Donnerstag, Oktober 10

Als Souschef kochte er klassisch und auf Sterne-Niveau, als Influencer bricht er Rezeptregeln und erreicht Hunderttausende. Nun bekommt er eine TV-Show: Wer ist Noah Bachofen?

Ende vergangenen Jahres tat der Schweizer Koch Noah Bachofen Ungeheuerliches: In einem Video mischte er Rivella ins Käsefondue statt klassischen Weisswein. Das habe die gleiche Säure und Fruchtigkeit wie der Wein, sei halt «etwas verrückter», funktioniere aber wunderbar. Er brach noch eine klassische Regel: Die meisten Schweizer bereiteten ihr Nationalgericht falsch zu – ein Fondue dürfe keine Fäden ziehen, behauptete Bachofen. Zum Beweis rieb und mixte er Gruyère und Vacherin, kochte wirklich Rivella mit Maizena auf und gab dann das Käsegemisch in einen Fonduetopf mit Schweizerkreuz darauf. Das cremig-fadenlose alkoholfreie Fondue postete er auf Instagram.

Spätestens damit wurde Bachofen berühmt, er wurde zu dem Typen, der den Schweizern ihr Nationalgericht neu erklärt hat – sein einminütiges Video wurde mehr als sechs Millionen Mal angeschaut und unzählige Male nachgemacht. «Fondue ist das Gericht, zu dem jeder Schweizer eine Meinung hat, von dem jeder denkt, er kann es am besten», sagt Bachofen heute. «Ich habe die Regeln gebrochen und gemerkt: Das funktioniert.»

Noah Bachofen ist 28 Jahre alt und glaubt durchaus, dass sein Nachname seinen Werdegang an Herd und Backofen geprägt haben könnte. Früher kochte er als Souschef für ein Zwei-Sterne-Restaurant und gewann Auszeichnungen bei Kochwettbewerben. Heute kocht er als einer der erfolgreichsten Food-Influencer der Schweiz für mehr als 130 000 Follower, ihm folgen mehr Menschen als seinem Idol, dem Bündner Über-Koch Andreas Caminada. Und Bachofen bekommt dadurch seinen Kindheitstraum erfüllt: Er, der Koch aus dem Internet, bekommt eine eigene Kochshow im linearen Fernsehen. Oder, wie er es beschreibt: «Eine Show in der alten Welt, ganz oldschool.»

Er bricht dann auf Sat 1 Schweiz einige Kochregeln. In zunächst fünf Folgen bereitet er jeweils sonntagabends in seiner Show «Hype Kitchen» Trendrezepte zu und verrät Tipps und Tricks für zu Hause.

Ein Beispiel: In einer Folge brät Bachofen sogenannte Smash-Burger. «Die haben gerade einen riesigen Hype», sagt er, in etlichen Städten entstehen Smash-Burger-Restaurants. Das Besondere an den Burgern: Das Fleisch wird per Hand geformt statt durch den Fleischwolf gedreht, es wird kräftig auf die Grillfläche gedrückt (gesmasht) und erhält dadurch viele Röstaromen.

Der Ort, an dem Bachofens neue Instagram-Welt entstanden ist, liegt in einem Erdgeschossladen an einer Durchfahrtsstrasse in Glarus. Am Stadtrand, zwischen einer Kebab-Bude und einem Wirtshaus, in einem früheren Feinkostgeschäft. Bachofen hat das Schaufenster mit weissen Stoffbahnen verhängt und im Innenraum sein Kochstudio eingerichtet. Dort filmt er sich selber, wie er Karotten-Hot-Dogs, geschmorten Spargel mit Cognac oder Cordon bleu brät. Dann stellt er die Videos ins Internet. Sie werden hunderttausendfach angeklickt.

Heute trägt Bachofen Cap, weite Jeans und Schlappen und steht hinter einem grossen Küchenblock. Er hat zwei Scheinwerfer und sein Smartphone auf sich ausgerichtet, vor ihm liegen Zutaten für einen Marmorkuchen. Diesen will er heute seinen Followern vorstellen. «Ganz einfache Küche, ohne modernen Scheiss», sagt Bachofen, «ein trockener, langweiliger Marmorkuchen – voll geil.»

Das Rezept für Marmorkuchen ist auch so eines, von dem jeder denkt, dass er das beste kennt. Und wieder eines, das Bachofen neu interpretieren wird: mit Himbeeren und Blaubeeren im Teig. «Bestenfalls hat der Kuchen dann zwei Farben, aber ich hab es noch nie ausprobiert», sagt er, schaltet die Filmaufnahme ein und erhitzt mit einem Bunsenbrenner eine Stahlschüssel, in der Butter schmilzt.

Gelernt hat Bachofen das Backen und Kochen in der klassisch-alten Gastronomiewelt. Nachdem er als 12-Jähriger seinen ersten Kuchen gebacken hatte, schlug ihm seine Mutter eine Lehre als Bäcker oder Koch vor. Bachofen biss sich durch die Lehre in einem traditionellen Gasthof im Glarnerland. Später bildete sich Bachofen als Diätkoch und Küchenchef im Spital Lachen weiter und heuerte dann als Souschef bei Dominik Hartmann an, einem Shootingstar der Schweizer Gastroszene, als dieser sein Restaurant «Magdalena» bei Schwyz eröffnete.

