Die erste Zwischenbilanz des Bundes zu den neuen Lohngleichheitsregeln liefert gute und schlechte Nachrichten. Zu denken gibt, dass erst eine Minderheit der betroffenen Firmen die neuen gesetzlichen Pflichten voll erfüllt.

Männer verdienen typischerweise in den meisten Ländern mehr als Frauen. In der Schweiz ist die Differenz noch leicht höher als im Mittel der reichen Volkswirtschaften. Umgerechnet auf eine Vollzeitstelle verdienten Frauen 2022 in der Schweiz 9,1 Prozent weniger als Männer. Diese Zahlen beruhen auf dem Medianlohn – der von je der Hälfte überschritten bzw. unterschritten wird. Wie viel Diskriminierung in solchen Differenzen steckt, ist seit langem die Frage.

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Die Bundesverfassung verlangt: «gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit». Als Folge der Revision des Gleichstellungsgesetzes von 2020 mussten Arbeitgeber mit mindestens 100 Angestellten eine betriebsinterne Lohnanalyse zur Geschlechtergleichheit durchführen. Die Analyse war durch eine unabhängige Stelle (etwa eine Revisionsfirma) zu überprüfen, und bis spätestens Mitte 2023 waren die Angestellten über die Ergebnisse zu informieren.

Viele haben noch Hausaufgaben

Am Freitag legte der Bundesrat eine erste Zwischenbilanz vor. Dies auf der Basis von Befragungen der Berner Fachhochschule und der Beratungsfirma PPC bei Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Revisoren. Ein Hauptbefund: Nur etwa 45 Prozent der antwortenden Arbeitgeber haben die neuen gesetzlichen Pflichten voll erfüllt.

Die Studienverantwortlichen fragten alle rund 6000 Arbeitgeber mit mindestens 100 Angestellten an. Antworten kamen von gut 2400 Betrieben mit total über einer Million Angestellten. Dies entspricht einer beachtlichen Rücklaufquote von 40 Prozent. Rund 80 Prozent der Antwortgeber sagten, dass sie seit 2020 eine Lohngleichheitsanalyse durchgeführt hätten; die meisten von ihnen (85 Prozent) mit dem Analysetool Logib des Bundes. Gut zwei Drittel der Umfrageteilnehmer meldeten auch den Vollzug der externen Überprüfung der Analyse. Nur knapp die Hälfte hat die Mitarbeiter über die Ergebnisse orientiert. Die übrigen lieferten dazu keine Angaben, oder sie verneinten die entsprechende Frage.

Tendenz: Je grösser der Betrieb, desto eher hat er die gesetzlichen Pflichten erfüllt. Zu den genannten Begründungen für das Nichterfüllen zählten das Nichtwissen, die Kosten, das Verneinen einer Notwendigkeit und das Fehlen von Sanktionen bei Verstössen.

Nur wenige Lohnsünder?

Doch welche Ergebnisse brachten die Analysen? Der Median der unerklärten Lohndifferenz belief sich auf 2,3 Prozent, der Durchschnitt auf 3,3 Prozent. Nur gut 1 Prozent der Antwortgeber sagten, dass bei ihnen die Toleranzschwelle von 5 Prozent unerklärter Lohndifferenz überschritten worden sei.

Die Firmenumfrage dürfte die Realität beschönigen. Dies vor allem wegen des Selektionseffekts: Arbeitgeber, die ihre gesetzlichen Pflichten voll erfüllt haben und gute Resultate ausweisen, dürften eher an der Umfrage teilgenommen haben als andere Betriebe.

Immerhin liefert die Befragung der Revisoren eine gewisse Querkontrolle zu den Ergebnissen der Lohnanalysen. Rund 300 von 864 angeschriebenen Revisoren nahmen an der Umfrage teil. Die Teilnehmer dürften laut den Studienautoren zusammen über 2300 Lohnanalysen geprüft haben. Gemäss den Antworten der Revisoren orteten gut zwei Drittel der Lohnanalysen keinen Geschlechtereffekt. Bei weiteren 28 Prozent lag der Effekt unterhalb der Toleranzschwelle von 5 Prozent Geschlechterdifferenz. Und bei gut 3 Prozent wurde die Toleranzschwelle überschritten. Das lässt mutmassen, dass im Mittel die unerklärte Lohndifferenz deutlich unter 5 Prozent lag. Dies deckt sich mit Angaben diverser Beratungsfirmen, die im Durchschnitt von jeweils Hunderten von Analysen Differenzen zwischen 1 und 4 Prozent geortet hatten.

