Freitag, Januar 10

Das Büro für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestags sieht noch grosse Hürden auf dem Weg zur kommerziellen Nutzung der Fusionsenergie. Eine Expertin weist auf Fehler in der Studie hin.

Viel Geld, Zeit und etliche weitere technische Durchbrüche wird die Kernfusionsforschung auf dem Weg zu einem ersten nützlichen Fusionskraftwerk noch benötigen. Und selbst dann wären die Chancen der Technik in einem von Erneuerbaren geprägten Energiesystem immer noch ungewiss. Das geht aus einem Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung des Bundestags hervor, der heute in Berlin veröffentlicht wurde.

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Die Kompaktstudie, für die die wissenschaftliche Literatur ausgewertet und zehn Experten befragt wurden, zählt die zum Teil noch erheblichen Wissenslücken auf, die einen Markteintritt der Kernfusion in den nächsten zwanzig bis dreissig Jahren unrealistisch erscheinen lassen.

Die Studienautoren sind skeptisch, dass Fusionskraftwerke dereinst im Zusammenspiel mit Solar- und Windanlagen einen sinnvollen Beitrag zur Stromproduktion leisten können. Als Ergänzung zu den Erneuerbaren seien schnell regelbare Kraftwerke nötig. Diese Voraussetzung würden Fusionsanlagen auf absehbare Zeit nicht erfüllen. Denkbar sei hingegen, dass Fusionsreaktoren die nötige Energie zur Herstellung von Wasserstoff, zur CO2-Abscheidung aus der Luft oder zur Meerwasserentsalzung bereitstellten.

Kernfusion könnte beim nächsten Wahlkampf Streit entfachen

Anlass für die neue Studie sind die Durchbrüche, die Fusionsforscher in den letzten Jahren gefeiert haben. Bei Experimenten an der National Ignition Facility in den USA gelang es 2022 erstmals, mithilfe eines hochenergetischen Lasers ein Plasma zu zünden, das mehr Fusionsenergie lieferte, als zur Aufheizung des Plasmas nötig war. In Deutschland erzeugten Forscher an der Versuchsanlage Wendelstein 7-X 2023 ein Wasserstoffplasma, das acht Minuten lang bei einer Temperatur von 50 Millionen Grad Celsius gehalten werden konnte. Dabei sprang allerdings kein Energieüberschuss heraus.

Diese Ergebnisse geben den Befürworten der Kernfusion frischen Aufwind. Die Gewinnung überschüssiger Energie aus einem erhitzten Plasma bildet nämlich die Grundvoraussetzung für den Bau eines Fusionsreaktors. Bis jetzt fehlt zwar der endgültige Nachweis, dass ein solches Plasma auch verlässlich eingeschlossen werden kann und eine genügend hohe Energieausbeute liefern wird. Beim heutigen Stand der Forschung gehen Experten aber davon aus, dass dies in den nächsten Jahren gelingen wird.

Das hat auch deutsche Politiker aufhorchen lassen. Im November stellte die Union (CDU/CSU) eine Energie-Agenda vor, in der die Forderung steht, dass das weltweit erste kommerzielle Fusionskraftwerk auf deutschem Boden stehen solle. Auch die FDP spricht sich in ihrem Wahlprogramm für eine Förderung der Kernfusion aus. Vor der nächsten Bundestagswahl dürfte das Thema Kernfusion ausreichend Zündstoff für hitzige energiepolitische Debatten liefern. Für die politischen Parteien, die für eine zukünftige Rolle der Kernfusion im deutschen Energiesystem plädieren, stellt sich nun die Frage, wie lange sie bereit sind, auch die dazu notwendige langfristige Forschungsfinanzierung bereitzustellen.

Laut Christian Dürr von der FDP ist es wichtig, dass der Staat lediglich die Forschung finanziell unterstützt, aber nicht den späteren kommerziellen Betrieb. Die staatliche Subventionierung sei der grosse Fehler bei den Erneuerbaren in Deutschland gewesen. Dürr betont, dass Deutschland technologieoffen bleiben müsse. Er steht für weitere Investitionen in die Kernkraft ein. Neben der Kernfusion sollen auch kleine modulare Spaltungsreaktoren eine Rolle spielen.

