Der Nationalrat will die Unterstützung des Palästinahilfswerks komplett kappen. Die Aussenpolitiker des Ständerats wollen sich zuerst ein umfassendes Bild der Lage machen und Anhörungen durchführen.
Soll die Schweiz die Unterstützung der UNRWA stoppen? Diese Frage gehört zu den umstrittensten Themen in Bundesbern. Der Nationalrat hat im September einem sofortigen Zahlungsstopp zugestimmt, die entsprechende Motion stammt vom SVP-Nationalrat David Zuberbühler.
Nun hätte die Aussenpolitische Kommission des Ständerats am Donnerstagabend über Zuberbühlers Vorstoss und andere UNRWA-Geschäfte befinden sollen. Doch die Kommission verschob den Entscheid mit 12 zu 0 Stimmen bei einer Enthaltung. Sie werde zuerst Anhörungen durchführen, hiess es in einer Medienmitteilung der Kommission.
Die Aussenpolitiker wollen Gespräche mit Vertretern der UNRWA selbst sowie mit Verantwortlichen des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) und von UN Watch führen. Letztere ist eine Nichtregierungsorganisation, welche die Aktivitäten der Uno kritisch untersucht.
Es ist das zweite Mal, dass die Aussenpolitische Kommission das Geschäft vertagt. Die Unterstützung der UNRWA war bereits am 24. und 25. Oktober traktandiert. Doch damals bat Ignazio Cassis um mehr Zeit. Der FDP-Aussenminister stand kurz vor der Abreise nach New York, wo er im Namen der Schweiz die Sitzung des Sicherheitsrats präsidierte.
Tatsächlich hat sich die politische Lage mittlerweile verändert: Das israelische Parlament entschied am 28. Oktober, die UNRWA in Ostjerusalem, im Westjordanland und im Gazastreifen zu verbieten. Ein Entscheid, den der Aussenminister Ignazio Cassis einen Tag später im Uno-Sicherheitsrat in New York scharf kritisierte. Das Verbot sei mit dem Völkerrecht nicht vereinbar und bedrohe «die humanitäre Hilfe für die leidende Zivilbevölkerung», sagte der Bundesrat.
Grosses Dilemma
Die UNRWA stürzt westliche Länder in ein Dilemma. Das Hilfswerk ist für die Versorgung der Bevölkerung des Gazastreifens lebenswichtig. Ohne das Uno-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge gäbe es keine Nahrungsmittel- und Gesundheitsversorgung für Millionen von Palästinensern auf der Flucht. Gemäss den Vereinten Nationen sind 91 Prozent der Bevölkerung in Gaza von akuter Nahrungsmittelknappheit betroffen, und 16 Prozent leben unter katastrophalen Bedingungen. Die Fälle von Kinderlähmung nehmen laut Ärzte ohne Grenzen zu.
Israel wirft der Organisation jedoch vor, von Terroristen unterwandert zu sein. Die Hamas verschanzt sich regelmässig in UNRWA-Gebäuden. Das Hilfswerk hatte neun Mitarbeiter entlassen, weil es klare Indizien dafür gab, dass diese Angestellten am Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 teilgenommen hatten. Eine weitere externe Untersuchung attestierte der UNRWA zwar funktionierende Mechanismen in Bezug auf die Neutralitätsvorgaben. Doch für die Mehrheit des israelischen Parlaments ist klar: «UNRWA ist gleich Hamas», sagte der Abgeordnete Boaz Bismuth von der rechtskonservativen Regierungspartei Likud, einer der Initiatoren des ersten Gesetzes im Oktober.
Die Frage ist, wer die Bevölkerung mit Wasser und Nahrungsmitteln versorgt, wenn das UNRWA-Verbot Ende Januar in Kraft tritt. Als Besatzungsmacht ist Israel völkerrechtlich in der Pflicht, die humanitäre Versorgung zu garantieren. Israel müsse Alternativen aufzeigen, sagte Ignazio Cassis daher in New York vor diversen Medien. Das Land hat drei Monate Zeit dafür.
Eine Alternative zur UNRWA wünscht sich auch der Nationalrat, «sobald es die aktuelle kriegerische Auseinandersetzung in Gaza zulässt». Die grosse Kammer hat im Herbst einer entsprechenden Motion zugestimmt. Der Bundesrat soll prüfen, ob die Palästinahilfe beispielsweise in das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR eingegliedert werden kann. Die Landesregierung ist bereit, das Anliegen im Rahmen der Möglichkeiten zu unterstützen.
Die UNHCR sieht sich allerdings nicht in der Lage dazu, die Tätigkeiten der UNRWA zu übernehmen, und auch Ärzte ohne Grenzen fehlen die Kapazitäten, wie die Organisation diese Woche per Medienmitteilung verlauten liess. Die humanitäre Hilfe reiche jetzt schon bei weitem nicht aus: «Es braucht jetzt mehr Hilfe und nicht weniger.» Nach eigenen Aussagen hat die UNRWA noch ungefähr 5000 Mitarbeiter im Gazastreifen. Vor dem Krieg verfügte sie über rund 12 000 Mitarbeiter in dem Küstengebiet.
Die Diskussion, ob und wie die Schweiz das Palästinahilfswerk in Zukunft unterstützt, wird wohl frühestens im März ins Parlament kommen. Die Aussenpolitische Kommission möchte auch im nächsten Jahr auf jeden Fall konsultiert werden, bevor die Schweiz Beiträge spricht. Einen entsprechenden Antrag will sie dem Ständerat im Rahmen der Beratung des Voranschlags 2025 in der Dezember-Session unterbreiten. Das ist nicht neu: Auch im laufenden Jahr erfolgten Auszahlungen im Nahen Osten erst nach Konsultation der Aussenpolitischen Kommissionen.