Verzerrung in beide Richtungen

Auch die Ergebnisse der Revisorenbefragung könnten das Bild beschönigen. Etwa wenn Firmen mit ungünstigen Zuständen eher auf eine Lohnanalyse oder eine externe Überprüfung dieser Analyse verzichtet haben. Doch es gibt auch mögliche gegenläufige Verzerrungen. So betonen Berater seit langem, dass das vom Bund zur Verfügung gestellte Analysetool Logib die effektive Erwerbserfahrung nicht voll berücksichtige, da Erwerbsunterbrüche (die bei den Frauen öfter vorkommen als bei Männern) nicht erfasst seien. Das führe zu einer Überschätzung der Frauendiskriminierung.

Eine weitere genannte Kritik: Logib berücksichtige zwar die Anforderungsniveaus, aber schlage Berufe mit unterschiedlichen Marktbedingungen über einen Leisten. So könnten zum Beispiel ein Logistiker und ein Informatiker unter Umständen auf das gleiche Anforderungsniveau kommen, doch Informatiker seien am Markt deutlich besser bezahlt; bei grösserem Männeranteil im Informatikerberuf weise Logib solche Marktunterschiede fälschlicherweise als Diskriminierung aus.

Verzerrungen kann es auch durch unterschiedliche Verhaltensweisen der Geschlechter geben. Das Leben und damit auch der Arbeitsmarkt sind oft geprägt durch eine Diskriminierung der Leisen gegenüber den Lauten. Bei den Lauten sind die Männer übervertreten, was zu falschen Schlüssen bezüglich Geschlechterdiskriminierung führen kann.

Mögliche Verzerrungen kann es laut Beratern auch durch die Einordnung von Schichtzulagen oder anderen Erschwerniszulagen als normaler Lohn geben – wenn ein Geschlecht in Tätigkeiten mit solchen Zulagen deutlich übervertreten ist. Auch die im Vergleich zu den Männern oft tieferen Arbeitspensen der Frauen könnten in Kombination mit einem negativen Lohneffekt von Teilzeitarbeit das Bild verfälschen.

All dies heisst nicht, dass es keine Frauendiskriminierung gibt. Es heisst aber, dass der Begriff oft zu schnell kommt. Die offiziellen nationalen Lohnstatistiken haben jedenfalls nur beschränkte Aussagekraft zur Geschlechterdiskriminierung.

Bundesrat mit Gewehr bei Fuss

Gemäss einer Analyse auf Basis der nationalen Statistiken war 2022 knapp die Hälfte der Lohndifferenz der Geschlechter auf «legitime» Faktoren wie etwa Unterschiede in Dienstalter, Bildungsstand, Branche und Kompetenzniveau zurückzuführen. Aus methodischen Gründen beruhen diese Analysen nicht auf den Medianlöhnen, sondern auf den Durchschnittslöhnen (wo die Differenzen wegen der starken Übervertretung der Männer bei den Hochlöhnen grösser sind). Gemessen am Durchschnittslohn verdienten Frauen gut 16 Prozent weniger als Männer; der unerklärte Teil betrug 7,8 Prozent.

Nur ein kleinerer Teil dieser unerklärten Differenz dürfte Frauendiskriminierung spiegeln. Diesen Eindruck erhärten die am Freitag publizierten Analysen. Doch der Befund, dass nur eine Minderheit der betroffenen Arbeitgeber die neuen gesetzlichen Pflichten erfüllt, ist eine Einladung für Forderungen nach Sanktionen. Der Bundesrat vermutet, dass nur etwa ein Fünftel der betroffenen Arbeitgeber alle drei neuen Pflichten des Gleichstellungsgesetzes erfülle. Zu den Sündern zählen auch manche öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber.

In den letzten Jahren gab es im Parlament diverse Vorstösse zur Verschärfung der Regeln, einschliesslich der Einführung von Sanktionen bei Verstössen. Die Gewerkschaften haben am Freitag ihre Forderung nach Verschärfung erneuert. Der Arbeitgeberverband ortete derweil einen erhöhten Bedarf zur Information der Arbeitgeber über ihre Pflichten. Der Bundesrat will vorerst keine neuen Massnahmen vorschlagen. Er beschloss am Freitag nur, den Evaluationsbericht zur Wirkung der neuen Regeln statt wie geplant erst 2029 schon Ende 2027 vorzulegen: Dann zeige sich, ob zusätzliche Massnahmen nötig seien.

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