Dienstag, Februar 25

In einer Wohnung in Oetwil am See sollten 450 Gramm Marihuana den Besitzer wechseln. Das ging schief. Danach waren drei junge Männer schwer verletzt und einer tot.

«Einspruch, Euer Ehren!», ruft eine empörte Zuschauerin zweimal in den Saal, während ein Verteidiger zu Beginn des Gerichtsprozesses Ausführungen zu Vorfragen macht. Die Frau kritisiert mit emotionalen Worten die Aussagen des Anwalts. Der Gerichtspräsident macht sie zweimal darauf aufmerksam, dass sie sich gar nicht äussern dürfe, und selbst wenn, laufe es hier nicht so ab «wie im Film».

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Ein bisschen wie im Film fühlt man sich allerdings schon angesichts eines für hiesige Verhältnisse ungewöhnlich grossen Publikumsaufmarsches und erhöhter Sicherheitsvorkehrungen, unter denen der Strafprozess am Bezirksgericht Meilen stattfindet. Alle Zuschauer werden am Eingang von uniformierten Polizeibeamten kontrolliert. Angeklagt sind ein 22-jähriger Schweizer und ein 22-jähriger Serbe.

Am 1. Oktober 2022, spätabends nach 23 Uhr 15, trafen sich vier junge Männer in der Wohnung des Schweizers in Oetwil am See: Es war abgemacht, dass er dem Serben 450 Gramm Marihuana zu einem Preis von 4000 bis 4500 Franken verkaufen sollte. Ein heute 26-jähriger Schweizer lieferte die Drogen in die Wohnung. Der Serbe wurde von einem 17-jährigen Portugiesen begleitet.

Der vermeintliche Käufer hatte aber gar keine Absicht, die Drogen zu bezahlen, sondern nahm in der Küche eine Schreckschusspistole hervor und hielt sie gegen die beiden Schweizer. Der 17-Jährige soll ein Messer gezückt haben. Daraufhin kam es zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung. Am Schluss waren alle vier Beteiligten schwer verletzt. Der 17-Jährige starb an den Folgen von drei Messerstichen und verblutete gemäss Anklage «nach innen und aussen».

Vorsätzliche Tötung und versuchte Tötung

Der Schweizer ist der vorsätzlichen Tötung, der versuchten vorsätzlichen Tötung und weiterer Delikte angeklagt. Der Staatsanwalt beantragt eine Freiheitsstrafe von 10 Jahren für ihn. Der zweite Beschuldigte, der in der Schweiz geborene und aufgewachsene Serbe, soll wegen versuchten qualifizierten Raubes und weiterer Delikte mit einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren bestraft und für 10 Jahre des Landes verwiesen werden.

Der 26-jährige Lieferant der Drogen, der ebenfalls lebensgefährlich verletzt worden war, ist bereits in einem separaten Strafverfahren rechtskräftig verurteilt worden, aber nur aufgrund des gescheiterten Drogendeals: Er erhielt eine bedingte Geldstrafe wegen Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz. Ein Verfahren wegen Beteiligung am Raufhandel gegen ihn wurde eingestellt. Im Prozess in Meilen wird er als Auskunftsperson befragt.

Selbst für den Staatsanwalt ist der genaue Ablauf der «Keilerei» nicht wirklich geklärt. Klar ist, dass ein grosses Jagdmesser des Hauptbeschuldigten eingesetzt wurde, das zuvor in dessen Wohnzimmer in einer Scheide an der Wand gehangen haben soll. Der Schweizer sagt aus, der Portugiese habe dieses Messer gezückt. Er nehme an, dass es der 17-Jährige an sich genommen habe, als er auf die Toilette gegangen sei.

Plötzlich habe er in den Lauf der Pistole geblickt. Er habe Todesangst gehabt und gedacht, jetzt sei es dann gleich vorbei. Was danach geschah, wisse er nicht mehr genau. In der Untersuchung gab der Hauptbeschuldigte zu, die beiden vermeintlichen Käufer mit dem Jagdmesser, das er dem Portugiesen entwunden habe, gestochen zu haben.

