Freitag, September 20

Wie stark darf ein Minderheitsstandpunkt sprachlich verändert werden? Im Gemeinderat gehen die Meinungen dazu auseinander.

Noch bevor der Herbst richtig Einzug halten konnte, hat im Zürcher Stadtparlament das Abstimmungsbüchlein für den Urnengang im November für Aufregung gesorgt. Dann stimmt die Stadtzürcher Bevölkerung nämlich über die Volksinitiative «Tschüss Genderstern!» ab.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass nun im Vorfeld der Abstimmung über das städtische Sprachreglement über Formulierungen in ebendiesen Abstimmungsunterlagen gestritten wird. Der Leitfaden schreibt die Verwendung des Gendersterns oder von geschlechtsneutralen Begriffen vor.

Das ist auch der FDP bewusst, die dem Stadtparlament am Mittwochabend in einer Fraktionserklärung vorwarf, den Minderheitsstandpunkt der Partei «zensieren» zu wollen. Der Fraktionspräsident Michael Schmid stellte denn auch fest, es sei absurd, dass eine parteipolitische Mehrheit versuche, eine Volksinitiative, die ein behördliches Sprachdiktat anprangere, mit einem Sprachdiktat in der Abstimmungszeitung zu bekämpfen.

Im Zentrum des Zwists stand der Text zum Minderheitsstandpunkt der FDP. Gemäss einer 2014 geschlossenen Vereinbarung zwischen dem Gemeinde- und dem Stadtrat können die Parteien Minderheitsstandpunkte selber formulieren. Vor der Publikation werden sie von der Stadtverwaltung kommentiert und müssen von der Geschäftsleitung des Gemeinderats gutgeheissen werden.

Während die Stadtverwaltung nach der Übernahme ihrer Anmerkungen mit der Formulierung des Texts einverstanden gewesen sei, habe die Geschäftsleitung des Gemeinderats «gegen den ausdrücklichen Willen unserer Fraktion» Änderungen vorgenommen, sagte Schmid. Gemäss der seit 2014 geltenden Abmachung sei das aber nur dann zulässig, wenn die Darlegung der Minderheit ehrverletzend oder wahrheitswidrig sei. Das sei schlicht nicht der Fall, betonte Schmid.

Vielmehr gehe es bei den nachträglich getätigten Anpassungen darum, dass der FDP-Standpunkt der Mehrheit der Geschäftsleitung «nicht genehm» sei. Deshalb werde nun versucht, die Sichtweise der FDP zu unterdrücken, sagte Schmid. Das Vorgehen der Geschäftsleitungsmehrheit sei willkürlich und stelle eine skandalöse Kompetenzüberschreitung dar.

Die FDP sei nicht bereit, solche Zensurversuche hinzunehmen, sagte Schmid und kündigte an, die Partei gedenke ihre Formulierung notfalls auch auf dem Rechtsweg zu verteidigen. Das Recht auf freie Meinungsäusserung sei eine elementare Voraussetzung für die freie Willensbildung und für die Demokratie unabdingbar.

War es ein fehlender Genderstern?

Welche Formulierungen konkret Auslöser für den verbalen Schlagabtausch im Gemeinderat waren, ist offen. Die Sitzungen der Geschäftsleitung des Stadtparlaments sind vertraulich.

Dennoch gab es im Laufe der Diskussion Hinweise darauf, worum es gehen könnte. Und nein, es war höchstwahrscheinlich nicht der Genderstern selbst.

Die AL-Parlamentarierin Tanja Maag wies Schmid in ihrer Replik darauf hin, dass die Geschäftsleitung des Gemeinderats die Verantwortung dafür trage, dass in den Abstimmungsunterlagen keine Unwahrheiten stünden. Die FDP möge das Gendern zwar als Zwang ansehen. «Das entspricht aber nicht der Wahrheit.»

Der Formulierungsstreit wäre in dem Fall ein direktes Abbild der grundverschiedenen Sichtweisen der politischen Lager in Sachen Genderstern: Was für die einen einem sprachlichen Korsett gleichkommt, ist für die anderen eine leichte Anpassung, die dabei helfen soll, Geschlechterstereotype abzubauen.

Schützenhilfe erhielt die FDP einzig von der SVP, die forderte, dass die Geschäftsleitung auf ihre sprachpolizeilichen Zwängereien verzichte.

Der Grüne Martin Busekros ist wie auch Tanja Maag Mitglied der Geschäftsleitung des Gemeinderats. In seinem Votum wies Busekros darauf hin, dass die Mitte/EVP-Fraktion, ja «auch die SVP-Fraktion» es geschafft hätten, ihre Standpunkte so zu formulieren, dass sie überwiesen werden konnten. Die FDP habe sich indes «sehr, sehr quergestellt» in den Verhandlungen mit der Geschäftsleitung. Das Gebaren der FDP trage einzig dazu bei, das Vertrauen in die Abstimmungsunterlagen erodieren zu lassen.

Wer sich in der Debatte um die Formulierung des Minderheitsstandpunkts durchsetzt, wird sich zeigen. Die FDP hat für die Sitzung der Geschäftsleitung am Montag einen Rückkommensantrag gestellt.

Exit mobile version