Mittwoch, Januar 15

Anders als in Cannes und Venedig, wo man dem Glamour frönt, soll es in Berlin bedeutungsvoll zugehen. Gesellschaftskritisch will man sein. Doch sie scheut schon die Auseinandersetzung mit zwei, drei AfD-Politikern.

Der Potsdamer Platz ist nicht in Potsdam. Der Berlinale Palast ist auch nicht das Landhaus Adlon. Die Berlinale soll möglichst AfD-freie Zone sein. Das schreibt die Festivalleitung vor. Bei der Eröffnungsgala am Donnerstagabend waren keine Vertreter von Deutschlands zweitpopulärster Partei willkommen. Erst hatte man sie eingeladen, dann wieder ausgeladen: Das Führungsduo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian machte eine Rolle rückwärts.

Die Berlinale ist ordentlich vom Bund mitfinanziert, entsprechend werden Bundestagsabgeordnete kontingentiert aus allen Parteien eingeladen. Seit 2017 auch solche von der AfD. Courant normal. Das Gästemanagement macht nur seinen Job. Jetzt plötzlich die Empörung: 200 Filmschaffende, vorwiegend unbekannte, protestieren. Die Berlinale-Leitung knickt ein, insgesamt fünf AfD-Politikern werden die Eintrittskarten wieder weggenommen.

Ist das demokratiefreundlich?

Die Debatte mache «ganz deutlich, wie sehr das Engagement für eine freie, tolerante Gesellschaft und gegen Rechtsextremismus zur DNA der Berlinale» gehöre, erklärten Rissenbeek und Chatrian ihre Ausladungspolitik. Seit Jahrzehnten setze sich das Festival «für demokratische Grundwerte» ein.

Wie demokratiefreundlich es ist, demokratisch gewählte Volksvertreter zu schneiden, ist die eine Frage. Ob die Berlinale dem Kampf gegen den Rechtspopulismus damit nicht einen Bärendienst erweist, die andere. Gerade von der Ausgrenzung zehrt die AfD, Ächtung macht sie erst gross.

Die Filmfestspiele betonen gerne, wie politisch sie seien. Im Unterschied zu Cannes und Venedig, wo man dem Glamour frönt, soll es in Berlin bedeutungsvoll zugehen. Gesellschaftskritisch will man sein. Aber wie soll das gehen, wenn man sich schon vor einer Handvoll AfD-Politiker fürchtet?

Christian Petzold weiss das auch nicht. «Wir sind doch keine Feiglinge», sagte der deutsche Regisseur, der Teil der Jury ist, bei der Eröffnungs-Pressekonferenz: Es sei wahrlich kein Problem, fünf Personen von der AfD im Publikum zu haben. Jurypräsidentin und Oscar-Gewinnerin Lupita Nyong’o duckte sich zwar weg, «ich bin eine Ausländerin hier und kenne die Besonderheiten der politischen Situation nicht.» Ihre Jury-Kollegin Jasmine Trinca aus Italien aber sagte, was es zu sagen gibt: «Stellen sie sich vor, diese fünf Faschisten schauen sich die Filme auf der Berlinale an; vielleicht hilft ihnen das ja, ihren Horizont zu erweitern.»

Explizit zur Horizonterweiterung getaugt hätte sicherlich die Peter-Weiss-Adaption «Die Ermittlung», Regie RP Kahl. Doch der Film über den ersten Auschwitz-Prozess in Frankfurt schaffte es nicht in die Auswahl. Unter anderen Iris Berben und die Verlegerin Friede Springer wandten sich in einem Brief an Carlo Chatrian, da dieser Film vor dem Hintergrund des «aufkeimenden Antisemitismus in Deutschland» «aktueller und wichtiger» nicht sein könne. Aber Regisseur Kahl soll laut «Welt» mitgeteilt worden sein, dass im diesjährigen Programm bereits ausreichend Filme über den Holocaust vertreten seien. Ausserdem sei der Film nicht originell und zu lang (210 Minuten).

Ein 14-stündiger Film

Zu lang ist natürlich kein Argument. Die Berlinale zeigt dieses Jahr einen 14-stündigen Dokumentarfilm über die Documenta, (und es geht noch nicht einmal um die kontroverse Documenta von 2022, sondern um die von 2017.) Aber klar, eine Berlinale ist kein Wunschkonzert. Es kommt selten das, worauf man Lust hat: So ist das an diesem Festival, daran hat man sich gewöhnt.

Es fehlen notorisch die zugkräftigen Namen. Scorsese reist zwar an, aber nicht mit einem neuen Film, sondern um seinen Ehrenbären abzuholen. Sonst wird niemandem etwas geschenkt. Die Filme muss man sich erarbeiten in Berlin. Bildungsbürger sind erfahrungsgemäss im Vorteil.

Inhaltsangaben klingen zum Beispiel so: «‹Tú me abrasas› ist eine Adaption von ‹Meeresschaum›, einem Kapitel aus Cesare Paveses ‹Dialoghi con Leucò›, in dem die griechische Dichterin Sappho und die Nymphe Britomartis über Sehnsucht und Tod sprechen.»

Oder so: «Frei flottierend, doch streng gebaut, stellt dieser Essayfilm die Pädagogin und Botanikerin Catharina Helena Dörrien und ihre Zeit im 18. Jahrhundert in Oranien-Nassau vor.» In dem Werk finden «in Vorschriften und Blütenformeln Naturphilosophie und Sozialpolitik zueinander».

Gespannt sein darf man in den nächsten Tagen auch auf die puerto-ricanische Künstlerin Emilia Beatriz. Ihr «spekulativer Film spielt in einer Zukunft der Vergangenheit, in einem brüchigen Jetzt». Oder dann der koreanische Festival-Liebling Hong Sang-soo, nichts gegen ihn, aber so richtig zwingend klingt sein neuer Film nicht: «Eine Frau sitzt im Park und spielt Blockflöte.»

Bleierne Eröffnung

Auf den Atomphysiker folgt der Mann, der mit Steinkohle handelt: Cillian Murphy spielt in seinem ersten Film nach «Oppenheimer» einen einfachen Arbeiter im irischen Wexford. Mitte der 80er-Jahre schleppt dieser Bill Furlong tüchtig Kohlensäcke durch die Kleinstadt, zu Hause wäscht er ordentlich mit der Bürste die Hände, Frau und fünf Töchter warten am Esstisch. Ein guter Mann, aber «in letzter Zeit so furchtbar still», stellt die Gattin verwundert fest. Was ist mit ihm? Er haut mit der Schaufel zornig in die Kohle, immer aggressiver kratzt er sich den Russ von den Fingern. Beim Kohleausliefern hat Bill gesehen, was hinter den Mauern des örtlichen Klosters vor sich geht: Junge Frauen sind da festgehalten, die ihre Schwangerschaft vor der Gesellschaft verbergen sollen. «Small Things Like These» ist ein Film vor allem in Brauntönen, in dämmrigem Licht, mit Leuten in dicken Wollpullovern: Verdienstvoll, dass sich der Regisseur Tim Mielants der Aufarbeitung der irischen Magdalenenheime widmet, aber der Film, der die Berlinale eröffnete, ist schwerfällig und bleiern geraten.

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