Der Schweizer hat keinen Lehrabschluss, ist verbeiständet und lebte – gemäss eigenen Angaben – vor der Tat vom Sozialamt. Er habe täglich acht Joints geraucht und am Wochenende Kokain konsumiert. Er befindet sich im vorzeitigen Strafvollzug und besucht dort auch eine Therapie. Die Gerichtsgutachterin diagnostizierte bei ihm mehrere psychische Störungen und eine Abhängigkeitserkrankung bezüglich Cannabis.

Der Serbe gibt zu, dass er den Schweizer habe ausnehmen wollen, um an Bargeld zu kommen. Heute wisse er nicht mehr, was er sich dabei gedacht habe. Er sei damals «jung und dumm» gewesen.

Er erzählt, er habe mit der Pistole die beiden anderen nur erschrecken wollen. Er habe gedacht, sie würden einen Konflikt vermeiden. Er erklärt, der Portugiese habe sein eigenes Klappmesser hervorgenommen. Nur der Schweizer habe das Jagdmesser in der Hand gehabt.

Der Serbe hat keinen Schulabschluss und keine Ausbildung und lebte in seiner Jugend drei Jahre in einer psychiatrischen Klinik. In der Strafuntersuchung hat er eine psychiatrische Begutachtung aber verweigert. Zu den Folgen eines Landesverweises sagt er: «Ich bin hier aufgewachsen. Ich habe kein anderes Land gesehen.» Bei einem Landesverweis wäre er verloren: «Ebenso könnten Sie mich den Haien vorwerfen.»

«Grenzen der Notwehr klar überschritten»

Der 26-jährige Drogenlieferant erzählt als Auskunftsperson, er und der Hauptbeschuldigte hätten vor dem Treffen sogar noch diskutiert, ob sie ihrerseits die Drogenkäufer ausnehmen sollten. Vom Raubversuch sei er dann völlig überrascht worden. Er habe wirklich gedacht, dass es eine echte Pistole sei, und versucht, «das Ding» von sich wegzubringen.

Er habe sich auf den Serben konzentriert und nie auf den Portugiesen geschaut und deshalb auch das Messer nie gesehen. Er wisse auch nicht, wer ihm seine lebensgefährliche Stichverletzung zugefügt habe. Er habe sie erst später bemerkt. Alles sei sehr schnell gegangen. Die Befragung muss einmal unterbrochen werden, weil der Zeuge emotional zusammenbricht und zu weinen beginnt.

Der Staatsanwalt spricht von einem Fall, der unter anderem die leichte Verführbarkeit junger Menschen und die erschreckende Gewaltbereitschaft im Gangsta-Milieu aufzeige. Auch durch DNA-Spuren sei erstellt, dass der 22-jährige Schweizer mit dem Jagdmesser auf die zwei Kontrahenten eingestochen habe. Er habe zwar zunächst in Notwehr gehandelt, deren Grenzen aber klar überschritten.

Dieser Notwehrexzess sei nicht entschuldbar. Er habe seine Opfer bis zur Wohnungstüre verfolgt und sogar noch in den Rücken gestochen. Neben der Freiheitsstrafe von 10 Jahren beantragt der Staatsanwalt auch eine ambulante Massnahme für junge Erwachsene.

Der Anwalt der Mutter des getöteten Portugiesen fordert eine Genugtuung von 45 000 Franken. Er schildert, dass der Portugiese erst kurz vor dem versuchten Raub vom Serben angeheuert worden sei und es wohl nur Zufall sei, dass er mitmachte. Das Motiv dafür werde nie geklärt werden. Der Hauptbeschuldigte habe ein «eigentliches Massaker» angerichtet. Nach dem Entreissen des Messers sei er auf jemanden losgegangen, der in jenem Moment unbewaffnet gewesen sei.

Das sei sicher keine Notwehr. Der Portugiese habe derart Todesangst gehabt, dass er sich draussen tödlich verletzt unter einem Lastwagen versteckt habe. Es sei dem 22-jährigen Schweizer nicht darum gegangen, einen Angriff abzuwehren, sondern darum, die beiden anderen zu bestrafen.

Für einen Bruder des Getöteten werden 20 000 Franken Genugtuung gefordert. Der Anwalt des 26-jährigen Zeugen beantragt für diesen eine Genugtuung von 8000 Franken, und zwar vom Serben. Zudem sei der Serbe ebenfalls wegen versuchter Tötung zu verurteilen. Deshalb hatte der Anwalt eine Rückweisung der Anklage gefordert.

Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt.

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