Montag, September 30

Immer mehr Millionäre kehren Grossbritannien den Rücken. Nun könnte die Labour-Regierung mit Steuererhöhungen den Exodus der Superreichen dramatisch beschleunigen.

Für Alan Howard könnte sich die Geschichte wiederholen. Um der hohen Steuerlast in Grossbritannien im Nachgang zur Finanzkrise zu entfliehen, setzte sich der Hedge-Funds-Manager 2010 nach Genf ab. Nach einigen Jahren zog der Mitgründer der in Jersey registrierten Firma Brevan Howard Asset Management zurück in seine Heimat, wo er mit einem geschätzten Vermögen von 2,5 Milliarden Pfund auf dem 70. Platz der diesjährigen «Sunday Times»-Rangliste der reichsten Britinnen und Briten landete. Doch nun drohen unter der neuen Labour-Regierung von Keir Starmer erneut höhere Steuern. Und die Agentur Bloomberg berichtete jüngst mit Verweis auf Quellen aus dem Umfeld Howards, der Milliardär erwäge wiederum einen Umzug in die Schweiz.

Labour sorgt für schlechte Stimmung

Erhärtet haben sich die Gerüchte bisher nicht. Doch widerspiegeln sie die Stimmung, die unter Londons Superreichen verbreitet ist. Gemäss einer Erhebung der Migrations-Beratungsfirma Henley & Partners ist Grossbritannien im laufenden Jahr mit dem Exodus von rund 9500 Personen mit einem liquiden Vermögen von mindestens einer Million Dollar konfrontiert. Damit dürften 2024 mehr als doppelt so viele Millionäre dem Vereinigten Königreich den Rücken kehren wie 2023.

Ein Manager einer Investitionsfirma erklärt im vertraulichen Gespräch, die Angst vor den Steuerplänen der neuen Regierung habe die Stimmung merklich verschlechtert. Man höre von immer mehr Gutbetuchten, die Grossbritannien den Rücken kehren wollten. Das Finanzportal City A. M. wusste zu berichten, bei der Beratungsagentur Ernst & Young häuften sich die Kundenanfragen rund um einen möglichen Wohnortswechsel. Und in Private-Equity-Kreisen gebe es kaum ein anderes Gesprächsthema als den Wegzug aus Grossbritannien.

Bereits im Wahlkampf hatte die Labour-Regierung die Streichung von Mehrwertsteuer-Vorteilen auf den Gebühren von Privatschulen angekündigt. Viel stärker ins Gewicht fällt aber die vollständige Abschaffung des steuerlichen Non-Dom-Status. So sollen ausländische Anwohner künftig auch im Ausland erwirtschaftete Einkünfte voll in Grossbritannien besteuern müssen.

Das Ende des Non-Dom-Status hatte im Frühling bereits die konservative Vorgängerregierung beschlossen. Doch will Labour weitere Schlupflöcher schliessen und beispielsweise auch in Trusts gehaltene ausländische Vermögenswerte der britischen Erbschaftssteuer unterstellen. Die Vorstellung, der britische Staat könnte nach ihrem Ableben 40 Prozent ihrer gesamten globalen Vermögenswerte einziehen, beschert vielen Millionären schlaflose Nächte.

In Mark und Bein fuhr den reichen Briten auch eine Rede von Premierminister Keir Starmer vom August. Darin erklärte der Labour-Chef, die konservative Vorgängerregierung habe das Land in einem noch viel schlimmeren Zustand hinterlassen als geahnt. Darum werde der neue Haushalt, den die Regierung Ende Oktober vorlegen will, «schmerzhafte Massnahmen» enthalten – vor allem für die Briten mit den «breitesten Schultern». Jüngst erklangen aus dem Finanzministerium etwas weniger scharfe Töne. Dennoch halten sich die Gerüchte über weitere Steuern und Abgaben – wie eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes von derzeit 45 Prozent auf Einkommen von über 150 000 Pfund pro Jahr.

