Sonntag, Oktober 13

Ob Trump oder Harris die US-Präsidentschaftswahlen gewinnt, eines scheint sicher: Die amerikanischen Staatsschulden werden weiter steigen. Wie Sparer und Anleger darauf reagieren sollten.

Weltweit steigen die Staatsschulden. Besonders besorgniserregend ist der Trend in den USA. Die US-Staatsverschuldung hat in den vergangenen Jahren massiv zugelegt und steht derzeit bei 99 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Laut dem Haushaltsbüro des US-Kongresses dürfte sie bis zum Jahr 2034 auf 116 Prozent des BIP wachsen – den höchsten jemals erfassten Stand.

Angesichts der grosszügigen Wahlversprechen der beiden Kandidaten vor der US-Präsidentschaftswahl im November könnten die Schulden sogar noch stärker steigen. Weder Donald Trump noch Kamala Harris seien bereit, etwas gegen die auf knapp 35,7 Billionen Dollar angewachsenen Staatsschulden zu tun, teilte der Think-Tank Committee for a Responsible Federal Budget diese Woche mit. Unter einer erneuten Präsidentschaft von Donald Trump dürften die US-Staatsschulden um weitere 7,5 Billionen Dollar zulegen, wenn er seine Pläne umsetzt. Würde Kamala Harris gewählt und ihre Vorhaben realisieren, würden die Staatsschulden laut dem Think-Tank um 3,5 Billionen Dollar steigen.

Die Staatsschulden explodieren

Wie lange kann diese «Schulden-Orgie» noch weitergehen? «If something cannot go on forever, it will stop», hatte der amerikanische Ökonom Herbert Stein schon im Jahr 1986 in einer Podiumsdiskussion über die steigenden US-Staatsschulden gesagt. Doch dieser Moment zögert sich immer weiter hinaus, der Negativtrend bei den US-Staatsschulden hat sich in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter fortgesetzt.

«Regierungen versuchen fast nie, sich durch den Abbau von Schulden zu profilieren», sagte Gerhard Schwarz, Präsident der Progress Foundation, Ende September an einem Anlass der liberalen Stiftung zum Thema Nachhaltigkeit von Staatsschulden. Die Auswege aus der hohen Verschuldung – Inflation und der Zugriff des Staats auf private Vermögen – seien schliesslich beide so unpopulär und schmerzhaft, dass Politiker davor zurückschreckten.

Eine weitere Lösung könnte stärkeres Wirtschaftswachstum sein. Doch angesichts der Dimensionen erscheint es aus derzeitiger Sicht unwahrscheinlich, dass die amerikanische Wirtschaft aus dem Schuldenproblem herauswächst.

Mehrere Szenarien als Folge der hohen Schulden denkbar

Neben den USA sind auch andere Industriestaaten massiv verschuldet. Dieses ungelöste Problem schwebt wie ein Damoklesschwert über der Politik und den Finanzmärkten. Um ihre privaten Vermögen zu schützen, sollten sich auch deutsche und Schweizer Sparer mit der Thematik beschäftigen und auf verschiedene Szenarien vorbereitet sein.

Weiterwursteln als Hauptszenario: Ivan Adamovich, Chef des Multi-Family-Offices Private Client Bank, erwartet, dass das Schuldenmachen in den USA noch eine gute Zeit weitergehen könnte, ohne massive Konsequenzen nach sich zu ziehen. «Die Möglichkeiten, das zu finanzieren, sind noch lange nicht ausgereizt», sagt er.

Als (Negativ-)Beispiele nennt er Italien oder Japan. In Italien finanzieren Banken zu einem guten Teil die Staatsschulden, und in Japan mit seiner Staatsverschuldung von rund 250 Prozent hat die Notenbank Bank of Japan mittlerweile grosse Teile der Staatsschulden aufgekauft.

Zweifel an den USA wachsen: Trotzdem sind die Zweifel an den USA als zuverlässiger Schuldner in den vergangenen Jahren gewachsen. «Seit der Finanzkrise hat die Fiskalpolitik jedes Mass verloren», sagt Harald Preissler, Kapitalmarkt-Stratege beim Vermögensverwalter Bantleon. Die Politik habe es selbst in Phasen mit starkem Wirtschaftswachstum unterlassen, dem Anstieg der Ausgaben etwas entgegenzusetzen. Die Rettungspakete für die Wirtschaft in der Corona-Pandemie sprengten schliesslich jegliche Vorstellungskraft.

