Sonntag, Oktober 6

Wenn die Bundeskasse leer ist, wollen viele Politiker reflexartig bei der Entwicklungshilfe sparen. Doch es gibt eine Form der Unterstützung, die auch Bürgerlichen und Wirtschaftsführern zuverlässig Herz und Portemonnaie öffnet: die Patenschaft für einen lokalen Unternehmer. Ein Augenschein in Kirgistan.

Der Mann, der sich als Renat vorstellt, empfängt die kleine Schweizer Delegation vor seinem Fabrikgebäude in Bischkek. Genauer gesagt vor seiner Fabrikbrache, denn der Zustand dieser Produktionsstätte ist ziemlich prekär.

Der frühere Gastarbeiter in Russland jedoch – ein kleiner Mann mit dunklem Teint und typisch zentralasiatischen Gesichtszügen – führt der Schweizer Gruppe sichtlich stolz das Herzstück seiner Produktion vor: eine Pressanlage, Marke Eigenbau, die spezielle, übergrosse Backsteine hergestellt. Diese werden in Lüftungsschächten grosser Gebäude verbaut.

Es handelt sich um ein Nischenprodukt, das Renat erlaubt, seine mehr als 20 Mitarbeiter im Zweischichtbetrieb arbeiten zu lassen. Er zahle ihnen überdurchschnittlich gute Löhne, versichert der Jungunternehmer.

Und Renat hat Ausbaupläne: Er reinvestiert seine Gewinne in neue Produktlinien und plant den Kauf einer eigenen Fabrik. Hier ist er zur Miete. Keinesfalls wolle er die Fehler begehen, die im postsowjetisch geprägten Kirgistan ohne kapitalistische Tradition üblich seien: dass Fabrikanten ihre Investitionen vernachlässigten und den erwirtschafteten Gewinn stattdessen für den Privatkonsum abzweigten.

Renat, da gibt es keinen Zweifel, ist ein Vollblutunternehmer mit Ambitionen. Und dieser Umstand ist eng verknüpft mit den Schweizerinnen und Schweizern, die jetzt prüfend in seiner Fabrik auf und ab gehen.

Es handelt sich um Geldgeber der Stiftung BPN oder Business Professionals Network. Die Frauen und Männer, die nach Kirgistan gereist sind, wollen hier nicht ein Patenkind in ärmlichen Verhältnissen besuchen. Sie sind vielmehr Götti oder Gotte einer lokalen Unternehmerin oder eines lokalen Unternehmers: Inhaber von Matratzen- und Textilfabriken, privaten Bildungsstätten oder wie im Fall von Renat einer Baustoff-Firma. BPN selbst bezeichnet seine Geldgeber als Investoren. Und sich selbst als «Unternehmensberatung mit caritativem Hintergrund».

Das Ziel ist, vielversprechenden Unternehmern zum Durchbruch zu verhelfen, damit sie ausbauen können. Die Rendite der Investoren misst sich an der Zahl geschaffener Jobs.

Wer eine Arbeitsstelle hat, etwa an einer Maschine von Renat steht, der erhält keine Almosen, sondern Monat für Monat einen Lohn – der nicht von einem westlichen Geldgeber bezahlt wird, sondern von einem profitablen Unternehmen vor Ort. Das ist nachhaltig und hält in einem Land wie Kirgistan mit hohen Armuts- und Arbeitslosenzahlen ganze Familien über Wasser.

Die Schweizer Stiftung stellt so unter Beweis, dass Entwicklungszusammenarbeit nicht das zu sein braucht, was sie trotz all dem guten Willen oft ist: eine gigantische Geldverschwendung. BPN fördert in Kirgistan nun schon seit 25 Jahren Unternehmer. Auch deshalb sind die Investoren der Stiftung aus der Schweiz angereist: um diesen Geburtstag zu feiern.

