In Zürich, Genf, Luzern und anderen Städten sprudeln die Steuereinnahmen seit Jahren ungebremst. Trotzdem herrscht eine latente Abstiegsangst.

Würden die städtischen Finanzdirektoren am «Samschtig-Jass» teilnehmen, würden sie mit Schimpf und Schande vom Tisch gejagt. Denn ihre Resultate beim dort gespielten Differenzler wären miserabel. So prognostizierte der Zürcher Finanzdirektor Daniel Leupi (Grüne) für das Jahr 2024 ein Defizit von 16 Millionen Franken. Tatsächlich erzielte er einen Gewinn von 517,8 Millionen Franken.

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Auch in der Stadt Zug sprudeln die Steuereinnahmen. Budgetiert hatte der Stadtrat einen Überschuss von rund 6 Millionen Franken. Schliesslich wurden es 144 Millionen Franken. In Kloten resultierten für 2024 statt der budgetierten 1,6 Millionen gegen 50 Millionen Franken Überschuss. Sehr zufrieden ist man auch in der Luzerner Vorortsgemeinde Kriens, wo das Finanzresultat jede Erwartung sprengte. Statt 12 Millionen betrug der Überschuss 99 Millionen Franken.

Dabei handelt es sich keineswegs um einmalige Ausrutscher. Solche Fehleinschätzungen sind in den letzten Jahren fast schon zur Gewohnheit geworden. Immer wieder beglücken die städtischen Kassenwarte die Stadtbewohner mit satten Überschüssen. Zürich bereits zum zehnten Mal in Folge. Die Begründungen für den Geldsegen sind Jahr für Jahr dieselben. Höhere Steuereinnahmen und «Sondereffekte» lassen die Kassen überquellen.

«Können die Städte nicht rechnen?»

Bereits 2017 fragten die Zeitungen der Tamedia-Gruppe: «Können die Städte nicht rechnen?» Damals hatten Zürich, Bern, Luzern, St. Gallen und Zug wider Erwarten hohe Überschüsse erzielt. Die Rechenkünste scheinen sich seither nicht verbessert zu haben. Im Gegenteil, die Prognosen wurden in den letzten Jahren immer ungenauer, und die Einnahmen stiegen in vielen Städten stark an.

«Ich bezweifle, dass hinter den sehr defensiven Budgetierungen gar kein politisches Kalkül steckt», sagt Lukas Rühli vom Think-Tank Avenir Suisse. Er unterstellt den Stadtregierungen keine bewusste Fehlbudgetierung. Aber wenn man übervorsichtig kalkuliere und so vor Defiziten warnen könne, sei dies ein Argument gegen Steuersenkungen. Auch in Debatten zur Aufgabenteilung oder zum Finanzausgleich gegenüber dem Kanton helfe dieses Vorgehen.

Franziska Bitzi ist Präsidentin der Konferenz der städtischen Finanzdirektorinnen und -direktoren und weiss als oberste Finanzverantwortliche der Stadt Luzern, wie man mit Fehlprognosen umgeht. Im Jahr 2024 erwirtschaftete die grösste Stadt der Innerschweiz einen Gewinn von 124,8 Millionen Franken statt des prognostizierten Überschusses von nur 1,6 Millionen Franken. Im Jahr 2023 hatte der Überschuss 80,1 Millionen Franken betragen. Bitzi hatte einen Verlust von 31,1 Millionen Franken vorausgesagt.

Den Vorwurf, in Luzern und anderen Städten werde bewusst zu pessimistisch budgetiert, weist Bitzi zurück. «Unser Budget wird nicht nach politischen Motiven erstellt, sondern basiert auf konkreten Zahlen.» Diese Annahmen seien aber nicht immer verlässlich. Im Fall von Luzern stammen die Zahlen zu den juristischen Personen vom Kanton. Dieser hat die Steuereinnahmen der Unternehmen massiv unterschätzt. Die Steuereinnahmen der natürlichen Personen und die Ausgaben seien dagegen sehr genau geschätzt worden.

Ebenso konstant wie die deutlich besseren Rechnungsabschlüsse treibt die Städte eine latente Abstiegsangst um. Seit Jahren warnen die Verantwortlichen davor, dass die goldenen Zeiten bald vorbei seien. «Ich erinnere mich noch lebhaft an einen meiner ersten Fernsehauftritte im Jahr 2013», sagt Lukas Rühli. «Titel der Diskussionsrunde war: ‹Wie krank sind unsere Städte?› Zwölf Jahre sind seither vergangen. Und es geht den Städten finanziell immer noch sehr gut.»

Angst, eine A-Stadt zu werden

Es macht den Anschein, als befürchteten die Verantwortlichen ständig einen Rückfall in die 1980er Jahre. Damals galt beispielsweise Zürich als sogenannte A-Stadt: eine Stadt für Arme, Arbeitslose, Alte und Alkoholiker.

Auch heute malen die Städte wieder schwarz. «Die finanzielle Lage der Städte und Gemeinden wird sich in den nächsten Jahren zunehmend verschlechtern», sagt Bitzi. Ein Bericht der Eidgenössischen Finanzverwaltung prognostiziert, dass die Schuldenquote auf Gemeindeebene zwischen 2021 und 2060 von 6,2 auf 14 Prozent steigen wird. Angesichts dieser Aussichten haben die städtischen Finanzdirektoren eine Studie in Auftrag gegeben, um herauszufinden, welche Faktoren die Verschuldung in die Höhe treiben.

