Montag, Oktober 7

Die Kulisse ist perfekt, der romantische Urlaub kann kommen. Doch ständig gibt es Zank. Das muss nicht sein – eine Anleitung.

Eine Frau und ein Mann sitzen in einem Restaurant, sagen wir, irgendwo zwischen der Toskana und Nizza. Azurblau der Himmel, eine sanfte Brise streichelt den Nacken. Eigentlich ist alles perfekt. Keine Verpflichtungen, keine To-dos. Doch die Stimmung ist frostig: Zwischen dem Paar herrscht eisiges Schweigen. Manch entspannter Beobachter mag darüber den Kopf schütteln. Dabei kommt Streit während der Sommerferien in den besten Beziehungen vor – und zwar nicht selten.

Eine Erhebung unter 5000 Singles kam 2018 zum Schluss, dass jeder vierte bereits grössere Auseinandersetzungen in den Ferien erlebt hat. Eine andere Umfrage besagt, dass ein Viertel der Befragten sich schon einmal direkt nach den Sommerferien getrennt hat. Die romantische Vorstellung von gemeinsamen Ferien an der Wärme entpuppt sich in der Realität oft als Zerreissprobe. Wir mögen zwar in traumhafte Gefilde reisen – doch die Probleme, die wir als Paar haben, bringen wir von zu Hause mit.

Es sind nicht unbedingt das verregnete Wetter, die massive Hitze oder eine Unterkunft, die so ganz anders aussieht als im Internet, welche in den Ferien zu Streit führen. «Vielmehr sorgen zu hohe Erwartungen an die freie Zeit und unterschiedliche Bedürfnisse für Konflikte», sagt die Schweizer Psychoanalytikerin und Autorin Verena Kast. Sie arbeitete viele Jahre als Professorin an der Universität Zürich.

Intensive Zeit auf engem Raum

In der Ferienzeit ist eine Ressource, die im Alltag oft knapp ist, plötzlich im Überfluss vorhanden: Zeit. Und meist will einer von beiden diese kostbaren freien Stunden nicht nur mit dem Partner oder der Partnerin verbringen, sondern auch mit sich selbst.

Ein erster Konfliktpunkt.

Ist dieser überwunden, folgt bereits der nächste: Wie verbringt man die gemeinsame Zeit? Während sich der eine gerne unter die Leute mischt und Ausflüge in die umliegenden Städtchen unternehmen will, bevorzugt der andere die Ruhe im Ferienhaus bei einer guten Lektüre.

Doch sind es tatsächlich nur die unterschiedlichen Ferienvorstellungen, die grössere Krisen in Beziehungen auslösen?

Verena Kast erklärt: «Als Paar regulieren wir im alltäglichen Zusammenleben ununterbrochen die Nähe und Distanz zwischen uns, ohne es zu merken.» Streit entsteht also, wenn Grenzen gesetzt wurden, aber ein Partner die Grenzen erweitern will. «Wenn mein Partner nun ständig über meine Grenzen geht und zum Beispiel über mich verfügt, mich ständig entwertet oder anschreit, dann ärgere ich mich.»

Weil man in den Ferien auf engem Raum intensiv Zeit miteinander verbringt, kommt es schliesslich zur Auseinandersetzung – man kann sich dem Gegenüber nicht so leicht entziehen. Kast schlägt vor, gar nicht erst zu erwarten, dass der Partner – oder man selbst – unter Palmen plötzlich ein friedfertiger Mensch ist.

Ärger sei im Grunde sinnvoll, sagt die Psychoanalytikerin: Er zeigt nämlich, dass wir unseren Selbstwert aufrechterhalten und uns verteidigen. Doch wir müssen lernen, mit ihm umzugehen. «In einer Beziehung wirken immer zwei Menschen aufeinander ein. Dieses Einwirken kann positiv, aber eben auch negativ sein. Und manchmal ist der Konflikt gar nicht negativ – wir empfinden ihn bloss so.»

Dem Konflikt bereits zu Hause vorbeugen

Wie aber können wir verhindern, dass ein grösserer Konflikt in den Ferien überhaupt erst entsteht? Indem man sich schon in der Heimat vorbereitet. Hier sind die vier wichtigsten Punkte:

1. Halten Sie die eigenen Erwartungen realistisch. Sich klarzumachen, dass in den Ferien nicht alles perfekt sein muss, befreit vom inneren Druck.

2. Räumen Sie sich gegenseitig Freiräume ein. Das beugt Spannungen vor. Am besten berücksichtigen Sie dies bereits in der Planung. Zum Beispiel, indem Sie fixe Zeitfenster während des Tages vereinbaren, in denen jeder etwas für sich unternimmt. Als Paar darf man sich ruhig von dem Gedanken verabschieden, in den Ferien alles gemeinsam machen zu müssen.

3. Vermeiden Sie in Ihren Gesprächen Grundsatzdiskussionen über den Charakter des anderen. Sie führen selten zum Ziel. Verkneifen Sie sich auch bewertende Aussagen, die mit einem «Du bist immer so . . .» beginnen – ob in den Ferien oder zu Hause.

4. Sprechen Sie in der freien Zeit keine Themen an, bei denen Sie schon zu Hause oft aneinandergeraten. Besser ist es, bereits zu Hause eine Lösung für diese Themen zu finden: Drehen Sie sich beispielsweise beim Thema Geld im Kreis, dann einigen Sie sich auf einen Finanzplan, in dem festgelegt ist, wie viel jeder in die Ferienkasse legt – und wie viel Budget in den Ferien zur Verfügung steht.

