Freitag, Oktober 4

Womöglich können Fussballprofis ihren Klub bald ohne triftige Gründe wechseln. Dies weckt Erinnerungen an ein anderes wegweisendes Urteil, das die Szene veränderte.

Wenn es eine Institution gibt, die der organisierte Fussball fürchtet, dann ist es der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Einst wurde hier das bestehende Transfersystem in Europa zu Fall gebracht –durch das sogenannte Bosman-Urteil, das den Fussball grundlegend veränderte. Der Belgier Jean-Marc Bosman hatte 1995 erstritten, dass Fussballprofis ihren Klub nach dem Ende des Vertrages ablösefrei verlassen können.

Im letzten Jahr entschieden die Richter gegen die Uefa, als die Klubs darauf drängten, einen Konkurrenzwettbewerb zur Champions League auszutragen. Zwar steht die Einführung der sogenannten Super League noch lange nicht bevor, die Klubs haben nun aber weitaus mehr Gestaltungsspielraum.

Diarra verliess seinen Klub in Moskau nach nur einem Jahr

Am Freitag musste auch die Fifa erfahren, dass ihre Regularien vor dem EuGH nicht sakrosankt sind. Die Richter entschieden über die Klage des französischen Fussballprofis Lassana Diarra, der 2013 in Russland bei Lokomotive Moskau gespielt hatte. Der dortige Vertrag wurde nach nur einem Jahr aufgrund von Streitigkeiten mit dem Trainer aufgelöst.

Der Klub legte bei der Fifa Beschwerde ein. Deren Streitschlichtungs-Kammer sprach Moskau eine Entschädigung von 10 Millionen Euro zu. Diese Entscheidung wurde durch den internationalen Sportgerichtshof (TAS) bestätigt. Ausserdem hätte sich nach den Regularien des Weltverbandes Diarras neuer Arbeitgeber an der Summe beteiligen müssen. Im konkreten Fall verwarf der belgische Klub Sporting Charleroi die geplante Verpflichtung.

Diarra verklagte die Fifa daraufhin in Belgien. Er erhielt recht und bekam 60 001 Euro Schadenersatz zugesprochen. Das Gericht reichte den Fall zudem an den EuGH weiter. Dessen Richter entschieden nun, dass einige Regelungen des Fifa-Transfersystems betroffene Spieler und Klubs mit «erheblichen rechtlichen, unvorhersehbaren und potenziell sehr grossen finanziellen sowie ausgeprägten sportlichen Risiken» belasten. Zwar gebe es die Notwendigkeit, durch Regularien Beständigkeit in den Profikadern zu garantieren. Doch die Befugnisse der Klubs gingen zu weit.

Ein solches Urteil hat es in sich. Ob sich die Prognosen bewahrheiten und das Urteil eine ähnlich durchschlagende Wirkung haben wird wie seinerzeit die Entscheidung der EuGH-Richter im Fall Bosman, ist noch nicht abzusehen. Ausgeschlossen ist es nicht. Denn grundsätzlich dürfte es für Spieler leichter werden, den Klub trotz einem laufenden Vertrag zu wechseln. Profifussballer würden so gewöhnlichen Arbeitnehmern bezüglich der Freizügigkeit ähnlicher werden. Diese werden derzeit durch das gegenwärtige Transfersystem eingeschränkt.

Angemessen ist eine solche Rechtsprechung nicht. Denn wenn ein blosses Zerwürfnis zur Auflösung eines Vertrages führen kann, ohne dass eine Kompensation geleistet wird, gerät tatsächlich ein gesamtes System ins Wanken. Zumal die Regularien der Fifa durchaus einen Sinn haben: Oft trennen sich Spieler und Verein im Unfrieden. Und nicht immer verlaufen Dissonanzen so einträglich für den abgebenden Klub wie etwa im Fall von Ousmane Dembélé. Dieser streikte sich 2017 den Weg zum FC Barcelona frei, was sich die Dortmunder mit insgesamt rund 140 Millionen Euro versüssen liessen.

Es betrifft nicht nur die Ausnahmekönner

Nur geht es eben seltener um Fussballer aus der absoluten Elite. Es ist von vornherein deren Privileg, zwischen den Arbeitgebern wählen zu können, und diese können sich häufig auf geradezu absurd hohe Ablösesummen einigen.

Wenn nun ein Vereinswechsel ohne triftigen Grund möglich ist, dann hat die Rechtsprechung des EuGH tatsächlich das Potenzial, den Profifussball in einem nicht unerheblichen Masse zu verändern. Jedenfalls wird sie zu einer deutlichen Stärkung der Position der Spieler gegenüber ihren Klubs führen. Ob dies den Profifussball tatsächlich besser macht, darf stark bezweifelt werden.

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