Franziska Bitzi weist darauf hin, dass es längst nicht allen Städten blendend geht. Bern, St. Gallen und Lausanne hätten bereits Sparprogramme am Laufen. Andere städtische Gemeinden würden in den nächsten Jahren folgen. Der Reichtum in den Städten ist ungleich verteilt. Von den 107 städtischen Gemeinden, für die dem SSV Daten vorliegen, weisen 60 Städte im Jahr 2023 eine Nettoverschuldung auf. 47 Städte verfügten über ein Nettovermögen. Während in der Deutschschweiz knapp jede fünfte Stadt einen negativen Abschluss aufwies, war es in der Westschweiz jede dritte.

Die Abstiegsängste werden auch durch das Entlastungspaket 2027 des Bundes geschürt, das der Städteverband «durchwegs ablehnt», wie er in einer Mitteilung schreibt. Die Städte wären von verschiedenen Leistungskürzungen direkt betroffen. Zudem bestehe die Gefahr, dass die Kantone ihrerseits Kosten auf die Gemeinden abwälzten.

Sparen gehört aber bisher nicht zu den Kernkompetenzen der Stadtverwaltungen. Die meist links-grün regierten Zentren ziehen eine Klientel an, die eher an mehr Leistungen als an tieferen Steuern interessiert ist. Gemäss dem Städtemonitor von Avenir Suisse waren im Jahr 2023 acht der zehn grössten Städte steuerlich unattraktiver als ihre umliegenden Gemeinden. Ausnahmen bilden Biel und Luzern. Immerhin konnten Basel, Luzern, Lugano und Genf ihren Steuerfuss gegenüber dem Umland verbessern.

In den tendenziell links regierten Städten sind die Einwohner also bereit, höhere Steuern zu zahlen als in ländlichen Gebieten. Aber auch die Anspruchshaltung ist eine andere. Exemplarisch zeigte sich dies bei der Präsentation des Rekordüberschusses in Zürich. Die SP forderte umgehend ein «Kaufkraftpaket» im Umfang von 200 Millionen Franken. Darin enthalten ein VBZ-Jahresabo für 365 Franken, eine städtische Prämienentlastung von bis zu 500 Franken pro Person bei der Krankenkassen sowie eine deutliche Senkung der Kita-Gebühren.

Vor allem das Wohl der Stadtbevölkerung in den immer heisser werdenden Sommern liegt den linken Politikern am Herzen. So forderte eine SP-Parlamentarierin in der Stadt Luzern die Gratisabgabe von Sonnencrème. In Zürich testete die Regierung 2022 und 2023 erfolglos eine künstliche Nebelwolke auf dem Turbinenplatz. Das Basler Stadtparlament will 65 Sonnenschirme anschaffen, um den öffentlichen Raum zu beschatten. Die Kosten pro Stück belaufen sich auf 10 531 Franken. Bisher nicht realisiert wurde die Idee eines SP-Politikers, eine Rutschbahn von der Dreirosenbrücke in den Rhein zu bauen.

Bundesgelder nur für Zürich, Basel und Genf

All diese Projekte passen nicht ins Narrativ der benachteiligten Städte. Ebenso die Tatsache, dass einige Kommunen heute massiv von Bundesgeldern profitieren. Im Rahmen des nationalen Finanzausgleichs zahlt der Bund jährlich 175 Millionen Franken in den sogenannten Zentrumslastenausgleich. Dieser Betrag fliesst fast ausschliesslich in die Kantone Zürich, Basel-Stadt und Genf mit ihren grossen Zentren und damit indirekt in jene Städte, die in den letzten Jahren grosse Überschüsse produziert haben.

Diesen Mechanismus findet der Grüne Nationalrat Felix Wettstein ungerecht und will ihn deshalb abschaffen. «Ein Zentrum zu sein, ist keine Last mehr, sondern ein Gewinn. Das zeigen die sehr guten Rechnungsabschlüsse der letzten Jahre», sagt er. Es dürfe nicht sein, dass der Bund nach dem Motto «Wer hat, dem wird gegeben» ausgerechnet die Kantone mit diesen Wachstumsregionen so unterstütze.

Der Bund könne nur Zahlungen an die Kantone, nicht aber an Gemeinden ausschütten. Das schliesst all jene vom Lastenausgleich aus, die um die Zentrumsstadt herum ein grosses Umland haben. Auch die Städte Bern, Luzern, St. Gallen oder Lugano würden Zentrumsfunktionen erfüllen, ohne dafür vom Bund indirekt entschädigt zu werden.

Nicht antasten will Wettstein hingegen den Ausgleichsmechanismus aufgrund der Bevölkerungsstruktur, den sogenannten soziodemografischen Lastenausgleich. «In verschiedenen Kantonen leben nach wie vor überdurchschnittlich viele Arme und Ausländer. Dafür müssen sie entschädigt werden», sagt er. Der Bundesrat lehnt Wettsteins Motion ab und vertröstet ihn auf den Wirksamkeitsbericht 2026–2029, in dem alle Indikatoren des Lastenausgleichs grundsätzlich überprüft werden. Chancenlos dürfte das Anliegen nicht sein, denn Wettsteins Motion wurde auch von SVP-Parlamentariern unterzeichnet.

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