Der Bundesrat hat über Eckwerte zur Schweizer Umsetzung des Stromabkommens mit der EU entschieden. Kernpunkte sind die Wechselfreiheit, kostendeckende Gebühren und Schutzmassnahmen für die Konsumenten.

14.05.2025 - BR Rösti zu: Stromabkommen Schweiz-EU

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Die enge Verknüpfung mit dem europäischen Stromnetz bringt der Schweiz etwa Zugang zu so viel Stromleistungen wie vier bis fünf Kernkraftwerke vom Kaliber Leibstadt: Diese Einschätzung hat die Eidgenössische Elektrizitätskommission (Elcom) vergangene Woche verkündet. Das ausgehandelte Stromabkommen Schweiz-EU würde diese Verknüpfung absichern. Laut Experten von der Elcom, der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid sowie von Stromproduzenten wäre diese Absicherung mit dem EU-Abkommen deutlich breiter und auch solider als mit den bestehenden technischen Vereinbarungen mit diversen EU-Ländern. Diese Vereinbarungen sind jährlich zu erneuern und decken weniger ab als das EU-Abkommen.

Doch die Stromkrise von 2022 ist in den Gedanken offenbar schon weit weg. Das EU-Stromabkommen ist von rechts und zum Teil auch von links unter Beschuss. SVP-Kreise sind fundamental gegen eine engere Anbindung an die EU und sagen, dass sich die Schweiz ihre Energiepolitik nicht von der EU vorschreiben lassen solle.

Der Gewerkschaftsbund wettert gegen das Stromabkommen, weil dieses im Einklang mit der EU-Politik die freie Wahl zwischen staatlich regulierter Grundversorgung und dem freien Markt nicht nur für Grosskunden, sondern auch für alle Privathaushalte vorsieht. Die Gewerkschafter wollen die schweizweit über 600 Grundversorger vor Konkurrenz schützen und scheinen die Konsumenten für unfähig zu halten, mit der Wahlfreiheit umzugehen.

Hinzu kommen Zweifel aus den Kantonen – vor allem aus den Bergkantonen, die in den Details des Vertragstexts trotz Versicherungen des Bundesrats genau überprüfen wollen, ob das Abkommen die Nutzung der Wasserkraft weiterhin wie gewohnt zulässt und die Hoheit der Kantone und Gemeinden nicht einschränkt.

Öffnung für alle

Die Texte des Stromabkommens und des Dachvertrags Schweiz-EU werden erst mit dem Beginn der Vernehmlassung im Juni publiziert. Am Mittwoch hat der Bundesrat immerhin Eckwerte zu den im Inland geplanten Begleitmassnahmen zum Stromabkommen verkündet.

Ab Inkrafttreten des Stromabkommens sollen laut der Regierung alle kleineren Konsumenten ihren Lieferanten frei wählen können. Wer keinen Wechsel wünsche, bleibe automatisch in der Grundversorgung beim lokalen Energieversorger mit regulierten Preisen.

Das EU-Abkommen sieht die Wahlfreiheit für Konsumenten zwischen Grundversorgung und freiem Markt vor – einschliesslich der Möglichkeit, vom freien Markt wieder in die Grundversorgung zu wechseln. Der Knackpunkt hier ist, unter welchen Bedingungen Kunden, die den freien Markt gewählt haben, wieder zurückwechseln können.

Bisher gilt in der Schweiz die freie Wahl nur für Grossverbraucher – ab Jahresverbrauch von 100 000 Kilowattstunden, was etwa dem Verbrauch von rund dreissig vierköpfigen Privathaushalten entspricht. Wer in den freien Markt gewechselt hat, kann nach bisherigen Regeln nicht mehr zurückwechseln. Im freien Markt reagieren die Preise rasch auf Knappheits- oder Überflusssignale der Strombörsen.

Im gebundenen Bereich der Grundversorger müssen sich die Tarife der Anbieter an deren Gestehungskosten ausrichten, und die Tarife gelten jeweils für ein Jahr. Bei Grundversorgern mit viel Eigenproduktion reagieren die Preise deshalb nur beschränkt auf die Börsennotierungen. Das führte in der Stromkrise von 2022 dazu, dass Gewerbevertreter aufgrund der Vervielfachung der Strompreise an den Märkten plötzlich die Möglichkeit zur Rückkehr in die Grundversorgung forderten.

