Montag, September 30

Das Finanzmarkt-Urgestein Howard Marks rechnet trotz der starken Zinssenkung der US-Notenbank nicht mit einer erneuten Nullzins-Phase. Was er nun erwartet, seine Anlage-Tipps und welche Risiken er sieht.

Die US-Notenbank Federal Reserve hat am Mittwoch einen neuen Zinssenkungszyklus begonnen. Sie hat den Leitzins in den USA – auch Federal Funds Rate genannt – um 0,5 Prozentpunkte auf 4,75 bis 5 Prozent reduziert.

Die kräftige Zinssenkung hat viele Marktteilnehmer überrascht, sie hatten nur mit einem Schritt um 0,25 Prozentpunkte gerechnet. Viele Anleger sehen darin bereits ein Signal, dass eine weiteren Phase mit extrem billigem Geld bevorsteht.

Der amerikanische Investor und Autor Howard Marks, Mitgründer des Finanzunternehmens Oaktree Capital Management, ist da aber anderer Meinung. «Die Zinsen dürften weiter sinken, aber nicht so weit wie im letzten Zyklus», sagt er in einem Gespräch in Zürich.

«Leitzins dürfte im Durchschnitt höher als 3 Prozent bleiben»

Im Zeitraum von 2009 bis 2021 hielt das Fed die Leitzinsen extrem tief, zumeist nahe null. Er gehe davon aus, dass dieser Durchschnitt in den kommenden zehn Jahren höher als 3 Prozent liegen werde, sagt der 78-Jährige.

Laut Marks liegt dies unter anderem daran, dass die Notenbanker in der Zeit der Nullzinsen realisiert hätten, dass sie in einer Krise oder Rezession Munition für Zinssenkungen brauchten, um die Wirtschaft zu stimulieren. «Es ist ein bisschen wie bei einem Menschen, der einen Herzinfarkt hat», sagt Marks. Man könne ihm Nitroglyzerin-Tabletten verabreichen, um ihn zu retten und seine Blutgefässe zu erweitern. «Es ist aber keine gute Idee, dass diese Person für den Rest ihres Lebens jeden Morgen eine Nitroglyzerin-Tablette nimmt», sagt Marks. Man könne nicht permanent im Notfall-Modus leben.

Negativzinsen als Anomalie im Geldsystem

So ähnlich ist es laut Marks auch mit der Geldpolitik. Es sei nicht sinnvoll, wenn diese permanent die Wirtschaft stimuliere. In einem solchen Fall komme es zu Nebenwirkungen wie Inflation, und irgendwann verliere die Geldpolitik ihre Wirkung.

Die Senkung der Zinsen in den negativen Bereich habe sich ebenfalls nicht als wirksames Mittel gegen schwaches Wirtschaftswachstum erwiesen. Negativzinsen würden heute wieder verstärkt als Anomalie gesehen, die es zu verhindern gelte. Das ganze Geldsystem funktioniere dann nicht mehr. «Deshalb wette ich darauf, dass wir in den nächsten zehn Jahren nicht wieder Negativzinsen sehen werden.»

«Die heutigen Zinsen sind nicht hoch»

Historisch gesehen seien die heutigen Zinsen keineswegs hoch, sagt Marks. «Als ich im Jahr 1969 meine Berufstätigkeit an den Finanzmärkten begann, lagen die US-Leitzinsen bei 8 bis 9 Prozent», sagt er. Der Durchschnitt der vergangenen 70 Jahre liegt bei rund 5 Prozent, also auf dem heutigen Niveau.

Viele Anleger hätten diese langfristige Perspektive nicht und liessen sich von kurzfristigen Entwicklungen leiten. Dazu gehörten beispielsweise Reaktionen auf Zinsentscheide von Notenbanken, Wirtschaftsdaten oder auch die amerikanischen Präsidentschaftswahlen. Langfristig gesehen hätten solche «Mikro-Entwicklungen» aber wenig Einfluss auf die Finanzmärkte, sagt Marks. «Weder Donald Trump noch Kamala Harris werden das Ende der amerikanischen Demokratie bedeuten oder den Kollaps der US-Wirtschaft herbeiführen.» Folglich sei es langfristig gesehen weniger wichtig, welcher der beiden Kandidaten amerikanischer Präsident werde.

