Sarah Ineichen kam als Baby aus Sri Lanka in die Schweiz, Stefan Müller-Altermatt hat ein Kind aus Armenien adoptiert. Bei der Bewertung der Missstände in der Vergangenheit sind sie sich einig – bei der Frage eines Verbots von Adoptionen überhaupt nicht.

Dass Sarah Ineichen an diesem Frühlingstag in Konferenzraum in der Nähe des Bahnhofs Olten sitzt, ist die Folge eines Verbrechens. Sie wurde 1981 aus Sri Lanka adoptiert – in einer Zeit, in der es grosse Missstände gab. Hunderte von Kindern aus Indien, Kolumbien, Brasilien, Korea oder eben Sri Lanka wurden Opfer von Menschenhandel. Schweizer Hilfswerke und lokale Vermittler nutzten dabei die Armut und die soziale Not der biologischen Eltern aus. Systematisch wurden Identitäten gefälscht. Auch jene von Sarah Ineichen.

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Die 44-Jährige kann deshalb nachvollziehen, dass der Bundesrat Adoptionen aus dem Ausland verbieten will, um solche Missbräuche grundsätzlich auszuschliessen. Ganz anders sieht das Stefan Müller-Altermatt, der Ineichen in Olten gegenübersitzt. Der Solothurner Mitte-Nationalrat und seine Frau haben kürzlich einen Buben mit Trisomie 21 aus Armenien adoptiert.

Frau Ineichen, würden Sie sich wünschen, dass Sie nie adoptiert worden wären?

Sarah Ineichen: Das ist eine Frage, die ich unmöglich beantworten kann. Ich weiss nicht, wie mein Leben sonst verlaufen wäre. Klar ist aber: Als adoptierte Person war ich die Einzige, die keine Wahl hatte. Sri Lanka hat entschieden, die Schweiz hat entschieden, meine Adoptiveltern haben entschieden. Vielleicht auch meine biologischen Eltern – aber das weiss ich nicht.

Verfechter der Auslandsadoptionen argumentierten jeweils, dass Kinder wie Sie damals in der Schweiz ein besseres Leben erhalten hätten.

Ineichen: Ich habe in der Schweiz ein schönes Daheim bekommen. Aber das darf keine Rechtfertigung dafür sein, dass Kinder wie ich unter fragwürdigen Umständen entwurzelt worden sind. Ich wurde meiner Mutter entrissen, auf welche Art auch immer. Ich würde mir wünschen, dass mich damals jemand beschützt hätte. Im allerschlimmsten Fall kamen Mütter in Sri Lanka zur Geburt ins Spital, und dann wurde ihnen ein totes Kind untergeschoben, das richtige Kind wurde verkauft.

Stefan Müller-Altermatt: Im Fall von Frau Ineichen war sehr viel kriminelle Energie im Spiel. Die Geschichte der internationalen Adoptionen bis hin zu den Babyfarmen auf Sri Lanka ist eine Aneinanderreihung von Missständen. Die Behörden und zum Teil auch die Adoptiveltern haben beide Augen zugedrückt. Dem zugrunde lag eine üble Kolonialistenhaltung: dass es den Kindern in der Schweiz auf jeden Fall besser ergehen würde. Doch diese Haltung gehört der Vergangenheit an. Den Schutz der Kinder, den Frau Ineichen zu Recht einfordert, gibt es. Wer heute als Eltern ein Adoptivverfahren durchläuft, spürt dies sehr deutlich.

Inwiefern?

Müller-Altermatt: So, wie wir durchleuchtet wurden, habe ich mich ein paar Mal gefragt: Wollen wir etwa einen kriminellen Akt begehen? Die genaue Überprüfung der Adoptiveltern ist sinnvoll. Doch man muss sich auch bewusst sein: Selbst wenn man internationale Adoptionen verbietet, existieren die kriminelle Energie und die Nachfrage nach Adoptivkindern weiterhin.

Ineichen: Die kriminelle Energie ist erst durch das Konstrukt der internationalen Adoption entstanden. Missbräuchliche Adoptionen gibt es auch heute noch. Die Schweiz hat in den letzten Jahren die Adoptionen aus Äthiopien, Haiti und den USA eingestellt. Vor vier Jahren hat eine Vermittlungsstelle für Kinder aus Sri Lanka auf gerichtliche Anordnung ihre Zulassung verloren, nachdem Eltern gemeldet hatten, dass bei Adoptionen illegalerweise Geld geflossen ist. Jeder Fall, der noch passiert, ist ein Fall zu viel.

Wie haben Sie Ihre Kindheit und Jugend in Nidwalden erlebt?

