Samstag, Dezember 28

Nach der Premiere von «It Ends with Us» ging ein Shitstorm über die Hauptdarstellerin Blake Lively nieder. Gut da stand dagegen ihr Filmpartner und Regisseur Justin Baldoni. Nun stellt sich heraus: Das war kein Zufall.

Die schönsten Geschichten schreibe das Leben selbst, heisst es gern, wenn ein Lebensweg sich besonders schicksalshaft oder doch zumindest überraschend windet. Schön ist an der Geschichte um die Schauspieler Blake Lively und Justin Baldoni zwar gar nichts. Doch was sich hinter den Kulissen von Baldonis Spielfilm «It Ends with Us» über häusliche Gewalt tatsächlich zugetragen haben soll, ist mindestens filmreif.

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Es zeigt einmal mehr, wie rasch die Öffentlichkeit bereit ist, Negatives über jemanden zu glauben und eine Person heftig zu kritisieren – ohne zu wissen, was sich tatsächlich zugetragen hat. Das passiert vor allem in den sozialen Netzwerken. Und es geht besonders einfach, wenn die zu kritisierende Person eine Frau ist.

Der Gute und das Biest

Nach der Kinopremiere des Films Anfang August ging ein Shitstorm über Lively nieder. Sie bewerbe den Film, als sei es eine seichte Romanze, und werde damit dem wichtigen Thema nicht gerecht. Zudem habe sie Starallüren, wolle überall mitreden und sei darum eine problematische Arbeitskollegin. Bereits Ende August war Livelys Ruf arg ramponiert. Das zeigte sich etwa in einer Verschlechterung der Verkäufe ihrer Haarpflegeprodukte und auch in einer Analyse der Marketing-Beratungsfirma Terakeet.

Gut da stand dagegen ihr Filmpartner und Regisseur Justin Baldoni. Bei Interviews äusserte er sich stets mitfühlend und manchmal kämpferisch zum Thema Häusliche Gewalt. Mit seinem Buch «Man Enough: Undefining My Masculinity» hatte Baldoni sich zudem mit der eigenen toxischen Männlichkeit auseinandergesetzt und sich als Feminist etabliert.

Der Fall schien klar: Er ist der Gute, sie das Biest. Doch kurz vor Weihnachten hat Lively Klage gegen Baldoni, den Hauptproduzenten und das Filmstudio eingereicht. Sie wirft Baldoni vor, mithilfe eines PR-Teams den Shitstorm gegen sie orchestriert zu haben – um von seinen eigenen Fehltritten abzulenken.

Die «New York Times» («NYT») hat Livelys Klage, die über erdrückendes Beweismaterial verfügt, veröffentlicht. Was darin steht, ist ein Cocktail aus Schadenfreude, Verachtung und Missgunst.

Toxisches Arbeitsumfeld

Bereits während der Dreharbeiten zu «It Ends with Us» hatte Lively sich mehrmals beim Produktionsstudio Wayfarer darüber beschwert, dass Baldoni und sein Kumpel, der Hauptproduzent Jamey Heath, sich ihr gegenüber unangemessen verhalten hätten. Sie seien etwa entgegen ihrem ausdrücklichen Wunsch mehrmals in ihren Wohnwagen am Set gekommen, während sie ihr jüngstes Kind gestillt, sich gerade umgezogen oder die für den Film aufgemalten blauen Flecken von ihrem Oberkörper gewaschen habe – dieser also entblösst war.

Auch andere Grenzen hätten die Männer überschritten, etwa indem Heath Lively ein Video seiner Frau zeigte, in dem diese nackt war, oder Baldoni ihr ungefragt Details über sein Sexleben erzählte; er soll auch von Interaktionen erzählt haben, bei denen die Frauen möglicherweise kein Einverständnis gegeben hätten. Zudem habe der Regisseur Baldoni bei den gemeinsamen Dreharbeiten spontane Kussszenen inszeniert und mehr Sexszenen zwischen sich und Lively einbauen wollen, als für die Geschichte nötig gewesen seien.

Lively hatte mit ihrer Beschwerde einerseits erwirkt, dass ein Vollzeit-Intimitätskoordinator hinzugezogen wurde, was heute bei den meisten Filmen mit sexuellen Handlungen Standard ist. Andererseits liess sie sich von Heath und dem Studio schriftlich bestätigen, dass die von ihr geäusserte Kritik keine Konsequenzen für sie haben würde.