Preissler hält zudem den Anstieg der Zinsaufwendungen für bedenklich, denn dieser reduziere den Handlungsspielraum der Politik. Laut der neuen Länderstudie des unabhängigen Zürcher Kredit-Research-Unternehmens Independent Credit View (I-CV) dürfte der Schuldendienst in den USA in diesem Jahr auf 12,8 Prozent der Haushalteinnahmen steigen. Im Jahr 2019 waren es noch 8,4 Prozent. Zudem gefährdeten die polarisierte Politik und der mangelnde Konsens zur Haushaltskonsolidierung die Tragbarkeit der Schulden.

Hinzu kommt, dass die ungünstige demografische Entwicklung die Sozialausgaben in die Höhe treibt. Sozial- und Gesundheitsausgaben sind Teil der sogenannten obligatorischen Ausgaben, zu denen sich der Bundesstaat langfristig verpflichtet hat. Rund 60 Prozent der Ausgaben sind gebunden. Die Staatsschulden der USA kämen einer «tickenden Zeitbombe» gleich, sagt Preissler. Wie in anderen Industrieländern müssten die sozialen Sicherungssysteme neu ausgerichtet werden, um den demografischen Wandel zu bewältigen. Derzeit seien aber keine politischen Bestrebungen zu beobachten, die dies verfolgen.

Zudem ist der Trend der sogenannten De-Dollarisierung zu beobachten: Ausländische Gläubiger wie China sind weniger interessiert, die hohen US-Staatsschulden zu finanzieren, der Anteil der von Ausländern gehaltenen US-Staatsanleihen sinkt. Zudem wickeln mehr Länder den Handel mit Rohstoffen, der traditionell in Dollar erfolgt, zum Teil in anderen Währungen ab. «Der Hunger der Welt nach Dollar wird geringer», sagt Preissler.

Auch der alljährliche politische Poker um die Schuldenobergrenze in den USA hat bei manchen Anlegern ein ungutes Gefühl hinterlassen. «Dieses Zündeln ist hochgradig gefährlich», sagt Preissler. So könnte ein politischer Fehler einmal einen schwerwiegenden Unfall auslösen.

Vertrauensverlust in die USA als schlimmstes Szenario: «Das schlimmste Szenario wäre, dass an den Anleihemärkten das Vertrauen in die USA als Schuldner verlorengeht», sagt Adamovich. Dies hätte grosse Auswirkungen auf alle Anlageklassen. Der amerikanische Geld- und Staatsanleihenmarkt ist der Rückzugsort für alle grossen Investoren, wenn sie Geld parkieren müssen. «Wenn das nicht mehr funktioniert, ist der Kompass des Systems kaputt und alle Anlagen müssten neu bewertet werden», sagt er. Die Folge wäre eine globale Finanzkrise. Adamovich geht aber davon aus, dass die amerikanische Politik alles tun dürfte, um dies zu verhindern.

Drohende heimliche Enteignung von Sparern und Anlegern

Die rasant steigende US-Staatsverschuldung ist auch für deutsche und Schweizer Anleger relevant. Schliesslich orientieren sich die Regierungen und Zentralbanken anderer westlicher Länder stark an den USA.

Anleger sollten sich auf finanzielle Repression einstellen: Anleger sollten sich darauf einstellen, dass die Inflation in den nächsten Jahren höher sein dürfte als die Zinsen, die sie mit sicheren Anlagen erhalten, sagt Adamovich. In einem solchen Szenario, auch als finanzielle Repression bekannt, werden Sparer schleichend enteignet. Derzeit sei dies in den USA zwar nicht der Fall, doch die amerikanische Notenbank hat die Leitzinsen bei ihrer Sitzung im September bereits um 0,5 Prozentpunkte auf einen Korridor von 4,75 bis 5 Prozent gesenkt.

Dabei könnte es aber immer Überraschungen geben. Höhere Inflation kommt meist unerwartet und lässt sich kaum politisch beherrschen. Preissler geht davon aus, dass die amerikanischen Zinsen trotz der jüngsten Leitzinssenkung der amerikanischen Notenbank strukturell höher bleiben dürften. Dies dämpfe langfristig Investitionen sowie das Wachstum der Weltwirtschaft. Diese Entwicklung könnte auch die Aktienmärkte bremsen. Der Bantleon-Vertreter hält Aktienrenditen von 1 bis 3 Prozent nach Abzug der Inflation für die kommenden Jahre für realistisch.