Ineichen: Ich habe mich immer als Schweizerin gefühlt. Auch wenn mir manche zu verstehen gaben, dass ich keine wirkliche Schweizerin bin. Nämlich, indem sie mich fragten, woher ich komme. Und wenn ich sagte: aus Hergiswil, dann fragten sie: Nein, woher wirklich? Viele von uns adoptierten Personen wurden rassistisch oder sexistisch angemacht.

Konnten Ihre Adoptiveltern Sie nicht davor schützen?

Ineichen: Nein, ich habe ihnen auch nicht davon erzählt. Ich habe versucht, eine Schutzmauer um mich herum zu errichten, um die rassistischen Kommentare gar nicht wahrzunehmen. Das hätte mich zu stark erschüttert. Doch nun habe ich ein Déjà-vu, weil meine Teenager-Töchter zu Frauen werden und Ähnliches erleben. Ich muss sie darauf vorbereiten.

Müller-Altermatt: Das ist schlimm. Aber ich habe Mühe damit, dieses Phänomen mit der Adoption zu verknüpfen. Rassismus ist Rassismus und in jedem Fall zu verurteilen und zu bekämpfen.

Ineichen: Es gibt sehr wohl einen Zusammenhang: Internationale Adoptionen sind ein Ausfluss von kolonialistischem und rassistischem Gedankengut.

In Sri Lanka wären Sie mit Ihrer Hautfarbe nicht aufgefallen, hätten Sie diese Rassismuserfahrungen nicht gemacht.

Ineichen: Ich hätte sie vielleicht anders gemacht, Ausgrenzung gibt es in jedem Land. Ich möchte betonen: Ich bin glücklich in der Schweiz, ich bin dankbar dafür, dass ich hier eine Ausbildung machen, eine Familie gründen konnte. Aber der Schmerz wird bis zu meinem Tod ein Teil von mir bleiben. Der Schmerz darüber, dass ich nicht weiss, ob meine Mutter mich freiwillig weggegeben hat, und wenn ja, warum. Dass ich nicht weiss, wie sie aussieht. Oder ob ich noch Geschwister habe.

Wieso ist es so wichtig, die eigenen Wurzeln zu kennen?

Ineichen: Das ist bei jeder adoptierten Person anders. Ich hatte immer das Grundgefühl, dass die allerwichtigste Person in meinem Leben, meine Mutter, Nein zu mir gesagt hat. Jene Person, die hätte um mich kämpfen müssen. Meine Adoptiveltern haben sich liebevoll bemüht, das aufzufangen, und mir gesagt, dass ich ihr absolutes Wunschkind sei.

Und das war nicht genug?

Ineichen: Ich habe mich gefühlt wie ein Lavabo ohne Stöpsel. Man konnte oben ganz viel Liebe, Zuneigung, Sicherheit, Vertrauen und Geduld hineinschütten, aber es hat nicht gereicht. Nur der Betroffene selbst kann diesen Stöpsel irgendwann hineinstecken. Die abrupte Trennung von der Mutter führt bei vielen Betroffenen zu Ängsten, dass man plötzlich Bindungen verliert. Man geht davon aus, dass einem dies immer wieder passieren kann. Also geht man lieber gar keine tiefere Bindung ein. Oder man sabotiert bewusst eine Bindung, sobald sie tiefer wird. Zu dieser Gruppe habe ich gehört.

Müller-Altermatt: Das verstehe ich. Es gibt aber auch viele adoptierte Personen, die in der genau gleichen Situation sind wie Frau Ineichen und überhaupt keine Probleme haben. Das hängt sehr stark vom Individuum ab.

Ineichen: Meine Erfahrung zeigt, dass es sehr viel Mut braucht, sich diesen Fragen zu stellen, vor die eigene Familie hinzustehen und zu sagen, dass Sri Lanka zu meiner Identität gehört. Man stösst auf viel Misstrauen, es gibt Verletzungen und Loyalitätskonflikte. Wer sich dann auf die Suche nach seiner Identität macht und sich mit den Ergebnissen auseinandersetzen muss, braucht unglaublich viel Kraft.

Sie selbst haben das erfolglos getan.

