgezogen. Die Zusage St. Gallens klinge wie ein «verspäteter Aprilscherz», wetterte der grüne Kantonsrat Thomas Schwager im «St. Galler Tagblatt». Für die Ukraine-Hilfe habe der Kanton 500 000 Franken gesprochen, jetzt lasse er das Doppelte springen für einen Auftritt an der Herbstmesse. Das sei «jenseits von Gut und Böse».

Der Kanton St. Gallen zu Gast an der Olma – ein Scherz? Oder eine Notlösung wie 1999, als die Stadt St. Gallen einsprang, weil sich erstmals seit 1968 keine Gastregion einladen lassen wollte? Oder doch eine «versteckte Subvention» für das defizitäre Messeunternehmen, wie die SVP insinuierte? Geld fehlt dem Ostschweizer Messeunternehmen jedenfalls noch immer.

Nach dem brutalen Einbruch in den Pandemiejahren ist das Unternehmen zwar wieder auf Wachstumskurs. Die Umsatzkurve zeigt nach oben, das Betriebsergebnis 2023 konnte gegenüber dem Vorjahr auf 2,4 Millionen Franken verdreifacht werden. Doch die Mega-Investition von 120 Millionen Franken für eine neue Halle just vor dem Beginn der Pandemie belastet das Unternehmen nach wie vor massiv.

Von den angestrebten 20 Millionen Franken, die man bis Ende 2024 über eine Kapitalerhöhung einsammeln wollte, fehlen bis dato immer noch knapp 7 Millionen Franken. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Summe fristgerecht zusammenkommt, liegt bei nahezu null.

Einmal und nie wieder

Der Kanton hat dem Unternehmen bereits mit Geld ausgeholfen. Im Herbst 2023 hat sich das Kantonsparlament nur mit Mühe darauf einigen können, ein Darlehen von knapp 17 Millionen Franken in Eigenkapital umzuwandeln. Eine weitere Finanzhilfe dürfe im Parlament wenig Chancen haben.

Dass der Kanton sich nun als «Gast» einspannen lässt, kann damit als politisch weniger heikles Bekenntnis zur Messe gelesen werden. «Mit der Eröffnung der neuen Halle 1 im Jahr 2024 beginnt für die Olma-Messen eine neue Zeitrechnung. Diesen Schritt in die Zukunft möchte der Kanton zusammen mit den Gemeinden nutzen, um zusammen mit den Besucherinnen und Besuchern die eigene Zukunft zu thematisieren», schrieb der Kanton in einem weitgehend emotionslosen Communiqué zum Auftritt.

Der Kanton St. Gallen weiss jedenfalls, worauf er sich einlässt, wenn er sich von der Olma einladen lässt. Zweimal war er bereits zu Gast, 1953 und 1991. Ein Olma-Auftritt mit Umzug, Festakt und Sonderschau geht ins Geld, ist planungs- und personalintensiv. Kleinere Kantone haben sich deshalb auch schon zusammengetan und sich gemeinsam präsentiert. Andere Kantone kamen einmal und nie wieder – etwa Neuenburg 1992.

Der Olma-Kantonaltag war über Jahrzehnte eine Institution der innereidgenössischen Völkerverständigung. Für die Ostschweizer Gastgeber wiederum war es eine Möglichkeit, die interkantonale Diplomatie zu pflegen und gleichzeitig die Messe jedes Jahr ein bisschen anders aussehen zu lassen. «Es ist eine recht schöne und sicher anerkennenswerte Einrichtung, dass jedes Jahr eine andere Region, ein anderer Kanton der ‹Olma› ein besonderes Gepräge gibt», so zitierte die NZZ den St. Galler Stadtammann Emil Anderegg an der Eröffnungsrede am 12. Oktober 1951.

An der Chronik der Gastkantone lässt sich herauslesen, wo die Schwerpunkte der Ostschweizer Beziehungspflege in den vergangenen Jahrzehnten lagen. Zürich war schon dreimal dabei, Graubünden viermal, Schaffhausen, der Thurgau und das Fürstentum Liechtenstein gar fünfmal.

Politischer Bedeutungsverlust

Dass es mit 26 Kantonen schwierig ist, eine solche Tradition über die Jahrzehnte aufrechtzuerhalten, zeigte sich schon viel früher. In den 1960er Jahren machten sich erste Abnützungserscheinungen bemerkbar. Immer wieder scheiterte eine Einladung an den Finanzen oder an organisatorischen Fragen. Hinzu kam der politische Bedeutungsverlust.

Bereits in den 1960er Jahren hatten die Kantone die interkantonale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit intensiviert. 1964 wurde die Ostschweizer Regierungskonferenz gegründet, 1972 die Internationale Bodenseekonferenz, der Zusammenschluss der Länder und Regionen rund um den Bodensee. 1993 kam die Konferenz der Kantonsregierungen hinzu, 2008 das Haus der Kantone in Bern, die Zentrale aller Kantonskonferenzen. Neben diesen Lobby-Veranstaltungen wirkt der Olma-Kantonaltag wie Folklore.

Schon früh kam die Idee auf, alle zwei Jahre ein Gastland oder eine ausländische Gastregion einzuladen. Man halte es «für ausgesprochen sinnvoll, wenn ein engerer Kontakt mit unseren unmittelbaren Nachbarn aufgenommen werden kann, haben wir doch beispielsweise auf dem Gebiet der Berglandwirtschaft durchaus vergleichbare Probleme», schrieb der damalige Stadtammann Alfred Hummler in der Festbroschüre von 1975 zum Gastland Bayern. Doch es blieb bei punktuellen Einladungen einzelner Grenzregionen, eine echte Tradition wurde daraus nicht – ebenso wenig die Einladung von «Gastveranstaltungen» wie der Expo.02 (2001), der Fête des Vignerons (2018) oder der Schweizer Volkskultur (2019).

In der Olma-Führung wurde auch schon darüber diskutiert, den Kantonaltag ganz abzuschaffen. Dazu durchringen konnte man sich bis jetzt nicht. Denn der Gastkanton ist für die Messe auch ein finanzieller Faktor. Allein der Umzug zieht bis zu 30 000 Besucher nach St. Gallen. Ein grosser Teil von ihnen besucht anschliessend die Messe.

Dennoch bleibt ungewiss, wie lange sich die Tradition noch halten kann. Zumindest für das nächste Jahr steht der Gast fest; es wird das Wallis sein. Und vielleicht haben sich die Tessiner Kantonsfinanzen bis zur Olma 2026 so weit erholt, dass der Kanton seine Olma-Teilnahme nachholen kann.

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