Die grossen Ferien sind nicht mehr fern – höchste Zeit, die Sehnsucht zu schüren. Und zwar mit kulinarischen Notizen von einer Vulkaninsel.

Diese Zeilen entstehen auf einer wundersamen Vulkaninsel im Mittelmeer. Und die Rückkehr zu dieser hat hier schon fast Tradition. Erstmals war sie in dieser Kolumne vor vier Jahren einbezogen, als in. Zürich Corona-bedingt alle Theken schliefen und unser Falter Zuflucht auf Stromboli fand: Sein Durst und auch sein Hunger wurden umfassend gestillt. Zwei Jahre später berichtete er erneut von diesem Eiland, dem er verfallen ist, da er die Nacht liebt: Es gibt kein Strassen-, dafür umso mehr Sternenlicht, und der Namenspatron ist ein feuerspeiender Riese, auf dessen Schultern das kaum fünfhundertköpfige Inselvolk lebt.

Führen wir also den Zwei-Jahres-Rhythmus fort, so überschaubar das gastronomische Angebot auch sein mag. Die Zahl der Ess- und Trinkstätten ist weiterhin an zwei, drei Händen abzuzählen, wobei das spektakulärste Angebot zurzeit wegfällt: Das «Osservatorio», dessen Restaurantterrasse nachts beste Sicht aufs natürlich Feuerwerk des Kraters bietet, ist aus obskuren (offenbar bewilligungstechnischen) Gründen seit über einem Jahr geschlossen.

Nun, aus kulinarischer Sicht gibt es ohnehin interessantere Orte. Die«Trattoria ai Gechi» versteckt sich zuhinterst in einer Seitengasse wie ein Gecko unterm Stein. Sie kann zwar so wenig mit Aussicht punkten wie der Rote Drachenkopf mit Schönheit, doch umso besser schmeckt dieser skurrile Fisch hier in gedämpfter Form. Überdies gibt es den besten Mandarinenlikör, den man sich vorstellen kann: Der Wirt gewinnt ihn aus den Früchten seines einzigen Bäumchens, sobald sie im Spätfrühling endlich reif sind. Wir heben das Glas, und im Hintergrund singt Louis Armstrong «What a wonderful World».

Nicht auf der «Gechi»-Karte steht das ortstypische Pastagericht: Sucht man in Zürich das beste Züri Gschnätzlete, sind es auf der Insel die Spaghetti alla Strombolana. Manche Restaurantküchen mischen Sardellen, Minze und weiteren Zutaten einfach unter die Teigwaren; doch ein Zauber entfaltet sich erst, wenn alles zum homogenen Sugo eingekocht ist, wie etwa im «Punta Lena». Dort prägt der süssliche Meerfenchel«La Strombolana di Stefano», benannt nach dem Gründer, vor acht Jahren viel zu früh verstorben. Seither führt seine Tochter Milena Oliva, die mütterlicherseits Baselbieter Wurzeln hat, das romantische Gasthaus auf einer Klippe. Es ist zu einem Gourmetlokal des Archipels geworden, mit Amuse Bouches und Kellnern in weissen Hemden samt Fliege.

Am besten schmeckt mir die «Strombolana» jedoch im gut vierzigjährigen Ristorante da Zurro, für dessen Würdigung ich mit zwei meiner eisernen Prinzipien brechen muss: nie über Köche zu schreiben, mit denen ich näher bekannt oder gar befreundet bin, und stets inkognito zu testen. Immerhin hat Franco Utano alias Zurro keine Ahnung, dass ich seinem Betrieb hier ein paar Zeilen widme, und sie dürften ihm kaum einen messbaren Wettbewerbsvorteil bescheren.

Der vollbärtige Spross einer alteingesessenen Fischerfamilie, der seinen Charakterkopf gern mit einer bunten Mütze bedeckt, verwandelt die Fänge rund um die Insel meisterhaft in Meeresgerichte. Als Basis dient ihm die Cucina povera seiner Mutter, von der auch das Rezept für seine «Strombolana» mit einem halben Dutzend Zutaten stammt. Ich durfte schon mit ihm am Herd stehen, aber über die genaue Zubereitung schweige ich selbstverständlich wie ein Grab. Mit der Zeit hat der Chef das Gericht noch verfeinert, seit neuem bringen geröstete Brotkrümel die krokante Note ins Spiel. Eine sanfte Chili-Schärfe mischt sich mit Minznoten und sonnensüssen Tomaten, in die nicht zu sparsam beigefügte Sardellen perfekt eingebunden sind: Keine Komponente dominiert, und die Spaghetti kommen natürlich perfekt al dente.

Ich nenne dieses Gericht die Pasta meines Lebens. Das hat auch mit dem Ort, der Insel und ihren Menschen zu tun. Unter einem grossen Gemälde vom Iddu, wie die Bewohner ihren brodelnden Vulkan nennen, sind die Tische schwarz gedeckt wie der Krater. Wird über Gott, das Meer und Meloni diskutiert, redet das halbe Lokal mit. Die schlichte Gaststube ist kaum grösser als die stattliche Küche, und auf der weiten Terrasse treffen Erfüllung und Sehnsucht aufeinander: Der winzige Hafen von Stromboli ist keinen Steinwurf entfernt, Passagiere werden verschluckt oder ausgespuckt von mächtigen Fähren, häufiger aber von nervösen Schnellbooten, die im Hochsommer Abertausende rastlose Tagestouristen herbringen. Wer dieser Insel sein Herz schenken will, sollte länger bleiben – ihr und sich selbst zuliebe.

Ristorante
Da Zurro
Via Crivelli, 5, 98050 Stromboli (It)
Telefon 0039 338 134 2495

Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.

Die Sammlung der NZZ-Restaurantkritiken der letzten fünf Jahre finden Sie hier.

Exit mobile version