Wer sein Parlamentsamt für längere Zeit nicht mehr ausüben kann, sollte die Grösse haben, den Sitz zu räumen. Niemand ist unersetzlich.
Wer als Zürcher Parlamentarier länger ausfällt, zum Beispiel wegen einer Krankheit, hat heute zwei Optionen: Er kann sein Mandat bis zur Genesung ruhen lassen, womit seiner Partei bis dann eine Stimme fehlt. Oder er kann zurücktreten und so den Weg frei machen für einen Ersatz.
Geht es nach dem Willen der Links- und Mitteparteien im Zürcher Kantonsparlament, soll es bald eine dritte Lösung geben: Eine Stellvertreterin oder ein Stellvertreter soll einspringen. Dies während mindestens dreier und höchstens zwölf Monaten.
Der Zürcher Entwurf, das sei anerkennend festgestellt, ist restriktiver und damit besser umgesetzt als in anderen Kantonen. So soll eine Stellvertretung nur für drei konkrete Fälle infrage kommen: bei Mutterschaft, Krankheit oder Unfall. Andernorts darf man sich auch für eine Weiterbildung substituieren lassen oder, was für eine Geringschätzung des Wählerwillens!, für eine längere Ferienreise.
Trotzdem ist die Zürcher Regelung überflüssig, denn gerade einer der wichtigsten Gründe für eine längere Abwesenheit, die Mutterschaft, ist inzwischen auf Bundesebene geregelt worden.
Früher war es so, dass Parlamentarierinnen nach einer Geburt ihr Recht auf Erwerbsersatz verloren, wenn sie im Mutterschaftsurlaub auch nur an einer einzigen Rats- oder Kommissionssitzung teilnahmen.
Die Frauen wurden also bestraft, wenn sie im Amt ein Kind bekamen, und das war ein falsches Signal in einer Gesellschaft, welche für ihre Parlamente eine möglichst breite Abbildung der Bevölkerung wünscht.
Seit dem 1. Juli gilt eine andere Regelung: Wenn eine Mutter will, kann sie schon wenige Wochen nach der Niederkunft ohne negative Konsequenzen wieder im Ratssaal Platz nehmen. Das ist sinnvoll, weil der Mutterschutz als Entlastung im Berufsleben gedacht ist und eine kurze Ratssitzung nicht vergleichbar ist mit einem Vollzeitjob.
Somit verbleiben als Gründe für eine längere Absenz noch Krankheit und Unfall. In beiden Fällen muss es sich um ernsthafte Ereignisse handeln, denn eine Substitution ist ja erst ab einer Abwesenheit von mindestens drei Monaten möglich.
Doch wer monatelang, möglicherweise bis zu einem Jahr, rekonvaleszent ist, sollte seine Prioritäten vielleicht anders setzen und sein Mandat freigeben. Kein Zürcher Regionalparlamentarier ist so unersetzlich, dass ein Platzhalter seinen Sitz warmhalten muss.
Eine Stellvertreterregelung ist im Übrigen ein schlechter Deal für die Einwechselspieler. Obwohl sie wenigstens temporär die vollen parlamentarischen Rechte erhalten, bleiben sie Räte zweiter Klasse.
Für wichtige Aufgaben und Kommissionen kommen sie nicht in Betracht. Reichen sie Vorstösse ein, werden sie diese nie verteidigen können, weil sie bis zur Behandlung längstens wieder weg sind. Sie sind eine Notlösung, ihre einzige und wichtigste Aufgabe besteht darin, das gleiche Knöpfchen zu drücken wie der Sitznachbar.
Die Befürworter der Zürcher Lösung führen ins Feld, dass es bei den knappen Mehrheitsverhältnissen, wie sie derzeit im Kantonsrat herrschten, besonders wichtig sei, dass es möglichst keine Absenzen gebe.
Das stimmt im Grundsatz zwar schon, ein überzeugendes Argument für ein Stellvertretersystem ist das aber nicht. Denn erstens können sich die Mehrheitsverhältnisse schon bei der nächsten Wahl verschieben, und zweitens fehlen in jeder Sitzung mehrere Parlamentsmitglieder, und zwar in der Regel nicht, weil sie gerade ein Kind bekommen hätten oder schwer erkrankt oder verunfallt wären.
Wenn die Parteien wollen, dass ihr Gewicht im Parlament maximal ausgereizt wird, dann sollten sie auf eine konsequente Anwesenheit ihrer Fraktionsmitglieder bestehen und nicht unnötige neue Gesetze und Regeln schaffen.