Die USA pochen auch bei den Steuern auf eine Sonderbehandlung. Die EU könnte den USA entgegenkommen, ohne europäische Firmen zu diskriminieren.
Die Wirtschaftspolitik der US-Regierung hält die Welt nicht nur mit Zolldrohungen in Atem. Auch die globale Mindeststeuer für internationale Grosskonzerne von 15 Prozent des massgebenden Gewinns ist durch die Regierung Trump infrage gestellt.
2021 hatten sich unter der Ägide des Ländervereins OECD fast 140 Staaten einschliesslich der USA auf die Einführung einer globalen Mindeststeuer geeinigt. Gemäss diesen Regeln müssten seit 2024 Konzerne mit einem weltweiten Jahresumsatz ab 750 Millionen Euro im Grundsatz in jedem Land mit relevanten Aktivitäten mindestens 15 Prozent Gewinnsteuern zahlen. Das System funktioniert in der Theorie auch, wenn längst nicht alle Länder die Mindeststeuer umsetzen. Zahlt zum Beispiel ein Grosskonzern an einem Standort nur 13 Prozent Gewinnsteuern, könnten gemäss den Regeln andere Länder mit relevanten Aktivitäten des Konzerns diese «Unterbesteuerung» durch eine Zusatzsteuer von 2 Prozentpunkten kompensieren. Das schafft Anreize für viele Länder, selber eine Mindeststeuer einzuführen – um zu verhindern, dass Steuergelder ins Ausland fliessen.
53 Länder mit Mindeststeuer
So haben laut einer Zusammenstellung der Beratungsfirma PWC 53 Länder einschliesslich der Schweiz die Mindeststeuer 2024 oder 2025 eingeführt. Nebst den meisten europäischen Staaten gehören dazu auch Länder wie Australien, Kanada, Japan und Singapur – nicht aber die USA, China und Indien. Und 46 Staaten inklusive der Schweiz wollen zudem Zusatzsteuern abschöpfen, wenn ausländische Tochterfirmen inländischer Konzerne weniger als 15 Prozent Gewinnsteuern zahlen (im Jargon: Abschöpfungstyp IIR). Rund dreissig Länder (nicht aber die Schweiz) sehen eine solche Abschöpfung auch dann vor, wenn eine Unterbesteuerung ausländische Tochterfirmen eines Konzerns betrifft, dessen Hauptsitz nicht im eigenen Land ist (Abschöpfungstyp UTPR).
Präsident Trump hatte diesen Januar erklärt, dass sich seine Regierung durch die OECD-Regeln nicht gebunden fühle. Schon sein Vorgänger wollte nicht mitmachen, aber Trump ging noch viel weiter: Er drohte allen Ländern, die amerikanische Firmen grenzüberschreitend besteuern, mit Sanktionen. Ohne grenzüberschreitende Steuerabschöpfungen würde die Motivation vieler Länder zum Mitmachen bei der Mindestbesteuerung wegfallen.
Das US-Finanzministerium sollte bis im März konkrete Vorschläge für Sanktionen gegen andere Länder vorlegen. Publiziert sind diese Vorschläge bis heute nicht, doch die zwei zurzeit diskutierten Gesetzesvorschläge aus dem US-Kongress erscheinen bedrohlich genug – mit deutlichen Erhöhungen von Quellensteuern und anderen Steuern für ausländische Konzerne, und dies unter Umständen ohne Rücksicht auf internationale Steuerabkommen.
Eine Analyse durch die Beratungsfirma KPMG zeigte vergangene Woche einige Widersprüchlichkeiten dieser Gesetzesvorschläge, aber die Drohkulisse ist aufgebaut. Und im Unterschied zum Zollstreit hat hier die Regierung Trump wesentlichen innenpolitischen Sukkurs aus der Wirtschaft.
Auch Schweizer Firmen würden dem Vernehmen nach durch die Gesetzesprojekte empfindlich getroffen. Ein genaueres Bild soll eine laufende Umfrage des Wirtschaftsverbands Swissholdings bei seinen Mitgliederfirmen liefern.
