Sonntag, September 8

Medienkonzerne locken mit Live-Streaming immer noch mehr Publikum an. Der klassische Sportjournalismus hingegen verschwindet allmählich. Ist das schlimm? Fürs Geschäft jedenfalls nicht.

Es war wohl nur eine Frage der Zeit. Anfang Februar war es dann so weit. Damals gaben drei der grössten Medienkonzerne der Welt bekannt, dass sie gemeinsam ein gigantisches Projekt realisieren wollen. Ab Herbst soll die Sportberichterstattung in den USA, vor allem die Live-Übertragung von Spielen und Veranstaltungen, einen völlig neuen Zuschnitt erhalten.

Dass die Unternehmen auf dem klassischen TV-Markt mit ihren Kabelkanälen und kryptisch klingenden Markennamen wie ESPN oder FS1 einander bisher befehdeten und sich gegenseitig Marktanteile streitig gemacht haben, scheint vergessen. Nun wollen sie ihr komplettes Repertoire aus exklusiven Senderechten in einem Joint Venture bündeln.

Zum Paket zählen Spiele der populärsten Ligen wie der NFL, NBA, NHL und der Major League Baseball. Dazu kommt eine Mischung aus Fussballpartien aus der ganzen Welt, inklusive der Übertragungen der Weltmeisterschaft 2026 in Nordamerika. Das neue Angebot soll in einer App verfügbar sein, deren Programm Abonnenten für eine Gebühr exklusiv auf ihren Smartphones, iPads und Computern abrufen können. Einen Namen hat das Megaprojekt von Disney, Fox und Warner Discovery noch nicht. Und was Verbraucher bezahlen müssen, ist noch unklar.

Doch allein die Ankündigung machte jene Konkurrenten hellwach, die den «besorgniserregenden Trend» zur Monopolisierung beklagen. Fubo, ein Digitalspezialanbieter, der in den letzten Jahren sein eigenes Netzwerk für Live-Sport-Streaming aufgebaut hatte, reichte prompt eine Klage wegen Verstosses gegen das amerikanische Kartellrecht ein. Fubo schätzt, dass die neue Allianz auf einen Marktanteil von 60 bis 85 Prozent kommen werde und schon bald «Marktbedingungen diktieren» könnte, die «nicht den Interessen von Sportkonsumenten gerecht» würden.

Die technische Revolution erfasst nach den Printmedien nun auch das Sportfernsehen alter Prägung

Die Scharmützel der Sportmedien-Giganten um teure Lizenzrechte, attraktivere Ausstrahlungsmöglichkeiten und zahlungskräftige Kunden sind Teil einer massiven und dramatischen Entwicklung im und rund um den kommerziellen Sport. Ihre Ursprünge liegen in der Digitalisierung und der Allgegenwart handlicher Endgeräte mit WLAN-Möglichkeiten. Die technische Revolution, die im Sport bereits für das langsame Sterben und den Tod einst erfolgreicher Printmedien wie der Wochenzeitschrift «Sports Illustrated» und des angesehenen Sportteils der «New York Times» sorgte, hat inzwischen auch das Sportfernsehen alter Prägung erfasst.

Um das wachsende, zugleich aber ständig teurer werdende Geschäft mit Sportrechten – derzeit werden damit weltweit jährlich rund 55 Milliarden Dollar umgesetzt – weiter anzukurbeln und gleichzeitig daran zu verdienen, ist Kreativität gefragt. Ein Publikum, das dafür bezahlt, gibt es. Fubo etwa verlangt knapp 70 Dollar im Monat als Mindestgebühr und bietet dafür 100 Kanäle. Sein Jahresumsatz? Eine Milliarde Dollar.

Der Reiz, solche Abos abzuschliessen, hat vor allem mit einer Faszination zu tun, die andere Bereiche der Gesellschaft nicht bieten können. Sport, so sagt der renommierte Wirtschaftswissenschafter Victor Matheson, «ist eines der letzten Dinge, die wir uns live ansehen».

Unterstützt wird das Geschäft von einer Medienkultur, die aus Athleten Überfiguren und Superstars mit Millionen von Instagram-Followern macht. Den Sogeffekt kennen Sportspezialisten wie Matheson, der Professor an der Universität Holy Cross in Worcester, Massachusetts ist, aus der klassischen Unterhaltungsindustrie. «Früher konnte ich die örtliche Amateurliga in meiner Stadt nur live mitverfolgen, wenn ich ins Stadion ging. Jetzt kann ich mir Manchester City anschauen.» Diese Möglichkeit wiederum hat Nebeneffekte: «Wenn ich wenig Zeit habe, dann will ich einfach nur die Besten sehen.»

