Sonntag, November 24

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Was macht Singapur aus? Unverwechselbar? Das Quartier Katong an der Ostküste gibt einen Eindruck der vielen unterschiedlichen Seiten des multikulturellen Inselstaats. – Die neue Sommerserie «Streifzug durch…» präsentiert einzigartige Viertel in faszinierenden Städten und vermittelt Insider-Tipps für Entdecker.

Kann man von Verblendung sprechen? Auf der To-do-Liste von Singapur-Besuchern steht zuoberst das «Marina Bay Sands», dieses Kasino-Hotel am Meer mit seinen drei geschwungenen Türmen, auf denen ein Infinity-Pool thront wie ein gestrandetes Schiff. Es folgen die Orchard Road, der ebenso grosszügige wie ultratrendige Einkaufsboulevard, und Sentosa, der Rummelplatz auf einer vorgelagerten Insel.

An dem, was den Charme des Stadtstaats, das Leben der meisten der gut 6 Millionen Einwohner ausmacht, fahren die meisten vorbei. Zum Beispiel auf der Schnellstrasse vom Flughafen Changi in die Stadtmitte: Der East Coast Parkway, gesäumt von riesigen Regenbäumen, verläuft entlang der Küste und eines Parks voller Palmen. Schwämmen dort nicht unzählige Tanker und Containerschiffe draussen auf dem Meer – man wähnte sich in einem Ferienort. Das ist die eine Seite.

«Streifzug durch. . .»

Die Artikelserie entführt Sie in faszinierende Stadtviertel, enthüllt deren Geheimnisse und lässt Sie in einzigartige Atmosphären eintauchen. Erleben Sie authentische Geschichten und persönliche Einblicke in urbanen Oasen. – Dies ist der erste Beitrag.

Auf der anderen Seite der Schnellstrasse ragen die Gebäude des sozialen Wohnungsbaus empor, in denen acht von zehn Einwohnern leben. Dieses Singapur ist geprägt von Deckenventilatoren, von Einheimischen mit T-Shirts, kurzen Hosen und Schlappen. Die meisten Blöcke hier entstammen der ersten Generation, die das staatliche Housing and Development Board (HDB) nach der Unabhängigkeit von Grossbritannien 1965 baute. Was man nicht sieht, ist die Wäsche, die aus den Fenstern hängt. Die Stangen dafür schauen ins Landesinnere.

Die Siedlungen sind wohldurchdacht, eine jede gleicht einer Kleinstadt mit Schulen, Sportanlagen, Gemeindehaus, Bibliothek und Poliklinik, zur Strasse hin offenen Uncle- und Auntie-Shops, einer Markthalle und einem NTUC Fair Price, dem Singapurer Pendant zur Migros. Sprich: Was der Singapurer zum Leben braucht, findet er in der Nachbarschaft.

Hinter den gesichtslosen Wohnblöcken verbirgt sich ein Quartier, das Singapurs kulturelles Erbe wie kaum ein anderes verkörpert: Katong (sprich: Katung). Die britischen Kolonialherren verfolgten einst die Strategie «Teile und herrsche». Davon zeugen bis heute Little India und Chinatown. Doch in den Hafenstädten des British Empire auf der Malaiischen Halbinsel (Singapur, Malakka und Penang) entstand durch Heirat der chinesischen Coolies mit malaiischen Frauen trotzdem eine einzigartige Mischkultur.

Die Peranakan (Pranakan), was «hier geboren» heisst, stiegen als Vermittler zwischen den Ethnien im British Empire auf. Englisch wurde zu ihrer Muttersprache. Der Staatsgründer Lee Kuan Yew (Li Guan-ü) entstammte dieser Mischkultur. Pastellfarbene, stuckverzierte Ladenhäuser, die an Hochzeitstorten erinnern, zeugen in Katong von diesem Erbe. Das beschauliche Quartier ist inzwischen hip. Neben Einfamilienhäusern und luxuriösen Wohnanlagen mit ambitionierten Namen wie D’Marine finden sich das «Santa Grand Hotel» und die Alibabar.

Und natürlich gibt es auch eine Vielzahl kleiner Restaurants. Einige davon sind auf ein Gericht spezialisiert, das die lokale Mischkultur in essbarer Form darstellt: die Katong Laksa, eine säuerliche Kokos-Curry-Suppe mit dicken Reisnudeln, die mit Riesencrevetten, Fischklösschen und Muscheln angereichert ist, gekrönt mit einem Klacks Sambal, einem Chili-Pesto. «Die die must try», wie die Singapurer sagen.

Die schönste Strasse des Quartiers, die Joo Chiat Road (Tschu-tschiät), endet in dem malaiisch-muslimischen Stadtteil Geylang (Gehlang) – beim gleichnamigen Hawker-Center, das heisst Dutzenden Street-Food-Ständen unter einem Dach mit Tischen, Toiletten und staatlicher Hygienekontrolle. Ein kulinarisches Paradies, erschwinglich für jedermann, die vielleicht beste Erfindung Singapurs.

Westlich davon erstreckt sich der Red Light District, mehr als hundert Bordelle in der Nähe einer Moschee. Auch das ist Singapur, aber eine andere Geschichte.

Insider-Tipps

Essen: Eine Reihe von Restaurants an der East Coast Road (nicht zu verwechseln mit der Schnellstrasse) ist auf Katong Laksa spezialisiert. Details zu dieser Delikatesse und andere Tipps für Foodies: www.visitsingapore.com/de

Trinken: Versuchen Sie Zuckerrohrsaft mit Zitrone oder den lokalen Kaffee mit Kondensmilch auf Eis (Kopi Peng). Wenn es warm und milchig sein soll, den schaumigen Schwarztee (Teh Tarik) oder den Ingwertee (Teh Halia).

Schlafen: Das «Grand Mercure Singapore Roxy» (DZ ab 110 Fr.), das «Santa Grand Hotel East Coast» (DZ ab 140 Fr.) und das «Ibis Budget Singapore Joo Chiat» (DZ ab 60 Fr.) sind gute Optionen im Quartier.

Hingehen: Geylang Serai Market and Food Centre – eine quirlige Markthalle im Erdgeschoss, darüber ein malaiisch-indonesisch geprägtes Hawker-Center. Beides hervorragend.

Machen: Spazieren oder joggen Sie am frühen Morgen oder Abend entlang des East Coast Park. Weitere Wandertipps: https://www.nparks.gov.sg

Vermeiden: Sonntagmorgen – die Kirchen im Quartier führen zu Staus, auch beim Essen.

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