Für Jens Spahn von der Unionsfraktion ist klar, dass die Politik die richtigen Rahmenbedingungen für Forschung und forschende Unternehmen schaffen kann. Er schlägt vor, eine Ausschreibung zu machen. Die Unternehmen, die jeweils mit dem geringsten Zuschuss einen Reaktor bauen wollen, sollen den Zuschuss auch bekommen.

Zweifel an der Verfügbarkeit des nötigen Fusionsbrennstoffs

Vor dem Hintergrund des wachsenden öffentlichen Interesses an der Kernfusion versucht der heute veröffentlichte Bericht eine Bestandsaufnahme und einen Ausblick. Erheblichen Entwicklungsbedarf sehen die Studienautoren zum Beispiel bei der Frage, woher der Brennstoff Tritium für zukünftige Fusionskraftwerke kommen soll.

Tritium ist ein Isotop – also sozusagen eine Variante – von Wasserstoff, das nicht natürlich vorkommt. Es wird heute nur in einigen wenigen Kernspaltungsreaktoren hergestellt, allerdings nur in kleinen Mengen. Zudem sollen diese Reaktoren voraussichtlich in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren abgeschaltet werden. Ohne ein Startinventar von Tritium könnten geplante Pilotanlagen, die die technische Machbarkeit eines Fusionsreaktors erproben sollten, gar nicht erst in Betrieb gehen.

In einem Fusionsreaktor braucht es nämlich eine Anfangsmenge Tritium, die dann im Reaktor selbst vermehrt werden muss, damit die Anlage kontinuierlich laufen kann. Dieser als Brüten bezeichnete Prozess der Tritium-Vermehrung im Reaktor ist wiederum auf Werk- und Rohstoffe wie Beryllium und das Isotop Lithium-6 angewiesen, deren langfristige Verfügbarkeit alles andere als gesichert beziehungsweise nur mit massiven Investitionen in Produktionsanlagen zu gewährleisten sei.

Wenn es einmal kommerzielle Fusionskraftwerke gäbe, müsste jedes davon mindestens doppelt so viel Tritium erbrüten, wie es selbst verbraucht. Nur dann wäre genügend Tritium vorhanden, um neue Kraftwerke zu versorgen. Aber ob diese Tritium-Verdopplung überhaupt machbar sein wird, ist ebenfalls noch gar nicht sicher. Der Plasmaphysiker und EPFL-Professor Ambrogio Fasoli teilt die Auffassung der Studienautoren, dass die Tritium-Versorgung eine grosse Hürde auf dem Weg zur nützlichen Kernfusion darstellt. Für ihn sei es sogar das grösste noch zu lösende Problem.

Fusionsforscherin wundert sich über Fehler im Bericht

Kritik erntet der Bericht von Sibylle Günter, wissenschaftliche Leiterin des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik in Garching. Günter bemängelt Fehler, Ungenauigkeiten und Ungereimtheiten in einer Vorabversion, die das deutsche Science Media Center ihr Anfang Dezember zum Zweck einer Stellungnahme zur Verfügung stellte.

So ist Günter aufgefallen, dass der Bericht bei der Beschreibung der Fusions-Roadmap der Europäischen Union eine Pilotanlage aufführte, die seit zwanzig Jahren nicht mehr Teil der EU-Pläne ist. Dadurch entstehe der falsche Eindruck, dass die Strategie der EU drei statt zwei Testanlagen bis zum ersten kommerziellen Fusionsreaktor vorsehe. Von Günter auf den Fehler aufmerksam gemacht, beschränkten sich die Studienautoren darauf, die Korrektur lediglich in einer Fussnote anzubringen. Die Erwähnung der nicht mehr geplanten Anlage wurde jedoch im Bericht beibehalten.

Zudem weist Günter beispielsweise auf falsche Angaben zur Strahlenbelastung hin, der einzelne Komponenten einer tatsächlich geplanten Testanlage voraussichtlich ausgesetzt sein werden.

Günter macht auch auf jüngste wichtige Fortschritte aufmerksam, die im Bericht keine Erwähnung finden. Diese beziehen sich auf die Magnete aus Hochtemperatursupraleitern, die für die Einschliessung des Plasmas in Fusionsreaktoren sorgen. Den Studienautoren muss man an dieser Stelle zugestehen, dass die erwähnten Ergebnisse erst nach Fertigstellung des Berichts im März 2024 veröffentlicht wurden. In diesem Punkt ist der neue Bericht aber bereits beim Erscheinen veraltet.

Exit mobile version