Solche Optionen treiben den Kampf um Aufmerksamkeit weiter voran. Kleinere und Schwächere kommen dabei zu kurz. «Die Globalisierung hilft sicher nicht der Schweizer Fussballliga», sagt Matheson. «Aber sie hilft der Premier League.»

Die englische Liga erreichte in den USA im letzten Jahr erstmals Platz eins im Zuschauer-Ranking und übertraf damit die lange Zeit in der Publikumsgunst führende Liga MX aus dem Nachbarland Mexiko. Die amerikanische Profiliga Major League Soccer (MLS) kommt im eigenen Land nur auf den dritten Rang.

Wachsenden Zuspruch verzeichnet die MLS allerdings bei der Generation der 20- bis 30-Jährigen, einer Zielgruppe, die sich derzeit hauptsächlich an den fussballerischen Kabinettstückchen der Altstars Lionel Messi, Sergio Busquets, Jordi Alba und neuerdings Luis Suárez beim Beckham-Klub Inter Miami delektiert. In einer Liga, die keinen Auf- und Abstieg kennt und damit auch keinen ernsthaften Wettbewerb, wirken sie allerdings wie ein importiertes Weltklasse-Variété auf der Durchreise.

Zugleich verstellen solche Darbietungen den kritischen Blick darauf, wie schlecht die Ausbildung amerikanischer Nachwuchskicker funktioniert. Solche Analysen finden in den Traditionsmedien kaum noch Raum. Genauso wenig wie der Gedanke, dass Sport «über seinen Unterhaltungswert hinaus das amerikanische Leben widerspiegelt», wie es Robert Lipsyte, der ehemalige Sportkolumnist der «New York Times», im vergangenen Jahr ausdrückte, als der Sportteil der weltweit angesehenen Zeitung verschwand. Der 86-jährige Pulitzerpreisträger fügte resigniert hinzu, der Sport sei heute nur noch «ein Aspekt der Unterhaltungsindustrie, wie Marvel-Comics und seine Superhelden».

Das digitale Medienangebot verfügt über seine eigenen Stimulanzmechanismen. Matheson erwähnt eine Umfrage darüber, was das Interesse an Fussball bei Kindern und Jugendlichen in den USA antreibt. Zu den fünf häufigsten Antworten gehörte das von der Fifa lizenzierte Computerspiel der Firma Electronic Arts, das mittlerweile unter dem Namen EA Sports FC verkauft wird. Der ehemalige Sportjournalist Tom Farrey sagt, sein 20-jähriger Sohn sei nicht etwa durch das Spiel mit dem Ball auf einem Bolzplatz mit der Sportart in Berührung gekommen, sondern durch das besagte Videospiel: «Da war er vier Jahre alt.»

Sportmedien verdrängen den klassischen Sportjournalismus

Farrey arbeitet heute für eine Denkfabrik mit Sitz in Washington, die sich seit 2011 auch mit der Beziehung zwischen Sport und Gesellschaft beschäftigt. Er legt Wert auf eine wichtige Unterscheidung: «Journalismus besteht darin, Geschichten zu erzählen, die sich mit allen grösseren Themen unserer Gesellschaft beschäftigen» – egal, ob in Text- oder in Bewegtbildform. «Sportmedien übertragen Spiele im Fernsehen und reichern ihre Seiten mit Inhalten über Tauschgeschäfte, den MVP und all dieses Insiderwissen über Baseball oder Football an. Alles schön und gut, aber es ist kein Journalismus.»

Wo dieser allerdings nicht mehr praktiziert wird, entstehen Wissenslücken. So kennen selbst Fachleute wie Farrey keine handfesten Studien dazu, wie Kinder in der neuen Medienlandschaft zu Sportfans werden. In welchem Alter werden junge Menschen an Sportarten herangeführt? Und wie wirkt sich das darauf aus, ob sie im späteren Leben aktiv teilnehmen? «Ich denke, dass hier noch eine Menge Arbeit zu leisten ist.»

So bleibt offen, wie die profitorientierte Medienindustrie einerseits den kommerziellen Sport beeinflusst und andererseits das Konsumverhalten der Fans. Ein Effekt lässt sich allerdings bereits benennen: Das Geschäft mit legalen Sportwetten wächst enorm, der Umsatz hat sich in den letzten vier Jahren weltweit mehr als verdoppelt – auf über 242 Milliarden Dollar.

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