Historisch gesehen haben amerikanische Aktien im Zeitraum von 1900 bis 2023 eine jährliche Durchschnittsrendite von 6,5 Prozent erzielt, ebenfalls nach Abzug der Teuerung. Dies geht aus der diesjährigen Ausgabe des Global Investment Returns Yearbook hervor, das von Professoren an der London Business School und der Universität Cambridge herausgegeben wird.

Investieren – trotz allem: Trotzdem führt der langfristige Weg auch für Privatanleger nicht an Aktien vorbei. «Das Schlimmste, was man tun kann, ist nicht investiert zu sein – vor allem in einer Welt der finanziellen Repression», sagt Adamovich. Schliesslich erodiere in einem solchen Umfeld die Kaufkraft und es gehe darum, diese bestmöglich zu erhalten. Dafür müsse man gewisse Risiken eingehen, in die produktive Wirtschaft investieren und diversifizieren. Man sollte als Anleger auch nicht zu pessimistisch sein und an die Selbstheilungskräfte der Märkte glauben.

Auch die Erfahrungen aus der Finanzkrise 2008 sind dabei nützlich. Damals war unter anderem der Ratschlag zu hören, Anleger sollten einen Teil des Vermögens vom Konto abheben und das Bargeld im Safe verstauen. Wer dies im grossen Stil getan hat, anstatt das Geld anzulegen, hat stattliche Renditen verpasst.

Hatte der ehemalige Citigroup-Chef Charles Prince mit seinem berühmt-berüchtigten Bonmot also recht? «Solange die Musik spielt, muss man aufstehen und tanzen», hatte er 2007 auf dem Höhepunkt der Börsen-Bonanza vor dem Ausbruch der Finanzkrise gesagt. Dieser Ausspruch ergebe für Anleger einen gewissen Sinn, sagt Adamovich, schliesslich verpasse man sonst Renditen. «Allerdings sollte man auch nüchtern bleiben und nahe genug am Ausgang tanzen, um rechtzeitig die Tanzfläche verlassen zu können.» In der Finanzkrise wurden zum Beispiel viele Geldanlagen illiquide und man konnte sie nicht mehr verkaufen. Der Family-Office-Vertreter empfiehlt ohnehin, genug Liquidität vorzuhalten, um zur Not ein Jahr über die Runden zu kommen.

Vorsicht vor Verschuldung in Fremdwährungen: Adamovich rät bei der Verschuldung in Fremdwährungen zur Vorsicht. «Als Sparer sollte man prüfen, in welcher Währung man seine Ausgaben hat», sagt er. Dies sei besonders für kleinere Anleger wichtig. «Je geringer das Vermögen, desto mehr sollte man in der Heimwährung positioniert sein.» Schweizer Anlegern empfiehlt er, bei Investitionen in Fremdwährung eher auf Dollar-Anlagen zu setzen als auf Euro-Anlagen.

Auf Sachwerte setzen: Angesichts der hohen Schulden sind bei der Geldanlage vor allem Sachwerte zu empfehlen. Allerdings sollte man nicht selbst eine hohe Verschuldung eingehen, um diese zu kaufen. Er sei skeptisch, ob ein Haus mit einer Belehnung von 80 Prozent in einer grossen Krise eine gute Anlage sei, sagt Adamovich. Wie Preissler rät auch er, Anlagen in der Krisenwährung Gold zu erwägen.

Trotzdem noch in den USA anlegen: Die Finanzexperten raten auch davon ab, den USA den Rücken zu kehren. Anleger hätten letzten Endes wenig Alternativen zu den USA, was die Situation des hoch verschuldeten Landes verbesserte.

Thomas Isler, Kreditanalyst bei Independent Credit View, rechnet nicht damit, dass der Anstieg bei den US-Staatsschulden grössere Schäden am amerikanischen Staatsanleihemarkt hinterlassen dürfte. «Es gibt auf der Welt keine wirkliche Alternative zu US-Staatsanleihen», sagt er. Denkbar sei aber, dass die Rating-Agenturen in der kommenden Zeit die Bonitätsnote der USA herabstufen könnten. «Hier war der Druck in der Vergangenheit vielleicht zu wenig gross.»

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