Wichtiger sei die langfristige Wachstumsrate einer Volkswirtschaft und die finanzielle Lage von Staaten. Auch die demografische Entwicklung sei ein wichtiger Faktor, wenn es darum gehe, in welchem Land er investiere. «Obwohl die USA bei der Verschuldung und der Demografie nicht allzu gut dastehen, disqualifiziert sie dies auch nicht für Investitionen», sagt Marks. Schliesslich müsse das Geld ja irgendwo investiert werden, und in anderen Ländern sei die Situation oft auch nicht besser. Bei Unternehmen schaue er auf deren Wettbewerbsposition im Markt und die Fähigkeit, sich in einem schwierigen Umfeld zu behaupten.

Sinkende Zinsen treiben Renditen nach oben

Ein sehr wichtiger Faktor für den Erfolg von Investoren in den vergangenen Jahrzehnten werde dabei aber oft unterschätzt: «Vierzig Jahre mit sinkenden Zinsen haben die Renditen der Anleger in dieser Zeit nach oben getrieben», sagt Marks. Die über Jahre hinweg sinkenden Zinsen hätten ähnlich gewirkt, wie wenn man am Flughafen auf einem der Laufbänder in normalem Tempo gehe. Das Laufband bewirke, dass man viel schneller vorwärtskomme.

Viele Investoren gingen nun davon aus, dass die von den Zinssenkungen unterstützten Renditen an den Finanzmärkten der Normalfall seien – dass sie also auch in Zukunft mit diesem Rückenwind rechnen könnten. «Dies liegt daran, dass viele von ihnen gar kein anderes Umfeld kennen», sagt Marks. Er habe selbst erlebt, wie er in den 1970er Jahren einen Zins von 22,25 Prozent für einen Kredit habe zahlen müssen. Vier Jahrzehnte später habe er indessen Geld zu einem Zins von 2,25 Prozent geliehen, und der Zins sei sogar für zehn Jahre fix gewesen. Dies könne sich nicht wiederholen – mit der Folge, dass sich die Anleger auf ein neues Umfeld einstellen müssten.

Investieren ist schwieriger geworden

Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts seien die besten 50 Jahre in der Geschichte der Menschheit gewesen, sagt Marks. Die Zeit umfasste die Erholung nach dem Zweiten Weltkrieg, Technologieschübe, ein starkes Produktivitätswachstum, eine positive demografische Entwicklung sowie Globalisierung. Trotz dem Kalten Krieg habe es in dieser Zeit keine wirklich schlimmen Kriege gegeben.

«All dies haben wir heute etwas weniger», sagt Marks. Es sei davon auszugehen, dass die Wachstumsraten in den Industrieländern etwas geringer ausfallen dürften als damals. «Wenn die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts die beste Periode aller Zeiten war, ist davon auszugehen, dass es danach etwas schlechter wird.»

Eine Periode mit sehr hoher Inflation wie in den 1970er Jahren erwartet er nicht. Dabei habe damals die Ölkrise eine wichtige Rolle gespielt, und die Notenbanken hätten bei der Bekämpfung der Inflation in der Zwischenzeit auch grosse Fortschritte gemacht. Marks rechnet aber mit weiteren «Unfällen» als Folge der höheren Zinsen – der amerikanische Markt für Gewerbeimmobilien könnte aus seiner Sicht noch für negative Überraschungen sorgen, was auch einige Banken in Mitleidenschaft ziehen könnte.

Für Private Equity wird es komplizierter

Auch manche Anlagestrategien könnten ihre beste Zeit hinter sich haben, sagt Marks. Dies gelte beispielsweise für solche, die von den sinkenden Zinsen besonders profitiert haben. Manche Investmentstrategien seien bezeichnenderweise im Zeitalter sinkender Zinsen erst erfunden worden – wie beispielsweise Private Equity. Die Zeit sei ideal dafür gewesen. Bei Private Equity ist die Beteiligung eines Investors an einem Unternehmen nicht an der Börse handelbar. Übernahmen von Firmen (Buyouts) werden hier oft mit einem hohen Anteil an Krediten finanziert. Sind die Zinsen tief, ist dies einfacher.

