Montag, September 30

Der Ausbau der lokalen Netze kann mit dem Solarboom nicht Schritt halten. Stromfirmen warnen davor, dass die Energiewende abgewürgt werden könnte.

Der Ausbau der Photovoltaik hat Fahrt aufgenommen. Jeden Tag werden schweizweit über 200 neue Anlagen installiert, die meisten davon auf den Dächern von Wohnhäusern oder Industriebetrieben. Schon im laufenden Jahr wird die Solarenergie erstmals über 10 Prozent des Jahresbedarfs liefern – mehr als die beiden Reaktoren in Beznau zusammen.

Geht es nach dem Willen des Volkes, soll dies nur der Anfang sein: Bis 2035 soll die Menge an produzierter Sonnenenergie noch einmal verfünffacht werden. So steht es im neuen Stromgesetz, welches das Stimmvolk am 9. Juni angenommen hat.

Unterschlagen wird in den forschen Wachstumsplänen, dass es für die Solarwende auch einen Ausbau der Netze braucht. Und dieser erweist sich je länger, je mehr als Flaschenhals. «Es kommt immer häufiger vor, dass wir Kundinnen und Kunden den Anschluss einer Solaranlage nicht bewilligen können, weil das bestehende Verteilnetz noch nicht leistungsfähig genug ist», sagt Andreas Ebner, Leiter Netzplanung und Projekte bei der Berner BKW, der Betreiberin des grössten Verteilnetzes in der Schweiz.

Noch handle es sich, gemessen an der Gesamtzahl der gebauten Solaranlagen, um vergleichsweise wenig Fälle. So könne man noch immer 85 Prozent der neuen Solaranlagen auch ohne Ausbau des Netzes anschliessen. In Zukunft würden solche Fälle allerdings viel öfter auftreten. «Wir befürchten, dass die Energiewende aufgrund der zu wenig starken Netzinfrastruktur abgewürgt wird», sagt Ebner.

Wartezeit von mehreren Jahren

Die gleiche Sorge treibt auch die Axpo-Tochter CKW um, die in der Zentralschweiz rund 200 000 Kunden mit Strom versorgt. «Durch den starken Ausbau der Photovoltaik sind die Kapazitätsreserven im Verteilnetz an gewissen Stellen ausgeschöpft. Bevor eine neue Anlage Strom einspeisen kann, sind Ausbauten nötig», sagt der Sprecher Marcel Schmid. Die Wartezeit könne je nach Situation mehrere Jahre dauern, auch wenn dies noch Ausnahmefälle seien. Derzeit könnten noch gut 80 Prozent der Anlagen sofort ans Netz angeschlossen werden.

Akuter Ausbaubedarf besteht dabei weniger in den grossen Städten als vielmehr in der Hüsli-Schweiz in der Peripherie. Nirgendwo schreitet die Energiewende schneller voran als in den Quartieren, in denen die Einfamilienhäuser in Reih und Glied stehen. Immer grössere Mengen Strom werden dort auf den Dächern produziert – es werden Ladestationen für E-Autos installiert und im grossen Stil Ölheizungen herausgerissen und durch Wärmepumpen ersetzt.

Die starke Zunahme bei Verbrauch und Erzeugung von Strom führt dazu, dass die bestehende Netzinfrastruktur an den Anschlag gerät. Was die Aufgabe der Stromfirmen anspruchsvoll macht: Verteilnetze müssen in jedem Abschnitt auf die mögliche Maximalbelastung des Netzes ausgelegt werden. Als «Worst Case» bezeichnet der BKW-Mann Ebner ein wolkenloses Wochenende im Juni. Dann produzieren die Solaranlagen auf den Dächern am meisten Strom. «Da viele Hausbesitzer an diesen Tagen nicht daheim sind, wird der Strom fast ausschliesslich eingespeist. Damit gerät das Verteilnetz im Quartier rasch an Grenzen.»

Um den zu Spitzenzeiten reichlich fliessenden Solarstrom aufzunehmen und abzutransportieren, reicht es in vielen Fällen, das bestehende Netz bloss zu verstärken, indem dickere Kabel verlegt werden. Häufig aber braucht es mehr: neue Trafostationen etwa oder neue Leitungen. Doch wie beim Bau von Windrädern, Wasserkraftwerken und alpinen Solarparks auch sind beim Ausbau des Verteilnetzes die regulatorischen Hürden hoch.

Welche Probleme sich beim Netzausbau stellen, illustriert Ebner an einem aktuellen Fall in einer Gemeinde im eigenen Versorgungsgebiet. Dort musste die BKW vor zwei Jahren einer Hauseigentümerin das Anschlussgesuch verwehren, bis eine neue Trafostation installiert wird. Im Quartier jedoch fand sich kein öffentlicher Grund, der für den Bau einer solchen Anlage genutzt werden konnte. Ebenfalls lehnten die umliegenden privaten Grundstückeigentümer es ab, für ein solches Bauvorhaben Land zur Verfügung zu stellen.

