Dienstag, November 19

Geht es um ihre Klientel, vergessen auch bürgerliche Politiker gerne ihre Prinzipien, wie die Bemühungen zur Rettung der letzten beiden Schweizer Stahlwerke zeigen. Doch zum Schweizer Erfolg gehört, genau auf solches zu verzichten.

Es ist so etwas wie die Probe aufs Exempel. Der Test, wie ernst es Wirtschaft und Politik mit dem Prinzip meinen, dass man in der Schweiz keine aktive Industriepolitik macht und stattdessen für gute Rahmenbedingungen für alle sorgt.

Dieses Prinzip hat viel zum Wohlstand der Schweiz beigetragen. Es ist verantwortlich dafür, dass Arbeitnehmer und Kapital nicht an Beschäftigungen gebunden bleiben, die am Standort Schweiz nicht mehr konkurrenzfähig sind. Stattdessen wird es der Wirtschaft überlassen, sich immer wieder neu auf diejenigen Tätigkeiten zu konzentrieren, die besonders wertschöpfungsintensiv sind und hohe Löhne zahlen können. Das hat dazu geführt, dass die verarbeitende Industrie in der Schweiz noch immer für 18 Prozent der Wirtschaftsleistung aufkommt, während es im staatsgläubigen Frankreich bloss noch knapp 10 Prozent sind.

Doch Drähte und Träger aus Stahl scheinen etwas ganz Besonderes zu sein.

Regionale Klientelpolitik statt Prinzipientreue

Zwar hat sich der Bundesrat angesichts der ums Überleben kämpfenden beiden letzten Schweizer Stahlwerke im solothurnischen Gerlafingen und im luzernischen Emmenbrücke mit ihren je noch einigen hundert Mitarbeitern standhaft gezeigt. Er hat diese auf für die ganze Industrie verfügbare Instrumente wie Kurzarbeit verwiesen.

Doch in der gleissenden Hitze der Stahlschmelzen verlieren offensichtlich auch bürgerliche Parlamentarier ihre Prinzipien. So will der Solothurner SVP-Nationalrat Christian Imark das Stahlwerk Gerlafingen unbedingt von Staates wegen retten und erhält dabei Unterstützung vom Solothurner Mitte-Ständerat Pirmin Bischof. In der Innerschweiz schmilzt selbst die FDP vor dem Stahl dahin: Der Luzerner FDP-Ständerat Damian Müller will mithelfen, in einer Hauruckübung noch vor Ende Jahr Sonderregelungen durchs Parlament zu peitschen, die der Emmenbrücker Swiss Steel den Strom verbilligen und damit das Überleben sichern sollen.

Die Begründungen für den beabsichtigten befristeten Erlass von Teilen der Netzentgelte sind so kreativ wie durchsichtig. Herhalten müssen Systemrelevanz, Sicherheit und Umweltschutz. Letztgenanntes, weil die Firmen, die zu den grössten CO2-Emittenten der Schweiz gehören, Stahlschrott verwenden. Dabei gibt es im Umkreis von 150 Kilometern von der Landesgrenze zwanzig Stahlwerke, die etwa zwölfmal so viel wie die beiden Schweizer Stahlwerke zusammen produzieren und dazu ebenfalls Stahlschrott verwenden, wie Eric Scheidegger, der Chefökonom des Bundes, kürzlich in einem NZZ-Interview ausführte.

Es braucht eine vernünftige Energiepolitik

Es ist die gewollte Dekarbonisierung der Wirtschaft, die zusammen mit einem nur schleppend wachsenden Angebot bei steigender Nachfrage den Strom verteuert. Das erschwert es allen energieintensiv produzierenden Firmen, konkurrenzfähig zu bleiben. Sie können versuchen, sich auf die Produktion von Spezialitäten zu konzentrieren und mit grünem Strom produzierte Ware zu höheren Preisen zu verkaufen. Gelingt ihnen dies nicht, werden sie mittelfristig am Markt kaum bestehen.

Egal wer unter diesen Umständen eine Subventionierung der Stromkosten der Stahlwerke finanziert, ob die Steuerzahler oder die anderen Konsumenten, die Hilfe wäre kaum nachhaltig. Und noch viel schlimmer: Sie würde wohl definitiv das Ende des Verzichts auf Industriepolitik einläuten. Denn diesmal geht es nicht ums Verhindern einer schweren Finanzkrise oder des Zusammenbruchs der Stromversorgung. Wie sollte man künftig einem anderen Unternehmen mit einigen hundert Mitarbeitern staatliche Unterstützung verwehren, wenn es in Schwierigkeiten gerät? Und wieso nicht auch einem kleinen Bäcker unter die Arme greifen, der über zu hohe Stromkosten klagt?

Die Schweiz braucht dringend eine Energiepolitik, welche die Stromkosten für alle vernünftig hält. Zu verhindern gilt es jetzt, dass in der Hitze einiger alter Stahlöfen stattdessen die Politik zu entscheiden beginnt, wie sie mit fremdem Geld einige politisch gut Vernetzte auf Kosten anderer gezielt am Leben erhält.

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