Diese Haltung nach dem Motto «in guten Zeiten profitiere ich von tieferen Preisen am Markt, und in der Krise profitiere ich von tieferen Preisen der Grundversorgung» ist aus Sicht des Gesamtsystems problematisch: Werden Grundversorger in der Krise mit neuen Kunden überschwemmt, müssen sie sich unter Umständen zusätzlich am Markt eindecken, dafür hohe Preise zahlen und diese Preise auf alle Kunden (auch die angestammten) überwälzen.

Verzicht auf Sperrfristen

Trotzdem will der Bundesrat auf Sperrfristen oder lange Ankündigungsfristen verzichten: «Wechsel von der Grundversorgung in den Markt oder zurück in die Grundversorgung sind auch unterjährig möglich.» In der Praxis dürfte es zwar eine Ankündigungsfrist geben, zum Beispiel von 30 Tagen; dies ist dem Vernehmen nach noch nicht im Detail geregelt. Es könnte indes im Prinzip künftig möglich sein, dass ein Stromkonsument zum Beispiel im April in den freien Markt wechselt und im November des gleichen Jahres schon wieder in die Grundversorgung zurückwechselt.

Allerdings werden Wechsel kaum gratis sein. Der Grundversorger kann laut Bundesrat «ein kostendeckendes Ein- oder Austrittsgeld verlangen». Würde zum Beispiel ein Grundversorger in einer Krisenlage mit Rückkehrern überschwemmt und müsste sich der Anbieter deshalb am Markt zu hohen Preisen eindecken, könnte die Wechselgebühr so hoch ausfallen, dass sich der Wechsel für den Kunden unter Umständen gar nicht mehr lohnt.

Die Elcom soll laut Bundesrat Vorgaben zur Berechnung des Ein- oder Austrittsgeldes machen. Die Tarife für die Grundversorgung werden weiterhin jeweils für ein Jahr festgesetzt. Anspruch auf die Grundversorgung sollen Stromkonsumenten mit einem Verbrauch bis 50 000 Kilowattstunden haben. Damit sind wohl praktisch alle Privathaushalte abgedeckt – und auch Unternehmen mit relativ kleinem Stromverbrauch. Verbraucher zwischen 50 000 und 100 000 Kilowattstunden werden sich künftig auf dem freien Markt eindecken müssen.

Portal für Preisvergleiche

Im weiteren hat der Bundesrat über ein Massnahmenpaket zum Schutz der Stromkonsumenten entschieden. Hier einige Stichworte: Einrichtung eines Portals zum Vergleichen von Angeboten für Konsumenten; Schaffung einer Ombudsstelle mit Schlichtungsmöglichkeit; Vorgaben an die Anbieter in Sachen Leistungen, Qualität, Tarifen, Vertragsdauer, Kündigungsmodalitäten, Haftung/Streitbeilegung.

Anbieter mit mehr als 50 000 Kunden müssen laut Bundesrat sowohl Verträge mit fixen Preisen und Laufzeiten als auch «dynamische» Verträge anbieten. Mit dynamischen Verträgen ist zum Beispiel gemeint, dass sich die Preise je nach Entwicklung der Strombörsen verändern können. Lieferanten im freien Markt müssen sich bei der Elcom registrieren und einen Kundendienst in der Schweiz betreiben.

Die Elcom soll die Folgen des Marktöffnung auf die Konsumenten und auf das Personal der Stromwirtschaft überwachen. Bei allfälligen negativen Auswirkungen soll es Korrekturmassnahmen geben.

Die Kantone müssen warten

Keine Neuigkeiten gab es am Mittwoch zunächst bei jenen Themen, welche die Kantone speziell interessieren. Die Kantone müssen für weiteres bis zur Veröffentlichung der Vertragstexte warten, wie es am Mittwoch hiess. Der Bundesrat hatte schon vergangenen Dezember in seinem Faktenblatt zum Stromabkommen erklärt, dass die Bedenken der Kantone im Abkommen berücksichtigt seien. Die Konferenz der kantonalen Energiedirektoren hatte sich in der Folge denn auch im Grundsatz positiv zum Stromabkommen geäussert.

Doch die Gebirgskantone sind noch nicht überzeugt. Die Regierungskonferenz der Gebirgskantone bekräftigte diesen Dienstag auf Anfrage, dass sie zum Stromabkommen keine Stellungnahme abgebe, bis man den Vertragstext gesehen und analysiert habe.

Exit mobile version