Das heisse aber nicht, dass die Private-Equity-Strategie auch in einem anderen Umfeld funktionieren werde, sagt Marks. Kredite seien schliesslich teurer geworden, und Buyouts würden schwieriger. Zudem sässen die Private-Equity-Fonds auf grossen Cash-Beständen. In einer Zeit, in der Kredite teurer und schwieriger zu bekommen sind, dürfte es schwieriger werden, das Geld zu investieren. Ausserdem werde der Wettbewerb um potenzielle Übernahmen härter.

«Die Definition von Wahnsinn ist, immer das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten»: Dieses Zitat stammt von Albert Einstein. «Ähnlich verrückt ist es indessen, in einem anderen Umfeld dasselbe zu tun wie vorher und dabei dasselbe Resultat zu erwarten», sagt Marks.

«Chancen für Anleger bei Anleihen sind viel grösser»

Letztlich gibt es aus Sicht von Marks nur zwei grosse Anlageklassen: Eigentum und geliehenes Geld – zum Beispiel Aktien und Anleihen. Nachdem die Investoren lange Zeit mit Aktien viel Geld verdient haben, spreche nun einiges dafür, dass Anleihen wieder attraktiv sind. «Die Chancen für Anleger bei Anleihen sind heute viel grösser als vor drei, aber auch als vor zehn Jahren», sagt Marks.

Er selbst habe in der Zeit vor dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 am Anleihenmarkt gute Erfahrungen mit einer Anlagestrategie gemacht, bei der er gleich hohe Beträge in amerikanische Staatsanleihen mit einer Restlaufzeit von einem Jahr bis sechs Jahre investiert habe. Ein solches «gestaffeltes Portfolio» war aus seiner Sicht damals sinnvoll, weil immer ein Sechstel des Anleihen-Portfolios ein Jahr davorstand, zurückgezahlt zu werden. Das frei werdende Geld wurde dann wieder in amerikanische Staatsanleihen mit einer Restlaufzeit von sechs Jahren investiert.

In der Zeit vor der Finanzkrise habe er mit dieser Strategie eine Rendite von rund 6 Prozent erzielt, sagt Marks. Vor drei Jahren hingegen habe die gleiche Strategie aber nur mit 1,25 Prozent rentiert. Nun seien es wieder rund 4 Prozent.

Marks’ Tipp für Schweizer Anleger

Franken-Anleger können von solchen Renditen natürlich nur träumen. Aus Sicht von Marks hätten Schweizer Anleger aber die Möglichkeit, in US-Anleihen anzulegen und darauf zu hoffen, dass der Franken nicht gegenüber dem Dollar aufwertet. In den vergangenen Jahrzehnten war allerdings gerade das zumeist der Fall, gerade auch auf längerfristige Sicht. Dies liegt am Ruf des Frankens als eines sicheren Hafens.

Auch er würde Schweizer Anlegern nicht raten, einen grossen Teil des Vermögens in nicht abgesicherte Dollar-Anlagen zu investieren, sagt Marks. Aber mit einem Teil des Portfolios könne man eine solche Wette ja eingehen.

Milliardär und Autor

Der 78-jährige Howard Marks ist Mitgründer des Investmentunternehmens Oaktree Capital Management. Per Ende Juni dieses Jahres verwaltete die auf Anlagen wie Immobilien, Private Equity, Aktien und Unternehmensanleihen spezialisierte Firma 193 Milliarden Dollar. Der amerikanische Investor Marks ist bekannt für seine «Memos» – Börsen-Kurzbriefe, in denen er seine Ansichten zu den Finanzmärkten teilt und zu deren aufmerksamen Lesern auch die Investoren-Legende Warren Buffett gehört. Das amerikanische Wirtschaftsmagazin «Forbes» führt Marks in seiner Liste der wohlhabendsten Menschen der Welt 2024 mit einem Vermögen von 2,2 Milliarden Dollar auf Platz 1496.

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