Ineichen: Ich bin in Sri Lanka von Behörde zu Behörde gegangen. Am Schluss habe ich festgestellt, dass die Angaben auf meiner Geburtsurkunde nicht stimmen. Mit 37 Jahren stand ich eines Tages vor der Frau, die ich jahrelang gesucht hatte, und dachte: Jetzt habe ich endlich meine Familie gefunden. Es standen 15 Leute im Raum, und eine ältere Frau gab zu, dass sie die Frau ist, deren Name auf meiner Geburtsurkunde steht. Doch zehn Minuten später erfuhr ich, dass meine Identität ihrer leiblichen Tochter gehörte. Dass sie bezahlt worden war, um sich als meine leibliche Mutter auszugeben. Das war ein so schlimmes Gefühl von Enttäuschung und Wut, dass ich in eine unglaubliche Identitätskrise gestürzt bin. Ich verstehe jede adoptierte Person, die einfach die Person bleiben will, die sie durch die Adoption geworden ist. So muss man nicht alles hinterfragen.

Müller-Altermatt: Es gibt drei Arten von Adoptierten. Erstens Menschen, die missbräuchlich adoptiert wurden und darunter leiden, wie Frau Ineichen. Zweitens Menschen, die missbräuchlich adoptiert wurden, den Weg von Frau Ineichen aber nicht gehen wollen oder können und die Frage ihrer Herkunft deshalb ruhen lassen. Es gibt aber drittens auch die Gruppe von adoptierten Personen, die legal in Schweiz gekommen sind mit einem sauberen Verfahren. Man darf sie nicht einfach allesamt als illegal adoptiert bezeichnen.

Ineichen: Das tu ich ja auch nicht, ich spreche nur über meine Erfahrungen. Aber ich bin kein Einzelfall. Wir haben bei der Arbeitsgruppe zur Herkunftssuche, in der ich Mitglied bin, im Auftrag des Bundes und der Kantone während vier Jahren 84 adoptierte Personen bei der Suche unterstützt. Davon fanden nur 5 Prozent ihre Familie. 50 Prozent fanden ihre Identität nicht, da sie nicht existiert. 45 Prozent fanden zwar die angeblichen Eltern, doch der DNA-Test fiel negativ aus. Mit diesen Fakten muss die Schweiz umgehen können. Ich erwarte von der Schweiz, dass sie endlich allen Betroffenen bei der Suche nach ihrer Herkunft hilft.

Müller-Altermatt: Absolut einverstanden, die offizielle Schweiz macht da bis jetzt zu wenig. Wir haben ein kolonialistisches Verbrechen begangen, das muss man wiedergutmachen – so weit es möglich ist. Gewisse Sachen . . .

Ineichen: . . . kann man nicht reparieren. Ich habe hier mein ganzes Dossier, es sieht alles makellos aus, die offiziellen Stempel sind drauf. Doch es ist alles eine Lüge, selbst mein Name.

Hätte es für Sie etwas geändert, wenn Sie als Teenager gewusst hätten, wer Ihre leiblichen Eltern sind?

Ineichen: Ja, sicher. Man identifiziert sich ja auch mit den Angaben in den Unterlagen. Ramani war anfänglich mein erster Vorname, erst als ich sieben Jahre alt war, wurde Sarah offiziell zu meinem ersten Vornamen, wie ich viel später herausgefunden habe. Heute bin ich froh, dass ich mir nicht Ramani auf Singhalesisch auf den Arm tätowiert habe, wie das andere adoptierte Personen aus Sri Lanka mit ihrem Namen gemacht haben.

Müller-Altermatt: Als Adoptiveltern erhält man die Aufgabe, einen Draht zur Herkunftskultur herzustellen.

Wie werden Sie Ihrem Sohn seine Wurzeln vermitteln?

Müller-Altermatt: Aufgrund seiner Trisomie 21 hat er wahrscheinlich nicht die kognitiven Fähigkeiten, um sich die Sinnfrage gleich zu stellen, wie das Frau Ineichen tut. Wir sind durch diese Adoption aber sehr eng mit Armenien verbunden. Ich bin Co-Vorsitzender der Gesellschaft Schweiz-Armenien, wir haben Freunde in Armenien und zu Hause armenische Bilder und Dekorationen, wir kochen mit armenischen Gewürzen. Armenien ist durch ihn ein Teil von uns geworden. Wir werden auch versuchen, mit den Eltern Kontakt aufzunehmen, sobald die Zeit reif dafür ist.

Ineichen: Herr Müller-Altermatt hat einen sehr reflektierten Umgang mit dem Thema. Das hat in vielen Familien von Adoptivkindern aus meiner Generation gefehlt. Viele von uns durften sich gar nicht mit ihren Wurzeln auseinandersetzen, nie um den Verlust ihrer ursprünglichen Familie trauern. Das ist heute zum Glück ganz anders. Es ist auch einfacher geworden, den Kontakt zum Herkunftsland zu behalten.

