Sind Privilegien einmal eingeführt, bringt man sie fast nicht mehr weg. Der Nationalrat hat am Mittwoch diese eiserne Regel der Politik bei der Mehrwertsteuer-Begünstigung für den Tourismus bekräftigt.
Möglichst breite Steuerbasis, möglichst tiefe Steuersätze: Das ist eine goldene Regel der Steuerpolitik. Diese Kombination begrenzt am ehesten Ausweichmanöver, Abgrenzungsprobleme, den administrativen Aufwand und den Beratungsbedarf für Steuerpflichtige – und damit die wirtschaftliche Verschwendung. In der realen Politik sind dagegen Ausnahmen und andere Steuerprivilegien beliebt: Man kann damit seine Klientele subventionieren, ohne dies offiziell als Subvention bezeichnen und im Bundesbudget als Ausgabenposten ausweisen zu müssen.
Einen Fall für das Lehrbuch liefert die Mehrwertsteuer. Nebst über einem Dutzend generellen Ausnahmen sticht vor allem die Koexistenz von drei verschiedenen Steuersätzen ins Auge: Nebst dem Normalsatz (zurzeit 8,1 Prozent) sind dies der reduzierte Satz für Lebensmittel und gewisse andere Produkte (2,6 Prozent) sowie der Sondersatz für die Hotellerie einschliesslich Frühstück (3,8 Prozent).
Durch einen Einheitssatz und die Reduktion von Ausnahmen liesse sich der ordentliche Satz um etwa anderthalb Prozentpunkte senken. Doch das war bisher nicht mehrheitsfähig, kraft einer Konstante der Politik: Eingeführte Privilegien bringt man kaum mehr weg.
Das hat der Nationalrat am Mittwoch bestätigt – mit seiner Zustimmung zu einem parlamentarischen Vorstoss, der die Verlängerung des bis 2027 befristeten Sondersatzes für die Hotellerie fordert. Der Ständerat hatte diesen Vorstoss bereits im März angenommen. Deshalb muss nun der Bundesrat ein Gesetzesprojekt dazu bringen.
Zum siebten Mal
Die Schweiz hatte die Mehrwertsteuer 1995 eingeführt. Damit wurde im Grundsatz nur noch der Konsum besteuert – und nicht mehr wie bei der alten Warenumsatzsteuer auch die Investitionen. Der Sondersatz für die Hotellerie gilt seit Oktober 1996. Der Sondersatz war damals befristet, doch es gab seither schon sechs Verlängerungen. Nun ist also Nummer 7 fällig.
Gemäss Bundesrat wurde der Sondersatz 1996 vor allem als vorübergehende Nothilfe für die leidende Tourismusbranche eingeführt. Der Branche geht es zurzeit viel besser, aber Privilegien sind Drogen: Bei Entzug kommt ein Aufschrei. Und es gab schon damals auch prinzipielle Begründungen für die Einführung des Sondersatzes, wie die Parlamentsberichterstattung der NZZ von 1995 und 1996 zeigt.
So argumentierten damals die Befürworter, dass die Exportindustrie mit der Einführung der Mehrwertsteuer durch den Wegfall der Investitionsbesteuerung ein «Fiskalgeschenk» erhalten habe – und deshalb solle auch der Tourismus als exportähnliche Branche eine Steuerentlastung bekommen. Der damalige Finanzminister Kaspar Villiger war dieser Argumentation vergeblich entgegengetreten – mit dem Hinweis, dass der Systemwechsel kein Steuergeschenk für die Exportindustrie gebracht habe, sondern die Doppelbesteuerung im In- und Ausland vermeide. Exportgüter sind zwar von der Schweizer Mehrwertsteuer ausgenommen, doch sie unterliegen der Mehrwertsteuer im Bestimmungsland.
Rund 30 Jahre später führen die Befürworter des Sondersatzes für die Hotellerie immer noch das Exportargument ins Feld. Die Wirtschaftskommission des Nationalrats hatte sich jüngst in ihrem Bericht an den Rat in kreativer Rhetorik geübt: Es gehe nicht um eine Sonderbehandlung, «sondern um eine Ausgleichsmassnahme für eine Branche mit besonderen strukturellen Herausforderungen». Die Hotellerie sei mit einem Auslandsanteil von rund 55 Prozent ein bedeutender Exportsektor, könne aber die Dienstleistungen nicht ins Ausland verlagern. Die Branche sei personalintensiv und «empfindlich gegenüber Wechselkursschwankungen».
300 Millionen pro Jahr
Laut den Befürwortern kennen die meisten EU-Länder ebenfalls einen Sondersatz für die Hotellerie. Die Kritiker einschliesslich des Bundesrats entgegneten, dass dieser Sondersatz in den meisten EU-Ländern höher sei als der Normalsatz in der Schweiz. In den EU-Ländern beträgt der Normalsatz der Mehrwertsteuer nicht 8,1 Prozent wie in der Schweiz, sondern 15 bis 27 Prozent. Laut den Gegnern hat die Tourismusbranche heute eine Steuersubvention mit der Giesskanne nicht nötig, und spezielle Probleme in gewissen Regionen seien durch gezieltere Massnahmen anzusprechen.
Aus Sicht der Mehrwertsteuerlogik wird der Konsum besteuert – am Ort des Konsums. Der Konsum von touristischen Dienstleistungen in der Schweiz von Schweizern und Ausländern unterliegt folgerichtig der hiesigen Mehrwertsteuer. Die Logik des Steuersystems ruft nicht nach einem Sondersatz für die Hotellerie. Aus der Logik des Brancheninteresses sieht es indes anders aus.
Das Brancheninteresse überwog im Parlament. Im Ständerat gab es im März nur drei Gegenstimmen. Im Nationalrat war das Ergebnis nicht ganz so deutlich, mit 119 Ja zu 59 Nein bei 14 Enthaltungen. Die Ja-Mehrheit kam vor allem kraft Stimmen aus SVP, Mitte und FDP zustande. Die Linke (mehrheitlich) und die Grünliberalen stimmten dagegen.
Die Verlängerung des Steuerprivilegs erscheint in keinem Ausgabenposten, doch dies beeinflusst die Einnahmen. Der Bund muss nun in seiner Finanzplanung ab 2028 diese Verlängerung berücksichtigen, was die erwarteten Steuereinnahmen um etwa 300 Millionen Franken pro Jahr reduziert. Das sorgte vor allem für Widerstand von der Linken. Wer bezahlt die Rechnung? Das könnten andere Steuerzahler sein – weil andere Steuern dafür steigen oder weniger sinken werden. Oder es könnten Begünstigte von Staatsausgaben sein, weil gewisse Staatsausgaben weniger wachsen. Doch heute lässt sich nicht abschätzen, wer am Ende wie viel der Kosten trägt. Das macht solche Steuerprivilegien politisch attraktiv.