Grossbritannien beherbergt viele Millionäre

Die Angst vor Labours Steuerpolitik beschleunigt eine Entwicklung, die mit dem Brexit-Referendum von 2016 ihren Anfang nahm. Zwischen 2017 und 2023 haben gemäss den Zahlen der Firma Henley & Partners 16 500 Millionäre Grossbritannien verlassen. Das Vereinigte Königreich gehört damit neben Hongkong und Japan zu den wenigen klassischen Domizilen für Superreiche, die im letzten Jahrzehnt einen Netto-Abgang von Millionären aufwiesen. Zu den Gründen zählt die Beratungsfirma die wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen der letzten Jahren, die Folgen des Brexits oder auch die Sanktionen gegen russische Oligarchen.

Gemäss dem diesjährigen Global Wealth Report der UBS dürfte der Exodus anhalten. Die Grossbank prognostiziert, dass das Vereinigte Königreich bis 2028 mehr Millionäre verlieren wird als jedes andere untersuchte Land. Im Jahr 2023 wohnten noch rund 3 Millionen Millionäre in Grossbritannien. Bis in vier Jahren dürfte ihre Zahl laut der UBS auf gut 2,5 Millionen sinken.

Paul Donovan, Chefökonom bei UBS Wealth Management, schreibt auf Anfrage, das Vereinigte Königreich habe bis anhin fünf Prozent aller weltweiten Millionäre beherbergt. Nur in China und den USA lebten mehr Dollar-Millionäre als in Grossbritannien, was angesichts der relativen Grösse der britischen Bevölkerung und Wirtschaft bemerkenswert sei. Da weltweit insgesamt deutlich mehr nomadische Millionäre ihre Wohnorte wechselten, sei Grossbritannien von dieser Entwicklung nun auch überproportional stark betroffen, erklärt Donovan.

Schweiz, Dubai oder Italien?

Doch wohin ziehen die Superreichen? Das Portal City A. M. zählt die Schweiz zu den potenziellen Nutzniessern eines britischen Exodus. Anekdotisch ist in London auch zu hören, Millionäre zögen nach Dubai, wo keine Einkommenssteuern anfielen. Oder nach Italien, das auch nach der Verdoppelung der Pauschalsteuer auf ausländische Einkünfte für Superreiche attraktiv bleibt.

Gemäss der UBS-Studie werden bis 2028 Taiwan und die Türkei den grössten Zuwachs von Dollar-Millionären erleben – mit 47 Prozent und 43 Prozent mehr im Vergleich zu 2023. Die Schweiz befindet sich mit einem prognostizierten Zuwachs von 19 Prozent im Mittelfeld der Rangliste.

Grossbritannien hat im globalen Standortwettbewerb noch immer Trümpfe in der Hand. So bietet London mit dem innovativen Finanzplatz, dem offenen Immobilienmarkt, einem Heer findiger Anwälte und Vermögensberater, renommierten Privat- und Hochschulen sowie allen Vorzügen einer westlichen Weltstadt eine einzigartige Mischung an.

Schwächt die Regierung ihre Pläne ab?

Dass die Abwanderungsgelüste der britischen Superreichen in den letzten Wochen verstärkt an die Öffentlichkeit drangen, ist auch Ausdruck politischen Lobbyings mit Blick auf die Präsentation des Staatshaushalts von Ende Oktober. Bisher hatten Starmer und seine Finanzministerin Reeves gegenüber der Wirtschaftselite betont kooperative Töne angeschlagen und erklärt, sie wollten das Investitionsklima verbessern. Nun müssen sie aufpassen, dass sie mit ihrer Fiskalpolitik nicht zu viele reiche Steuerzahler in die Flucht schlagen.

Laut dem «Guardian» befürchtet man in Teilen der Verwaltung, die komplette Aufhebung des steuerlichen Non-Dom-Status könnte dem Finanzministerium wegen des drohenden Exodus der Superreichen am Ende gar nicht die dringend benötigten Mehreinnahmen bescheren. Mehrere britische Medien berichteten jüngst, Reeves sei bereit, ihre Steuerpläne bei der konkreten Ausgestaltung etwas abzuschwächen – und damit sicherzustellen, dass sie für den britischen Staat nicht zum Verlustgeschäft werden.

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