Weichenstellung in der EU
Das System der globalen Mindeststeuer werde nicht zusammenbrechen, aber es werde wohl auf Druck der USA umgebaut – das prognostizierten in diesen Tagen einige befragte Steuerexperten. Viel wird von der Reaktion der EU abhängen. Dieser Dienstag steuert dazu ein wichtiges Stimmungsbarometer bei – mit dem Treffen einer hochrangigen Arbeitsgruppe der EU-Mitgliedstaaten.
Ein mögliches Ergebnis: Die EU akzeptiert eine Sonderbehandlung der USA. Formalisieren liesse sich dieses Einknicken mit der Verlängerung der zurzeit bis 2026 geltenden OECD-Sonderregel auf unbestimmte Zeit. Laut dieser Sonderregel sind grenzüberschreitende Abschöpfungen nach dem Typ UTPR nur zulässig gegenüber Ländern mit einem ordentlichen Gewinnsteuersatz bis 20 Prozent (gemeint ist: unterhalb des amerikanischen Niveaus).
Zudem könnte die EU die amerikanische Form einer Mindeststeuer namens Gilti als gleichwertig mit den OECD-Regeln akzeptieren. Dieses amerikanische System sieht eine Aufrechnungssteuer für Konzerne der USA vor, wenn deren ausländische Ableger im Ausland «unterbesteuert» sind. Doch insgesamt ist Gilti laut Steuerexperten einiges lockerer als die OECD-Mindeststeuer.
Ein solches Einknicken der EU würde EU-Konzerne gegenüber amerikanischen Firmen benachteiligen und widerspräche dem deklarierten Ziel einer grösseren Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft. Einige Schweizer Beobachter haben deshalb in letzter Zeit verstärkt den Eindruck erhalten, dass die EU eine Diskriminierung ihrer Firmen gegenüber den USA kaum akzeptieren werde. Zu diesen Beobachtern gehört der Steuerrechtsprofessor René Matteotti von der Universität Zürich. Er hatte 2023 für den Bund ein Gutachten zur Mindeststeuer verfasst und weilt derzeit für eine Gastprofessur in den USA.
Lockerung der OECD-Regeln?
Die EU könnte den USA entgegenkommen, ohne die eigenen Firmen zu diskriminieren. Ein Weg dazu wäre die Lockerung der OECD-Regeln in Richtung amerikanischer Vorstellung. Matteotti nennt drei Ansatzpunkte: die Definition der Mindestbesteuerung als globale Gesamtbelastung eines Konzerns statt als Steuerbelastung in jedem einzelnen Land, die breitere Zulassung von Steuererleichterungen für Forschungstätigkeit und die Beschränkung von grenzüberschreitenden Besteuerungen nach dem Typ UTPR.
Denkbar ist auch, dass sich die EU und die USA auf Privilegien für Länder mit ordentlichem Gewinnsteuersatz über einem gewissen Niveau einigen – so dass die USA und die grossen EU-Länder besser wegkommen als kleinere Staaten wie die Schweiz mit ihren oft tieferen ordentlichen Steuersätzen. Laut einer OECD-Analyse stammt zwar über die Hälfte der «unterbesteuerten» Gewinne grosser Konzerne aus Ländern mit einer durchschnittlichen Steuerbelastung von über 15 Prozent, aber das muss man ja nicht laut sagen.
Aus Schweizer Sicht wie auch aus Sicht des EU-Wirtschaftsstandorts wäre eine Lockerung der OECD-Regeln günstiger als die Verbriefung eines amerikanischen Privilegs. Doch ob es zu einer Vereinbarung zwischen der EU und den USA kommt, muss sich noch zeigen. Die Schweiz halte sich vorderhand am besten alle Optionen offen, sagt der Steuerexperte Stefan Kuhn von KPMG Schweiz. Ähnlich sieht es auch René Matteotti: Komme es zu Lockerungen der OECD-Regeln, könne der Bundesrat diese Lockerungen via Verordnungsänderung flexibel nachvollziehen.