Innert eines Jahres erkochten sie sich zwei Michelin-Sterne. Dann kamen die Pandemie, die Lockdowns und die Langeweile.

«Sterne-Kram kann kaum einer nachkochen»

In dieser Zeit begann Bachofen, auch ausgebildeter Sommelier, Tiktok-Videos über Wein zu posten. In ihnen erzählte er, wie Rosé gekeltert wird. Oder er kürte seine monatlichen Lieblingsweine. Die Videos kamen gut an, Bachofen produzierte immer mehr. Später bewegte er sich aus der Weinnische heraus und zeigte seinen Alltag als Koch: wie man Zwei-Sterne-Menus anrichtet, wie man die Gerichte auswählt. «Dabei ging es gar nicht um meine Person, das war eher eine mega Werbung für das Restaurant», sagt Bachofen, entfernt das Mark aus zwei Vanilleschoten und gibt es in seinen Teig.

Im «Magdalena» lachten die Kollegen zunächst über ihn, fanden kurios, was er im Internet postete. Als die Lockdowns vorbei waren und die Restaurantkollegen merkten, dass immer mehr Gäste wegen Bachofens Videos kamen, lachte keiner mehr.

Irgendwann ging es in seinen Videos nicht mehr um Weine oder den Restaurantalltag, sondern vermehrt um Bachofen selbst, um seine humorvolle Art und seinen Charme als Kochlehrer. Er widmete sich mit der Zeit einfacherem Essen. «Den Sterne-Kram konnte kaum einer nachkochen», sagt er und kippt nun die Himbeeren in seinen Teig. Er machte also Rezepte für vegetarische Carbonara (ganz wichtig: Pastawasser in die Sauce geben), Pizzateig (krustigen Romana, nicht luftigen Napolitana) oder «anständige» Burrata (mit Rhabarber dazu). «Die Rezepte dürfen nicht zu einfach sein, sonst sind sie langweilig», sagt Bachofen. Und sie brauchten eine Prise Frechheit.

Das Talent, Gemüse ungesund zuzubereiten

Warum Essen in den sozialen Netzwerken so gut ankommt? Alle müssen essen. «Die Menschen sind dankbar, wenn ihnen dabei jemand Inspiration liefert», sagt Bachofen. Genau dafür seien die Videos auf Social Media da, nicht dafür, dass man sie penibel nachkoche.

Diese Inspiration liefert Bachofen in tiefstem Glarner Dialekt. Oft provoziert er, sagt, er liefere jetzt das beste Rezept für dieses Gericht überhaupt, er habe gerade jene neue lokale Spezialität erfunden. In seinen Videos wirkt er wie der lustige Skater-Junge von nebenan, er nimmt sich selbst nicht zu ernst. «Wenn ich in etwas gut bin, dann ist es wahrscheinlich, Gemüse richtig ungesund zuzubereiten», sagt er in einem Video zu Brokkoli, den er mit Teig frittiert und in süss-saurer Sauce ertränkt.

Seit Anfang 2023 hat sich Bachofen auf Instagram, Tiktok und Youtube so viele Follower erkocht, dass er von seinen Videos und Kooperationen leben kann. Firmen wie BMW oder Rivella und Detailhändler wie Denner bezahlen ihn nun dafür, dass er ihre Produkte und Zutaten verwendet.

Seinen Marmorkuchen aber, den backt er nun einfach so. Für alle, die noch nie einen gebacken haben. Bachofen gibt den fertig gerührten Teig in eine kleine Backform und stellt sie in den Backofen. Nach einer Stunde bei 200 Grad hat der Marmorkuchen: zwei Farben. «So wie ich’s mir vorgestellt habe», sagt Bachofen.

8 Stunden für ein Video statt 15 Stunden in der Küche

Später wird Bachofen das Videomaterial mit einer App schneiden, seine Stimme drüberlegen und es posten. Für ein solches Video brauche er ungefähr acht Stunden – inklusive Rezeptfindung, Einkauf, Vorbereitung und putzen. Im «Magdalena» hat er, gerade in den Anfangszeiten, von 8 Uhr morgens bis 23 Uhr in der Küche gestanden.

Stattdessen nun die Kochshow. Ausserdem verkauft er einen Wein, den er mit einem Bündner Winzer herausgebracht hat, veröffentlicht sogar ein Rap-Lied, macht einen Podcast und tritt in Youtube-Formaten auf. Im Oktober wird sein erstes Kochbuch erscheinen, für das Bachofen zum ersten Mal alles abgewogen und aufgeschrieben hat, was er in seine Töpfe und Pfannen wirft.

In seinem Kochstudio steht ein massives Holzregal, es dient als Hintergrund in seinen Videos. Darin stehen Einmachgläser mit Gemüse, diverse Auszeichnungen von Kochwettbewerben und Kochbücher. «Dieses hier ist mein liebstes», sagt Bachofen und greift zu einem dicken roten Einband. «Das Kochkunstbuch vom König der Köche» vom französischen Jahrhundertkoch Paul Bocuse.

Bachofen blättert darin, freut sich über seinerzeit neue Küche. Er lacht. Nachgekocht habe er aus seinem Lieblingskochbuch aber noch nichts. Doch vielleicht wäre das eine gute Idee für ein neues Format, sagt Bachofen: Bocuse-Rezepte neu interpretieren. Und dabei einige Altmeisterregeln brechen.

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