Schliesslich erhielt die Netzbetreiberin von einem Bauern das Einverständnis, in der nahe gelegenen Landwirtschaftszone die Trafostation zu errichten. Doch die Behörden stoppten die Pläne aus raumplanerischen Gründen. Gemäss einem Urteil des Bundesgerichts leistet ein solches Vorhaben der Zersiedelung der Schweiz Vorschub.

BKW und Hausbesitzerin stehen deshalb immer noch mit leeren Händen da. «Solange das Netz nicht ausgebaut wird, können wir im Quartier keine weiteren Solaranlagen anschliessen», sagt Andreas Ebner. In Zukunft dürften solche Fälle vermehrt eintreten. Im Versorgungsgebiet der BKW gibt es derzeit 6000 Trafostationen. Um die im Stromgesetz verankerten Ziele zu erreichen, müssen bis ins Jahr 2050 3000 weitere hinzukommen.

Ähnliche Erfahrungen macht in der Innerschweiz die CKW. «Im bebauten Gebiet ist die Suche nach Standorten sehr aufwendig», sagt der Sprecher Schmid, «und ausserhalb der Bauzone sorgen die komplizierten Verfahren für Verzögerungen und unnötig grossen administrativen Aufwand.» Hier seien dringend bessere Rahmenbedingungen nötig.

«Netzexpress» weist Lücken auf

Energieminister Albert Rösti hat derweil ebenfalls erkannt, dass die Energiewende nur gelingen kann, wenn dazu im Gleichschritt die Netzinfrastruktur ausgebaut wird. Mit dem sogenannten Netzexpress sollen die Bewilligungsverfahren gestrafft und vereinfacht werden. Allerdings zielt die Beschleunigungsvorlage lediglich auf die höheren Spannungsebenen – das Verteilnetz wird in der Vorlage weitgehend ausgeklammert. Ein Fehler, findet Ebner: «Auf den unteren Netzebenen ist der Investitionsbedarf am grössten. Entsprechend wichtig ist, dass auch hier schneller ausgebaut werden kann.»

Die BKW fordert, dass der Bund in der Vorlage auch die Verteilnetze berücksichtige. «Es braucht verkürzte, vereinfachte Genehmigungsverfahren auf allen Netzebenen», sagt Ebner. Zudem soll der Netzausbau auch in der Raumplanung erleichtert werden, etwa indem Trafostationen auch ausserhalb von Bauzonen bewilligt werden können.

Da es Jahre dauern dürfte, bis diese Massnahmen umgesetzt sind, wollen die Stromfirmen nun zu resoluteren Mitteln greifen, um die Situation zu entschärfen. Konkret wollen sie künftig die Leistung von Solaranlagen drosseln, um das Netz zu entlasten.

Möglich macht diese Massnahme das neue Stromgesetz. Tritt dieses Anfang Jahr in Kraft, können die Energieversorger die ins Netz eingespeiste Leistung limitieren – und das nicht nur, wenn eine unmittelbare Gefährdung des Netzbetriebs vorliegt. Eine Zustimmung des Hauseigentümers brauchen sie dafür nicht. Wird sie von den Netzbetreibern umgesetzt, hat die Massnahme eine grosse Wirkung: Mit einer Begrenzung der Solaranlagen auf 70 Prozent kann der Ausbaubedarf beim Netz um 30 Prozent gesenkt werden kann.

Hausbesitzern droht Drosselung der Solaranlagen

Die Solaranlagenbesitzer müssen derweil bloss auf einen geringen Anteil der Energie verzichten. Da die Leistungsspitze der PV-Anlagen nur an wenigen Sommertagen ausgeschöpft wird, betragen die Einbussen beim Strom gemäss einer Studie der Fachhochschule Bern übers Jahr gesehen bloss etwa 3 Prozent. Bei einer durchschnittlichen Anlage auf einem Einfamilienhaus ginge den Besitzern damit pro Jahr ein tiefer einstelliger Frankenbetrag verloren. Im Gegenzug könnte allerdings viel Geld beim Netzausbau eingespart werden, was gemäss den Stromfirmen zu weniger stark steigenden Tarifen führt.

Die BKW beabsichtigt deshalb, in ihrem Versorgungsgebiet die Leistung aller neu installierten Solaranlagen fortan fix auf 70 Prozent zu begrenzen. Dazu allerdings braucht sie erst grünes Licht vom Bundesrat, der derzeit eine entsprechende Verordnung finalisiert. Sicher ist: Die Herausforderung, das Netz rechtzeitig auszubauen, bleibt immens.

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