Die Hilfe erfolgt dabei nicht primär in Form von Krediten, sondern mit betriebswirtschaftlichen Ausbildungsprogrammen und Coaching vor Ort. BPNs Weg zur Entwicklung führt über die Vermittlung von Kenntnissen in Buchhaltung, Preiskalkulation, Mitarbeiterführung, Marketing und Co.

Von einem Schweizer Hotelier und Unternehmer gegründet

Vom inzwischen verstorbenen Unternehmer Jürg Opprecht ins Leben gerufen – dessen Familie das bekannte Spa-Hotel Lenkerhof gehört –, ist BPN in bisher fünf Ländern tätig, auch in Georgien, in der Mongolei, Nicaragua und Rwanda.

Doch Kirgistan ist Point Zero: Hier hat vor einem Vierteljahrhundert alles begonnen, weshalb es eine Reihe lokaler Unternehmer gibt, die sich bereits während Jahren und durch viele Krisen hindurch bewährt haben. Das ist keine Selbstverständlichkeit in einem jungen Land, wo es mit einer gewissen Regelmässigkeit zu Verwerfungen kommt.

Zum Beispiel Erik Kutanow, der Eigentümer einer Grossbäckerei mit 120 Angestellten. Er liefert selbst ins benachbarte Kasachstan und steht gerade vor einem grösseren Expansionsschritt: dem Bau einer neuen, dreistöckigen Fabrik und erstmals auch einem eigenen Ladennetz.

Kutanow ist mittlerweile selbst ein Vorbild für angehende Unternehmer im Land. Er leitet auch den Unternehmensverein BPN Business Association und setzt sich zusammen mit 90 anderen Mitgliedern für bessere Rahmenbedingungen im Land ein. Auch das ist ein Ziel von BPN: dass sich die Unternehmerinnen und Unternehmer, denen es unter die Arme greift, organisieren.

Sich gegenseitig zu unterstützen, ist in der Pseudodemokratie Kirgistan, wo sowohl China, Russland als auch die Türkei um Einfluss ringen, sehr hilfreich. «Firmen hier sind nicht dank den Behörden erfolgreich, sondern trotz den Behörden», so bringt es der BPN-Länderchef Thomas Lauwiner auf den Punkt – in breitem Walliserdeutsch.

Vermittelt werden auch Werte

Der Brand BPN ist in Kirgistan gleichbedeutend mit einer schweizerischen Akademie für angewandte Betriebswirtschaft. Aber er steht mindestens so sehr auch für Werte. Das betonen mehrere Redner an der Jubiläumsfeier, die selbst das Schulungs- und Coachingprogramm durchlaufen haben. BPN vermittle den Unternehmern ein Bewusstsein für Qualität, Pünktlichkeit, Ehrlichkeit. Und jenes langfristige Denken, das in einer Nomadenkultur oft fehlt – während Jahrhunderten brach man einfach die Zelte ab und zog weiter, wenn Gefahren aufzogen.

Eine lokale Angestellte der Stiftung erklärt zum Beispiel, die Idee, dass Firmen Reserven bilden sollten, um Krisen durchstehen zu können, sei den Kirgisen fremd. «Wenn man in Schwierigkeiten gerät, legt die ganze Sippe Geld zusammen.»

Diese gelebte Solidarität mag im Alltag schön und gut sein, hilft aber einem Unternehmer, der Dutzende von Löhnen bezahlen muss, nicht weiter. Und die Firmeninhaber, die seit 1999 das Programm von BPN in Kirgistan durchlaufen haben, beschäftigen zusammen immerhin schon über 15 000 Menschen.

Solche Zahlen und Erklärungen hören die aus der Schweiz angereisten Investoren gerne. Viele von ihnen sind oder waren selber an vorderster Front in der Privatindustrie tätig: als Unternehmer oder Manager. Sie wollen helfen, fremdeln aber mit der herkömmlichen Entwicklungszusammenarbeit.

