Mittwoch, Juni 26

Ein Artikel auf «Inside Paradeplatz» zu Todesfällen in der Klinik für Herzchirurgie am Zürcher Unispital beschäftigt die Justiz.

Es ist ein Vorgehen, das den gewohnten Rahmen sprengt. Eine Regierungsrätin ergreift rechtliche Schritte gegen einen Journalisten. Die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP) und die von ihr geführte Direktion gehen juristisch gegen den Journalisten Lukas Hässig vor. Hässig betreibt den für seine steilen Thesen bekannten Finanzblog «Inside Paradeplatz».

Die Regierungsrätin wirft ihm eine Persönlichkeitsverletzung vor. Und fordert von «Inside Paradeplatz» 10 000 Franken, die im Sinne einer Genugtuung der Organisation Reporter ohne Grenzen zu zahlen sei.

Grund des Streits ist ein Artikel von Hässig von Ende April, der noch immer aufgeschaltet ist. Darin geht es unter anderem um die Frage, wann Natalie Rickli über Mortalitätszahlen in der Klinik für Herzchirurgie am Zürcher Unispital ins Bild gesetzt worden sei.

Und letztlich geht es um die Frage, ob Rickli untätig blieb. Ein happiger Vorwurf, der mit erklären dürfte, weshalb sie nun rechtlich interveniert. Rickli hat als Gesundheitsdirektorin die Oberaufsicht über das Unispital.

Der Ursprung der Affäre liegt vier Jahre zurück. Im Frühling 2020 wurde Kritik am damaligen Chefarzt der Herzchirurgie, Francesco Maisano, laut. Ein Whistleblower warf Maisano vor, dass dieser mit dem Einsatz von selbst entwickelten Implantaten das Wohl von Patienten gefährdet habe. Er habe die Implantate testen und sich persönlich bereichern wollen. Zudem habe er wissenschaftliche Berichte geschönt, Komplikationen verschwiegen und Interessenkonflikte unterschlagen.

Das Spital liess die Anschuldigungen durch eine Anwaltskanzlei untersuchen. Diese kam zu dem Schluss, dass die Vorwürfe in Bezug auf die wissenschaftlichen Berichte und die Interessenkonflikte zuträfen. Maisano habe aber nicht das Patientenwohl gefährdet.

Der renommierte Herzchirurg Paul Vogt übernahm 2021 Maisanos Posten. Der damals 64-Jährige hatte bis zu seiner Pensionierung die Aufgabe, die Situation in der Herzchirurgie wieder zu stabilisieren.

Mit der Ruhe war es spätestens im April dieses Jahres aber vorbei. Da erhob Vogt schwere Vorwürfe gegen das Zürcher Universitätsspital. Er sprach er von einem «Desaster» und von langen «Listen mit toten Patienten», die er in den Wochen nach seinem Arbeitsbeginn durchgesehen habe.

Vogt sprach auch die Zahl der Todesfälle in den Jahren 2016 bis 2020 an, die aus seiner Sicht hätten vermieden werden können, und redete von «unethischem und kriminellem Verhalten» unter der Ärzteschaft. Die Zahl, die Vogt damals nannte, ist allerdings umstritten.

Der Fall wurde daraufhin wieder neu aufgerollt. Im Mai hat die Spitalführung versprochen, eine externe Task-Force mit internationalen Spezialisten einzusetzen. Sie soll alle Todesfälle an der Klinik zwischen 2016 und 2020 untersuchen, um Vogts Vorwürfen auf den Grund zu gehen.

Warum wehrt sich Regierungsrätin Rickli nun gegen die Berichterstattung des Journalisten Hässig?

Strittig sind laut Hässig die genaue Anzahl der Verstorbenen und der Zeitpunkt, an dem Rickli über die Vorgänge im Bild gewesen sein soll.

Die Gesundheitsdirektion geht auf Anfrage der NZZ nicht auf einzelne Vorwürfe ein, sondern sie gibt in allgemeiner Form Antwort. Der betreffende Artikel erfülle die Voraussetzungen an die journalistische Sorgfaltspflicht in mehreren Punkten nicht, «weshalb wir ‹Inside Paradeplatz› angewiesen hatten, die irreführenden und falschen Aussagen zu korrigieren respektive zu entfernen». Der direkte Austausch mit dem Autor und Herausgeber habe aber leider kein Ergebnis gebracht, weshalb man den Rechtsweg beschritten habe.

Lukas Hässig schreibt in besagtem Artikel, Paul Vogt habe Natalie Rickli das Dossier 2021 zugeschickt. Auf Anfrage erklärt Hässig, diese Jahreszahl sei ein Fehler gewesen, richtig sei März 2022.

Hässig sagt im Gespräch mit der NZZ, der Regierungsrätin habe zu dem Zeitpunkt eine Liste mit den unterschiedlichen Mortalitätsraten vorgelegen. Darin sei zwar nicht die genaue Anzahl der Verstorbenen genannt worden, aber die unterschiedlichen Fälle seien ersichtlich gewesen. Laut Hässig hätte Rickli aus diesen Daten die Anzahl Verstorbener ausrechnen können. Er sagt: «Ich werfe der Regierungsrätin vor, dass sie nicht wirklich gehandelt hat.»

Die Angelegenheit geht im Juli vor den Friedensrichter. Falls man sich dort nicht einig wird, wäre der nächste Schritt ein Verfahren vor Bezirksgericht.

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