Mittwoch, November 12

Zwischen den rechtsextremen und den ultraorthodoxen Koalitionspartnern von Benjamin Netanyahu ist ein Disput ausgebrochen, der nur am Rand mit dem Krieg zu tun hat. Für den Ministerpräsidenten könnte er dennoch gefährlich werden.

Die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu gilt eigentlich als die stabilste israelische Koalition seit Jahren. Das Bündnis aus rechten, rechtsextremen und ultraorthodoxen Parteien hält sich trotz lauter werdenden Forderungen nach einer Neuwahl eisern an der Macht.

Zu Wochenbeginn ist in der Koalition nun aber ein Streit ausgebrochen, der zwar auf den ersten Blick belanglos erscheint und für einmal kaum etwas mit dem Krieg zu tun hat. Doch die Angelegenheit hat Sprengkraft – schon beschwören erste Parlamentarier öffentlich den Zusammenbruch der Regierung. Im Mittelpunkt des Konflikts steht der rechtsextreme Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir.

Eine Breitseite gegen Netanyahu

Der Streit beginnt am Montagabend. In der Knesset, dem israelischen Parlament, steht eine Abstimmung an über ein Gesetz der ultraorthodoxen Shas-Partei, in dem es um die Finanzierung von religiösen Einrichtungen geht. Mit ihrer Mehrheit von 64 Sitzen sollte die Koalition keine Mühe haben, die Vorlage zu verabschieden. Doch dann meldet sich Itamar Ben-Gvir zu Wort. Seine Partei Otzma Yehudit («Jüdische Macht») werde nicht für das Vorhaben stimmen – es sei denn, er persönlich erhalte einen Platz im Kriegskabinett.

Dieses hatte Netanyahu zwar nach dem Austritt von Oppositionspolitiker Benny Gantz aufgelöst, doch Ben-Gvir scheint das egal zu sein. Er fordert seit langem mehr Mitsprache bei Entscheidungen zur Kriegsführung und plädiert für mehr militärische Härte. An diesem Montag setzt er nun zur Breitseite gegen Netanyahu an: Dieser führe eine Ein-Mann-Regierung, während die Armee im Gazastreifen auf der Stelle trete und an allen Fronten vor dem Terror kapituliere.

Weil nun entscheidende Stimmen für das Gesetz der Shas-Partei fehlen, kommt es nicht zur Abstimmung, mehrere Shas-Abgeordnete verlassen wutentbrannt den Saal. Die Partei kündigt an, vorläufig nicht mehr mit der Koalition zu stimmen. «Ben Gvirs unverantwortliches Verhalten wird als Ursache für den Sturz der rechten Regierung während des Krieges in Erinnerung bleiben», sagt der Shas-Parlamentarier und Wohlfahrtsminister Yaakov Margi.

Die Blockade geht weiter

Am Dienstag setzt sich das Drama fort: Weil die Shas-Partei weiterhin die Kooperation verweigert, sieht sich Ofir Katz, der Fraktionsvorsitzende der Koalition, gezwungen, sämtliche Gesetzesvorhaben von der Tagesordnung zu streichen. In einem Brief an seine Kollegen in der Likud-Partei von Ministerpräsident Netanyahu schreibt er: «Ich hoffe, dass die Situation, in der die Koalition der Opposition hilft, uns zu schaden, ein Ende haben wird.»

Doch auch am Mittwoch bleibt die Koalition blockiert. Im Likud macht sich Nervosität breit: «Der Zerfall der Koalition vollzieht sich vor unseren Augen. Koalitionen brechen von innen heraus zusammen», sagt der Kultur- und Sportminister Miki Zohar am Radio. Sollte es zur Neuwahl kommen, würde die heutige Koalition für Jahre in die Opposition verbannt, sagt Zohar, und dafür wäre einzig und allein Ben-Gvir verantwortlich.

Kurz darauf folgt die vermeintliche Entwarnung: Die Shas-Partei kündigt an, ab sofort wieder mit der Koalition zu stimmen. «Damit zeigt Shas Verantwortung und wird in diesem Moment keine Krise verursachen, die den nationalen Bemühungen um ein Geiselabkommen schaden könnte», heisst es in einer Mitteilung der Partei.

Doch Sicherheitsminister Ben-Gvir doppelt umgehend nach und beharrt auf seiner Forderung nach einem Platz im Kriegskabinett. «Solange dies nicht geschieht, wird Otzma Yehudit die Arbeit der Koalition stören.» Nun ist es also Ben-Gvir, der die Kooperation mit der Regierung verweigert – die Blockade geht weiter.

Gallant will 3000 Ultraorthodoxe einziehen

Es ist kein Zufall, dass Ben-Gvir ausgerechnet mit den Ultraorthodoxen einen Streit anzettelt. Er zielt damit auf einen wunden Punkt der Koalition. Schon seit längerem wächst in den ultraorthodoxen Parteien die Frustration. Manche ihrer Politiker bezweifeln inzwischen, dass sich die Regierung Netanyahu wirklich um die Interessen der streng religiösen Gemeinschaft bemüht.

So war erst im Juni ein Gesetz gescheitert, das dem Oberrabbinat deutlich erweiterte Befugnisse verliehen hätte – ein Kernanliegen der ultraorthodoxen Parteien. Weil sich jedoch mehrere Likud-Parlamentarier gegen das Vorhaben stellten, musste auch dieses Gesetz auf Eis gelegt werden. «Es gibt keine Koalition, es gibt keine Disziplin», liess sich ein frustrierter Shas-Parlamentarier damals zitieren.

Für zusätzlichen Missmut sorgte Ende Juni ein Urteil des Obersten Gerichts, wonach künftig auch Ultraorthodoxe Militärdienst leisten müssen. Zwar hat Netanyahu versprochen, ein Gesetz voranzutreiben, das die Auswirkungen des Urteils mildern würde. Doch einerseits ist völlig offen, ob dieses eine Mehrheit finden wird, weil der Widerstand gegen die Befreiung der Ultraorthodoxen von der Wehrpflicht auch innerhalb der Koalition beträchtlich ist.

Andererseits treibt Verteidigungsminister Yoav Gallant die Rekrutierung der Ultraorthodoxen bereits voran. Am Mittwoch hat er angekündigt, bis im nächsten Sommer 3000 ultraorthodoxe Rekruten einzuziehen. In der Folge riefen prominente Rabbiner ihre Gemeinschaft dazu auf, die Stellungsbefehle zu ignorieren.

Ob die gegenwärtigen Spannungen tatsächlich das Potenzial haben, die Netanyahu-Regierung zu Fall zu bringen, ist unklar. Sowohl Itamar Ben-Gvir wie auch die Ultraorthodoxen dürften sich bewusst sein, dass sie bei einer Neuwahl ihre derzeitige Machtposition einbüssen dürften. So bezeichnen manche Beobachter die Drohungen des Sicherheitsministers als «Pistole ohne Munition». Dennoch werden die Voten, die einen Zusammenbruch der Koalition heraufbeschwören, immer zahlreicher. «Darauf steuern wir zu», sagte der ultraorthodoxe Parlamentarier Moshe Gafni am Montag. Später behauptete er, dies sei ein Witz gewesen. Gafni ist allerdings nicht wirklich als Humorist bekannt.

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