Kommt es in den Ferien doch zum akuten Krach, schlägt die Psychoanalytikerin vor, sich für eine halbe Stunde zu trennen: «Dann schreibt jeder auf, worum es beim Konflikt geht und was die Hauptpunkte sind, die einen stören.» Anschliessend solle man sich zu einem Streitgespräch wiedertreffen und versuchen, die notierten Punkte miteinander zu diskutieren.

«Oft warten wir leider viel zu lange, bis wir unseren Ärger ansprechen. Doch zu verhandeln, ist das Einzige, was hilft», sagt Kast. Anstatt sich gegenseitig in der Lautstärke zu überbieten, empfiehlt sie, erst miteinander zu diskutieren, wenn man sich wieder in Ruhe zusammensetzen kann. «Sobald es nicht mehr um die tatsächlichen Themen geht, sollte man jedoch abbrechen.»

Wann zur Therapie zu gehen?

Bei einem klärenden Gespräch sollten sich laut Verena Kast beide darum bemühen, sich dem zu nähern, was einen wirklich ärgert. Sind es tatsächlich nur die stehengelassenen Küchenutensilien, kann man das unter Eigenarten verbuchen und sich fragen: Wie wichtig ist es, dass wir uns nun darüber streiten?

Schleudert die Partnerin aber immer wieder die nassen Badesachen auf meine Lieblingsliege, will sie mir vielleicht etwas damit sagen. «Und meistens steckt auch hinter den Kleinigkeiten, die uns wütend machen, etwas Tieferes», ist die Psychoanalytikerin überzeugt.

Verena Kast sagt: «Es braucht nicht unbedingt eine Psychotherapie. Vielmehr kommt es darauf an, wie gut wir uns selbst kennen, unsere Gefühle formulieren und miteinander reden können.» Wenn eine Frau zum Beispiel früher von den Männern nicht geachtet worden sei, übertrage sie das unbewusst auf ihren Partner. «Wenn sie das benennen kann und sagt: ‹Weisst du, wenn du mir ständig alles aus der Hand nimmst, dann habe ich das Gefühl, dass du mir nichts zutraust›, entsteht daraus ein Dialog über etwas Grundsätzliches, der zu mehr Verständnis und Nähe führen kann.»

Das Problem liege in der Paarbeziehung häufig darin, dass keine wirkliche Gleichberechtigung herrsche: Das Wort des einen ist mehr wert als das des anderen. Genau das mache konstruktives Streiten schwierig – besonders in den Ferien, wo Angestautes plötzlich an die Oberfläche trete.

Was also braucht es für ein zugewandtes und lösendes Gespräch?

Eine freundliche Grundstimmung und ein herrschaftsfreier Dialog sind laut Kast die Voraussetzung, um miteinander über Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen.

«Weder versteinert abzublocken, noch hysterisch herumzuschreien ist besser», sagt Kast. Das Schreien sei ein Zeichen der Hilflosigkeit und zeige, wie wenig sich jemand wahrgenommen fühle. Wenn der Partner hingegen mit Rundumschlägen kontere, gehe es meistens weniger um Beziehungsprobleme als vielmehr um die Person selbst und ihre eigenen Probleme.

«Einige Menschen fallen in Konfliktsituationen komplett in sich zusammen und werden depressiv – die können einem ein wahnsinnig schlechtes Gewissen machen», sagt Kast. «Und wieder andere greifen zu Gewalt, weil sie überhaupt nicht formulieren können, was in ihnen vorgeht – da würde ich dann schon zu einer Therapie raten.»

Gelingt es einem Paar nicht mehr, sich einfach zusammenzusetzen und zu sprechen, sollte man sich fragen, ob man in einer dysfunktionalen Beziehung steckt: Oft stehen die Bedürfnisse des einen im Vordergrund, während der andere Partner die Aufgabe hat, diese Bedürfnisse zu erfüllen. Doch Gründe für wiederkehrende Streite können auch fundamentale Zweifel an der Beziehung sein. Dann wird Streit provoziert, um sich zu beweisen, dass die Beziehung nichts mehr hergibt.

Ein Streit muss nicht gleich die Trennung einläuten

Die Psychoanalytikerin weist darauf hin, dass auch die Wahrnehmung eines Streits stark auseinanderklaffen kann: Während sich der eine Partner nur etwas Luft verschaffen musste, erlebt der andere den Streit bereits als Angebot zur Trennung. Doch ein Beziehungskrach am Strand bedeutet nicht, dass man gleich über eine Trennung nachdenken muss. Es bedeutet erst einmal nur, dass wir unsere Bedürfnisse nicht wirklich miteinander verhandelt haben. Und dass sich einer von beiden vielleicht zu stark angepasst hat.

Eine Entschuldigung braucht es laut Kast nicht immer. Zumindest nicht, wenn diese nur als Worthülse ausgeführt werde: «Besser ist es, wenn beide sich eingestehen, dass sie wieder straucheln und es wieder versuchen werden.»

Falls es nun doch zum Zwist kommt, sollte man die Option im Kopf behalten, dass es nicht immer nur am anderen liegt. Manch einer, der am Strand aufs Meer blickt und sich zu langweilen beginnt, könnte dazu tendieren, zu glauben, der Partner sei öde und nervig. Anstatt sauer zu werden, wäre es der richtige Moment, zu überlegen, worauf man selbst gerade Lust hat.

Ein Glacé? Ein Strandspaziergang? Ein kurzer Plausch mit anderen Reisenden? So manche Wolke lässt sich vertreiben, bevor sie sich zu einem Gewitter zusammenbraut.

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