Die vorgezogenen Parlamentswahlen in Frankreich machen Anleger nervös. Selbst bei einem Sieg der extremen Rechten oder Linken gilt eine erneute Euro-Krise aber als wenig wahrscheinlich.
Die Ankündigung vorgezogener Parlamentswahlen in Frankreich durch Staatspräsident Emmanuel Macron hat in den vergangenen Wochen Schockwellen durch die Aktien- und Anleihenmärkte gejagt. Und die zunehmenden Sorgen über die französischen Staatsfinanzen haben zu einem Vertrauensverlust bei den Investoren geführt.
Dies spiegelt sich im gestiegenen Renditeunterschied («Spread») zwischen Staatsanleihen aus Frankreich und aus Deutschland. Gilt ein Schuldner als weniger vertrauenswürdig, so muss er an den Kapitalmärkten höhere Zinsen bezahlen. Am Freitag brachten zehnjährige französische Staatsanleihen eine Rendite von 3,29 Prozent und damit 0,8 Prozentpunkte mehr als deutsche Staatspapiere. Dies ist der höchste Renditeabstand seit den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2017.
Französische Aktien hinken hinterher
Auch am Aktienmarkt hat der Entscheid, die Parlamentswahlen vorzuziehen, deutliche Spuren hinterlassen: Der französische Leitindex CAC 40 liegt in diesem Jahr mit 0,9 Prozent im Minus und hinkt damit deutlich den Leitindizes anderer europäischer Länder hinterher. Der Aktienindex der 50 grössten kotierten Unternehmen der Euro-Zone, der Euro-Stoxx 50, liegt in diesem Jahr mit 8,2 Prozent im Plus.
Bei den Parlamentswahlen am 30. Juni und am 7. Juli könnten nun der Rassemblement national (RN) der Rechtspopulistin Marine Le Pen oder das Linksbündnis Nouveau Front populaire («Neue Volksfront») gewinnen. Die Aussichten der Mitte um Präsident Macron sehen derzeit nicht gut aus.
Investoren befürchten, dass sich die fiskalische Lage Frankreichs durch einen Wahlsieg der extremen Rechten oder der extremen Linken deutlich verschlechtern könnte. Beide Seiten stehen für noch höhere Staatsausgaben und wenig Finanzdisziplin. Wie könnte es weitergehen, wenn das RN oder die Neue Volksfront die Wahlen gewinnen? Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten zu den vorgezogenen Parlamentswahlen in Frankreich.
1. Könnte ein Wahlsieg einer extremen Partei eine Euro-Schuldenkrise auslösen?
Daniel Hartmann, Chefökonom des Asset-Managers Bantleon, hält eine unmittelbare Eskalation und Neuauflage der Euro-Schuldenkrise wie in der Zeit ab 2010 für eher unwahrscheinlich. Das RN habe sich von extremen Forderungen wie dem Austritt Frankreichs aus dem Euro («Frexit») verabschiedet und habe sich zuletzt gegenüber Brüssel eher kompromissbereit gezeigt. Es könnte aber eine schleichende Verschlechterung der Kreditwürdigkeit Frankreichs drohen. Dies würde höhere Risikoprämien für französische Staatsanleihen rechtfertigen.
Laut Matthias Hoppe, Portfoliomanager beim Fondsanbieter Franklin Templeton, kreisen die Sorgen der Anleger unter anderem um die politische Instabilität in Frankreich, die fiskalische Disziplinlosigkeit sowie eine möglicherweise unternehmensfeindliche Politik mit höheren Steuern und staatlichen Interventionen. Eine Wiederholung der Euro-Krise hält er aber für unwahrscheinlich. Der politische Rahmen der Euro-Zone habe sich seither deutlich verbessert. Die Europäische Zentralbank (EZB) verfüge über mehr Instrumente, um die Geldmärkte zu stabilisieren.