Sie beraten mit Ihrer Organisation «Back to the Roots» Personen, die ein ähnliches Schicksal haben wie Sie. Viele in den siebziger oder achtziger Jahren Adoptierte haben grosse Probleme im Leben. Warum?

Ineichen: Bei etwa einem Drittel ist der Schmerz über ihre Entwurzelung und ihr Identitätsmanko so gross, dass sie Mühe haben, ein stabiles Leben zu führen. Sie können teilweise nicht arbeiten, brauchen psychologische Betreuung. In den sieben Jahren seit der Gründung von «Back to the Roots» haben wir fünf Leute durch Suizid verloren.

Müller-Altermatt: Das ist schrecklich. Aber ich wehre mich gegen den Eindruck, dass bei allen Adoptionen etwas schiefgelaufen ist. Ich habe da ganz andere Erfahrungen gemacht. Es muss die Grundthese sein, dass es in den letzten 25 Jahren gut gelaufen ist.

Ineichen: Das ist es aber nicht!

Müller-Altermatt: Dann stigmatisieren Sie alle Adoptiveltern. Das kann ich nicht akzeptieren.

Ineichen: Es geht nicht um die Adoptiveltern, sondern um den Schutz der Kinder und deren biologischer Mütter.

Frau Ineichen, zurück zu Ihrer Biografie: Machen Sie Ihren Adoptiveltern einen Vorwurf, dass sie damals bei den illegalen Machenschaften mitgemacht haben?

Ineichen: Jein. Ich arbeite als Hebamme und verstehe deshalb die Perspektive von Frauen, die keine eigenen Kinder haben können. Sie stehen unter einem enormen gesellschaftlichen Druck, denn eine «richtige» Frau hat Kinder. Ich kann nachvollziehen, dass man in dieser Situation alles probiert, um zu einem Kind zu kommen. Doch es gibt kein Recht auf ein Kind. Man kann ein Kind auch nicht wie ein Bäumchen ausgraben, in der Schweiz wieder einpflanzen – und meinen, dies habe keine Konsequenzen auf die Psyche. Was meine Adoptiveltern damals konkret gedacht haben, müssten Sie sie selbst fragen.

Müller-Altermatt: Auch als Adoptiveltern macht man sich viele Gedanken. So frage ich mich häufig, wie die Seelenwelt der leiblichen Eltern unseres Sohnes aussieht. Wieso haben sie ihn ins Heim gegeben? War es der ökonomische Druck? Dies vermuten wir stark. Hinzu kommt, dass Kinder mit Trisomie 21 in Armenien stigmatisiert sind.

Fühlen Sie sich durch den Umstand, dass Sie ein behindertes Kind adoptiert haben, auch ein wenig als Retter?

Müller-Altermatt: Nein. Meine Frau und ich wollten bewusst ein Kind mit Trisomie 21, auch weil das wunderbare Kinder sind. Es war also eine Portion Egoismus dabei. Es tat uns weh, unseren Sohn aus der vertrauten Umgebung des Kinderheims zu entfernen, er hatte es dort gut. Es wäre vermessen zu sagen, es gehe ihm bei uns automatisch besser. Doch wir wussten, welche Perspektive er gehabt hätte.

Wie hätte diese ausgesehen?

Müller-Altermatt: Er hätte mit sechs Jahren in ein anderes Heim wechseln müssen. Und noch schlimmer wäre es mit 18 Jahren geworden: In Armenien gibt es kaum Institutionen, die sich um erwachsene Menschen mit dem Down-Syndrom kümmern, und schon gar keine Möglichkeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt – höchstens das Zusammensuchen von Flaschen. Das wäre die Perspektive unseres Sohnes gewesen. Seine heutige ist besser. Und mit dem heutigen Wissen um sein Bedürfnis nach Nähe würde ich sagen, er wäre auch seelisch verkümmert, wenn er nicht Mama und Papa bekommen hätte.

Da klingt schon das Retter-Motiv an.

Müller-Altermatt: Ich sage nicht, dass der Retter-Gedanke keine Rolle spielt, und er ist auch nicht per se illegitim. Aber er darf nicht im Vordergrund stehen. Von unserer Vermittlungsstelle haben wir gehört, dass Familien ein behindertes Kind adoptieren wollen, weil sie damit in ihrer Freikirche besser dastehen. Das finde ich zynisch. Die Vermittlungsstelle hat die Leute denn auch abgewiesen.

Ineichen: Ich erinnere daran, dass es in der Schweiz derzeit zwei beeinträchtigte Kleinkinder gibt, die eine Familie suchen – und keine finden.

Warum haben Sie kein Kind aus der Schweiz adoptiert?