Danach sei es tatsächlich besser geworden, schreibt Lively. Doch dann traten künstlerische Differenzen zutage. Lively störte sich an der Art, wie Baldoni und Heath den Film schneiden wollten, und erarbeitete mit einem Team von eigenen Cuttern eine neue Version. Dabei unterstützte sie auch ihr Mann, der Schauspieler Ryan Reynolds. Sony und Wayfarer entschieden sich schliesslich für Livelys Version. Sie erhielt Produzentinnenstatus – und Baldoni bekam es mit der Angst zu tun. Was, wenn Lively, die sehr viel bekannter ist als er, öffentlich über das ihrer Meinung nach toxische Arbeitsumfeld an seinem Set sprach?

«Wir können jede fertigmachen»

Kurz vor dem Filmstart engagierte Baldoni die Krisenmanagementexpertin Melissa Nathan. Sie hatte sich bereits beim Prozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard einen Namen gemacht, als sie die PR-Kampagne zur Rettung von Depps gutem Ruf koordinierte. Die in Livelys öffentlich gemachter Beschwerde aufgeführten Textnachrichten und E-Mails zwischen Baldoni, Nathan, dem Wayfarer-Studio und weiteren Beteiligten legen nah, dass Lively ebenso gezielt wie diskret angegriffen und öffentlich diskreditiert werden sollte.

Dazu gehörte etwa, dass in der offiziellen PR-Strategie von den Schauspielern verlangt wurde, bei ihren Werbeauftritten für den Film nicht allzu sehr auf das Thema häusliche Gewalt einzugehen, sondern auf positive Aspekte zu fokussieren, um das Publikum nicht abzuschrecken. Daran hielt sich Lively. Baldoni hingegen sprach das Thema stets direkt an, wofür er gelobt wurde. Nathan hat nach eigenen Angaben negative Artikel über Baldoni verhindert und ebensolche über Lively forciert. Sie erarbeitete auch eine Social-Media-Strategie, die negative Inhalte über Lively generieren und verstärken sollte.

Mit dem ersten Entwurf war Baldoni, wie man in den publizierten Dokumenten nachlesen kann, nicht zufrieden. Zu zahm. Er wolle sehen, dass Lively mit der Kampagne «begraben werden kann», schrieb eine Mitarbeiterin des Filmstudios. Expertin Nathan antwortete, man könne nicht die gesamte Strategie verschriftlichen: «Stellen Sie sich vor, ein Dokument mit all den Dingen, die er will, landet in den falschen Händen.» Dennoch beruhigte sie Baldoni und das Studio: «Sie wissen, dass wir jeden fertigmachen können.»

Frauenhass lodert schnell

Mittlerweile hat auch Baldonis ehemalige PR-Verantwortliche, Stephanie Jones, Klage gegen ihn eingereicht. Die Mitarbeiterin, die für Baldoni zuständig gewesen sei, habe Dokumente entwendet und versucht, Klienten von Jones’ Agentur zu stehlen. Darum habe sie sie entlassen und später bei der Durchsicht der Nachrichten auf dem zurückgegebenen Geschäftstelefon gesehen, dass die ehemalige Mitarbeiterin an einer Kampagne gegen Lively gearbeitet habe. Die Talentagentur William Morris Endeavor, die Baldoni bisher vertrat, hat die Zusammenarbeit nach Durchsicht von Livelys Klage beendet.

Die von Lively bereits im August in Auftrag gegebene Analyse des gesamten Google-Suchindexes auf ihren Namen ergab bereits damals, dass sie höchstwahrscheinlich Opfer einer «gezielten, mehrkanaligen Online-Attacke» geworden sei. Auf Anfrage der «NYT» sagte Baldonis Anwalt, Lively versuche mit ihrer Klage, den eigenen Ruf zu retten. Was sie sage, sei gelogen. Beweise dafür konnte er allerdings nicht vorlegen.

In einer der vielen nun öffentlich einsehbaren Textnachrichten lobt Nathan sich selbst für ihre Anti-Lively-Kampagne. Dann scheint sie plötzlich nachdenklich zu werden. Staunt wohl auch darüber, wie leicht es war, den Shitstorm über Lively zusammenzubrauen. Und schreibt über den Erfolg ihres eigenen Tuns mit distanzierter Nüchternheit: «Es ist eigentlich traurig, weil es nur zeigt, dass es Menschen gibt, die Frauen wirklich hassen wollen.»

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