Relativ optimistisch äussern sich die Ökonomen der Bank Helaba. Sie gehen davon aus, dass sich die Skepsis der Anleger in den kommenden Wochen wieder etwas legen könnte, wenn das Wahlergebnis bekannt ist. Ein noch stärkerer Zinsaufschlag von französischen gegenüber deutschen Staatsanleihen, letztlich als Auslöser einer tieferen Krise, wäre aus ihrer Sicht wohl nur wahrscheinlich, wenn sich aus dem Wahlergebnis eine kräftige Ausweitung der Staatsverschuldung ableiten liesse.
2. Droht ein ähnliches Szenario wie in Grossbritannien unter der damaligen Premierministerin Liz Truss 2022?
An den Finanzmärkten wird debattiert, ob nach einem Wahlsieg einer extremen Partei in Frankreich ein ähnliches Szenario wie nach der Wahl von Liz Truss zur britischen Premierministerin 2022 eintreten könnte. Truss und ihr Schatzkanzler Kwasi Kwarteng hatten damals ein Programm mit Steuersenkungen und Energie-Hilfsgeldern vorgestellt, das an den Kapitalmärkten als fiskalpolitisch waghalsig interpretiert wurde und die Renditen von britischen Staatsanleihen in die Höhe trieb. Schliesslich musste die Bank of England zu Hilfe eilen und Truss nach nur sechs Wochen im Amt zurücktreten.
Laurent Denize, Co-Anlagechef bei dem Finanzinstitut Oddo BHF, betont, das ursprüngliche Programm des RN habe einen unausgewogenen Eindruck gemacht. Vertreter dieser Partei hätten aber in den letzten Wochen damit begonnen, einige kostspielige Massnahmen als weniger vorrangig zu bezeichnen. Es scheine also, dass sich das RN der durch den Anleihenmarkt auferlegten Finanzierungszwänge durchaus bewusst sei – zumal französische Anleihenemissionen historisch gesehen etwa zur Hälfte von ausländischen Investoren gezeichnet würden. Im Falle eines weiteren Vertrauensverlusts besteht die Gefahr, dass sich diese zurückziehen würden.
«Es ist zu hoffen, dass das RN aus der kurzen Amtszeit von Liz Truss gelernt hat und sich stattdessen an den Erfahrungen der Regierung von Georgia Meloni in Italien orientiert, die es geschafft hat, die Märkte für sich zu gewinnen», sagt Hoppe. Er verweist auch auf die 2027 anstehenden Präsidentschaftswahlen in Frankreich. In der Tat könnten diese die RN-Vertreter von einer Konfrontation mit den Finanzmärkten und mit Brüssel abhalten, um ihre Chancen nicht aufs Spiel zu setzen.
3. Welche Chancen und Risiken bieten französische Aktien und Anleihen?
Die schlechtere Performance des CAC 40 im Vergleich zu anderen europäischen Börsen-Leitindizes ist zu grossen Teilen in den vergangenen zwei Wochen entstanden.
Hoppe weist darauf hin, dass der Börsenindex MSCI EMU – er enthält Aktien aus der Euro-Zone, also auch aus Frankreich – sowie der Frankreich-Aktienindex MSCI France Index bis vor der Ankündigung der Neuwahlen etwa gleichauf gelegen seien. Bei einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 15 sei der Markt aber nicht gerade teuer.
Denize sieht gewisse Opportunitäten. Die Börsenkurse einiger französischer Unternehmen, die überwiegend international tätig seien und keine Finanzierungsprobleme hätten, könnten übermässig belastet worden sein, meint er. Dies gelte beispielsweise für die Aktien von Firmen, die im Bereich Luxusgüter tätig seien.
Nach der Ankündigung der Neuwahlen haben die Aktien von französischen Versorgern, Telekomkonzernen und Banken besonders gelitten. Hartmann führt dies auf die Aussichten auf eine schwache wirtschaftliche Entwicklung und mögliche regulatorische Eingriffe einer neuen politischen Führung zurück.
Die Ökonomen der Bank J. Safra Sarasin sind indessen weiterhin zurückhaltend gegenüber Anlagen in Frankreich. Es gebe hohe Risiken und nur geringe Chancen auf eine deutliche fiskalische Konsolidierung in dem Land – egal, wer letztlich die Wahlen gewinne.