Müller-Altermatt: In der Schweiz werden praktisch keine Kinder mit Trisomie 21 zur Adoption freigegeben. 95 Prozent der Föten mit dieser Behinderung werden abgetrieben. Und für jene, die zur Welt kommen, haben sich die Eltern bewusst entschieden.

Derzeit gibt es pro Jahr nur noch ein paar Dutzend Schweizer Paare, die wie Sie Kinder aus dem Ausland adoptieren. Wieso wehren Sie sich angesichts dieser tiefen Zahlen so vehement gegen ein totales Verbot?

Müller-Altermatt: Es ist übertrieben, der Weg des geringeren Widerstands. Der Bundesrat stellt ökonomische Gründe in den Vordergrund: Für den Staat ist es billiger, wenn man internationale Adoptionen gleich ganz verbietet, statt jeden einzelnen Fall gründlich zu prüfen. Es wäre indes sinnvoller, die Auslandsadoption weiterhin zuzulassen, unter strengen Bedingungen natürlich.

Ineichen: Es ist ein harter Entscheid, aber er muss sein. Nur so kann man Missbräuche verhindern und die Bande zwischen biologischer Mutter und Kind schützen.

Haben Sie kein Vertrauen in den Schweizer Rechtsstaat?

Ineichen: Das Problem ist nicht die Schweiz, hier laufen die Verfahren heute korrekt ab. Aber was ausserhalb unserer Grenzen passiert, können wir nicht wirklich kontrollieren. In vielen Ländern werden die Massnahmen zum Schutz der Kinder nur unzureichend umgesetzt. Wir wissen nicht, ob eine Mutter ihr Kind in die Obhut einer anderen Familie geben wollte, ob sie aus einer Notsituation gehandelt hat – oder ob man es ihr weggenommen hat. Wir wissen auch weiterhin nicht mit Sicherheit, ob es sich bei der Frau in den Dokumenten um die biologische Mutter handelt. Bis heute werden nämlich keine DNA-Tests durchgeführt.

Müller-Altermatt: Für mich ist klar, dass die Länderliste eng begrenzt werden muss. Es gibt in der Tat nicht viele Länder, die in der Lage sind, internationale Adoptionen sauber durchzuführen. Das sind oft Länder mit einem starken Rechtsstaat und einem schwachen Sozialstaat. Armenien ist ein solches Land.

Ineichen: Das Geld, das man in den Apparat zur aufwendigen Kontrolle von Adoptionen steckt, sollte man besser für die Unterstützung von Familien ausgeben, so dass die Kinder in ihrem Herkunftsland bleiben können.

Müller-Altermatt: Der Schutz des Kindes muss natürlich über allem stehen. Die internationale Adoption ist per Abkommen subsidiär, sie kommt also nur infrage, wenn im Inland keine Adoption möglich ist. Wenn die Eltern die Elternschaft nicht ausüben können oder wollen – so wie bei unserem Sohn oder bei Inlandadoptionen in der Schweiz. Wir waren nicht der Grund, dass er von seinen Eltern wegkam, er war schon über ein Jahr im Heim, als wir ihn adoptierten. Man kann ja niemanden zwingen, ein Kind zu behalten.

Ineichen: Natürlich nicht, aber eben: Es ist naiv, einfach darauf zu vertrauen, dass bei der Klärung solcher Fragen in den Herkunftsländern immer alles mit rechten Dingen zugeht.

Müller-Altermatt: Man darf aber auch nicht so naiv sein und einfach die möglichen Schattenseiten einer zu restriktiven Lösung ausblenden. Es gibt einen Markt für gesunde Babys, so schrecklich das ist. Sie würden auch bei einem Verbot weiterhin in die Schweiz kommen – nur hätten wir dann gar keine Kontrolle mehr über die Situation.

Sie sehen also keinen grösseren Handlungsbedarf?

Müller-Altermatt: Doch, es braucht eine zentrale nationale Vermittlungsstelle, die vom Bund finanziert ist, aber inhaltlich unabhängig arbeitet. Denn heute ist der Bund in einer Doppelfunktion: Er ist gleichzeitig der Kontrolleur und jene Instanz, die sich um die Anliegen der Adoptiveltern kümmert. Das funktioniert nicht und macht das Verfahren unnötig kompliziert. Der Bund sollte sich auf die Kontrolle der Adoptionsverfahren beschränken.

Ineichen: Genau das empfiehlt auch die Expertengruppe zur Adoption. Es wäre gut, wenn wir uns nun wieder in Ruhe an die Arbeit machen könnten. Damit wir eine Lösung finden, die dem grösstmöglichen Schutz der Kinder dient.

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