Enrico Tissi zum Beispiel war während vieler Jahre in Konzernleitungen und Verwaltungsräten internationaler Unternehmen tätig. In seiner letzten operativen Funktion führte er das Nordamerikageschäft von Sika.

Ehemaliger Sika-Manager ist unter den Teilnehmern

Als er und seine Frau nach zehn Jahren New Jersey in die Schweiz zurückkehrten, suchten sie ein Schweizer Hilfswerk, das sie unterstützen könnten. Ein Freund empfahl BPN, eine Organisation, der sie nun schon seit zwölf Jahren die Stange halten. «Wir sind beeindruckt davon, wie sorgfältig BPN die Unternehmer aussucht, die sich für das Programm bewerben, und wie diese geschult und begleitet werden.» Kredite seien zweitrangig und würden nur vergeben, wenn die Unternehmer auch mit Geld umgehen könnten, sagt Tissi.

Sie hätten erst herkömmliche Hilfsorganisationen unterstützen wollen, sich dann aber für BPN entschieden. «Im Gegensatz zu diesen verteilt BPN kein Geld, sondern ermöglicht Menschen, Firmen aufzubauen und Arbeitsplätze zu schaffen. So dass sie sich ihren Lebenstraum zu Hause verwirklichen können und nicht nach Europa auszuwandern brauchen», so Tissi.

Mit von der Partie sind auch Urs Horat und seine Frau Hedi. Horat verkaufte 2017 die von ihm mitgegründete Firma Compona für elektronische Bauteile an den bekannten Investor Warren Buffett. Der gelernte Feinmechaniker und seine Frau unterstützen BPN schon seit 2008.

«Wir spenden zwar auch an andere Organisationen, aber nicht im gleichen Ausmass», sagt Horat. «Mich hat ihr Ansatz von Anfang an überzeugt: dass sie nicht Geld verschenken, sondern Unternehmer ausbilden und diese bei ihren Ausbauplänen coachen. Das Stellenwachstum bei den Firmen, die im Förderprogramm von BPN sind, zeigt, wie gut das funktioniert», sagt der frühere Unternehmer.

Horat bezeichnet sich als Liberalen, eine Haltung, die für ihn mit sozialer Verantwortung einhergehe. Sicher hätten auch seine Auslanderfahrungen den Ausschlag für eine Unterstützung von BPN gegeben. Horat heuerte in den 1960er Jahren auf eigene Faust bei Firmen in Südafrika an, war unter anderem Offizier bei der dortigen Handelsmarine und reiste danach durch Südamerika.

Die Reise nach Kirgistan ist im Vergleich dazu ein kleines Abenteuer. Aber Horat, Tissi und die anderen Investoren zeigen sich ausnahmslos begeistert von ihren Besuchen bei den Unternehmerinnen und Unternehmern, deren Schulung und Betreuung sie mitfinanziert haben.

Das Angebot entspricht auf Geber- und Empfängerseite ganz offensichtlich einem Bedürfnis, so dass die Stiftung derzeit die Expansion in ein weiteres Land vorbereitet.

Patenschaft für 250 Franken im Monat

Eine klassische Patenschaft kostet 250 Franken pro Monat und hat eine Laufzeit von zwei Jahren. Damit ermöglicht der Investor einer Unternehmerin oder einem Unternehmer die betriebswirtschaftliche Ausbildung, ein begleitendes Training und Coaching sowie die Einbindung in einen lokalen Unternehmerverein. Derzeit könnte man in Kirgistan zum Beispiel Nasikhat unter die Arme greifen, die eine Grundschule betreibt. Oder Kirill, dem Besitzer einer Möbelfabrik.

Ein Unternehmer wie Renat jedoch braucht bald keine Unterstützung mehr. Denn sobald er das BPN-Programm durchlaufen hat, steht er völlig auf eigenen Beinen: Und genau das sollte das Ziel jeder Entwicklungszusammenarbeit sein.

Exit mobile version