Dienstag, März 11

Der Ständerat hat die Grossreform knapp gutgeheissen – aber nur, weil die FDP über ihren Schatten gesprungen ist. Wie es weitergeht, ist unklar.

Revolutionen sind im sperrigen politischen System der Schweiz nicht vorgesehen. Doch die Vorlage, die das Parlament zurzeit vorantreibt, hat tatsächlich das Zeug, zumindest die Steuerpolitik zu revolutionieren: Der Ständerat hat sich am Montagabend dafür ausgesprochen, in der Schweiz die Individualbesteuerung einzuführen. Künftig sollen nicht mehr nur Alleinstehende und Konkubinatspaare, sondern auch verheiratete Paare ihre Einkommen und Vermögen individuell deklarieren und versteuern. Heute füllen Ehepaare eine einzige Steuererklärung aus. Sie werden zusammen veranlagt, weil die Ehe als Wirtschaftsgemeinschaft gilt.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Mit der Individualbesteuerung könnte der Bund die «Heiratsstrafe» abschaffen, von der ein Teil der Ehepaare – vor allem Doppelverdiener mit höheren Löhnen – betroffen ist. Sie bezahlen mehr Steuern als ledige Paare in denselben Verhältnissen. Allerdings gibt es auch Ehepaare, für die das Jawort steuerlich attraktiv ist. Dies gilt primär für Einverdienerpaare, bei denen eine Person kein Einkommen erzielt oder nur ein sehr tiefes. Mit der Individualsteuer würde der Zivilstand keine Rolle mehr spielen.

Doch es gäbe neue Verwerfungen. Vor allem wäre plötzlich die Aufteilung der Einkommen auf die beiden Partner relevant. Verdient ein Paar total 150 000 Franken, bezahlte es bei einer Aufteilung im Verhältnis 60:40 neu gut 700 Franken Bundessteuer – bei einer Aufteilung 90:10 wären es gut 4000 Franken (Bundesratsvorlage).

Die Individualbesteuerung wäre eine der grössten Reformen seit langem. Nicht nur der Bund, sondern sämtliche Kantone müssten ihre Steuergesetze zu ändern. Im Prinzip stehen die Zeichen gut. Bereits vergangenes Jahr hat sich auch der Nationalrat dafür ausgesprochen. Und doch ist das Absturzrisiko hoch, nach den jüngsten Entscheiden des Ständerats erst recht.

Alleinverdiener zahlen mehr

Nur sehr knapp, mit zwei Stimmen Unterschied, hat die Vorlage eine Mehrheit gefunden. Im Nationalrat war es ähnlich eng. Zwei Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber: Das konservative Duo – SVP und Mitte – will die Revolution verhindern und an der gemeinsamen Besteuerung festhalten. Mitte und SVP wollen die «Heiratsstrafe» ebenfalls abschaffen, aber innerhalb des bestehenden Systems. Auf der anderen Seite steht die heterogene Allianz der Erneuerer: FDP, SP, Grüne und GLP setzen sich für die Individualbesteuerung ein. Sie entspreche besser den heutigen Realitäten, verbessere die Erwerbsanreize vor allem für Frauen und diene der Gleichstellung.

Wie fragil diese Allianz ist, zeigte die Ständeratsdebatte vom Montag. Die Freisinnigen mussten über ihren Schatten springen, damit die Vorlage in der Gesamtabstimmung nicht scheitert. Die Schnittmenge zwischen ihnen und Rot-Grün ist klein. Zwar sind alle Beteiligten im Prinzip für die individuelle Besteuerung. Doch sobald es konkret wird, zeigen sich Differenzen. Für die FDP ist wichtig, dass die Reform nicht zu viele Verlierer produziert, die höhere Steuern bezahlen müssten. Davon betroffen wären primär Alleinverdiener, die heute von einem «Heiratsbonus» profitieren.

SP und Grüne hingegen wollen die Einnahmenausfälle eindämmen. Mit dem Vorschlag des Bundesrats müssten Ehepaare gesamthaft etwa 900 Millionen Franken weniger zahlen als bisher. Die SP-Ständerätin Eva Herzog präsentierte eine Variante, welche diese Entlastung mehr als halbieren würde. Leidtragende wären insbesondere Einverdienerpaare mit hohen Einkommen, die mit noch grösseren Mehrbelastungen rechnen müssten als gemäss der Variante des Bundesrats. Auch mit dieser würde die Progression etwas steiler ausgestaltet, als sie es bereits ist; mit Herzogs Vorschlag würde sie im obersten Bereich zusätzlich noch verschärft.

Zwei gegensätzliche Initiativen

Das ging der FDP zu weit – und doch haben ihre Ständeräte am Ende genau dieser Lösung zugestimmt. Vergeblich hatte der Parteipräsident Thierry Burkart versucht, mit einem kurzfristig eingereichten Antrag einen Kompromiss einzufädeln. Er sagte selbst, sein Vorschlag sei vielleicht nicht der Weisheit letzter Schluss und müsse noch genau geprüft werden. Er gebe offen zu, dass auch er selbst noch nicht wisse, ob er am Schluss seinem eigenen Vorschlag tatsächlich zustimmen könnte. Es kam dann ohnehin anders: Die Variante der SP hat obsiegt, und die FDP hiess die Vorlage trotzdem gut.

Nun ist wieder der Nationalrat am Zug. Ob das Lager um SP und FDP eine Einigung findet, ist fraglich. Demnächst kommt zudem die Mitte-Initiative ins Parlament, welche die Individualbesteuerung explizit verhindern will. Eine Initiative der FDP-Frauen, die das Gegenteil verlangt, ist bereits hängig. Vermutlich muss das Volk den Grabenkampf entscheiden, wenn das Parlament dazu nicht in der Lage ist.

Exit mobile version