Warum wechseln Tausende von Militärdienstpflichtigen jedes Jahr in den Zivildienst? Mit dieser Frage hat sich eine Studie im Auftrag des Bundes beschäftigt. Fazit: Viele sehen wenig Sinn im Militärdienst.
Mehr als 6600 Armeeangehörige entscheiden sich jedes Jahr, dass sie nicht mehr Militärdienst leisten wollen – Tendenz steigend. Diese Soldaten ziehen den Zivildienst vor, obschon er eineinhalbmal so lange dauert. 56 Prozent von ihnen wechseln vor der Rekrutenschule (RS), 12 Prozent während und 33 Prozent nach der abgeschlossenen RS. Das Verteidigungsdepartement (VBS) und das Bundesamt für Zivildienst wollten wissen, warum so viele Dienstpflichtige den Zivildienst wählen, und haben eine Studie in Auftrag gegeben. Diese kommt zum Schluss: Das Militär hat ein Imageproblem. Viele Befragten sehen wenig Sinn im Armeedienst. Dazu kommt, dass nur wenige die Armee vereinbar finden mit dem Privatleben.
Befragt wurden online 3268 Zivildienstleistende (Zivis), die zwischen 2014 und 2023 ein Gesuch gestellt hatten für diesen Dienst. Einige haben sich von Anfang an für den Zivildienst entschieden, andere, während sie bereits Militärdienst leisteten. Neben den Zivis nahmen auch 1066 Armeeangehörige an der Studie teil, welche die Rekrutenschule 2018 bis 2023 absolviert hatten und noch immer im Militär eingeteilt sind.
Die Armee: nicht effizient, nicht modern
Rund 60 Prozent der Teilnehmenden gaben an, dass die Schweiz eine Armee brauche, und die Hälfte kreuzte an, dass der Auftrag der Schweizer Armee sinnvoll sei. Jedoch finden nur rund 15 Prozent das Militär effizient oder modern. Über 60 Prozent der Armeeangehörigen sind ausserdem der Meinung, dass die Ausrüstung nicht gut sei.
Beim Zivildienst finden über 95 Prozent, dass er einen sinnvollen Beitrag für die Gesellschaft leiste, interessante Tätigkeitsfelder biete (83 Prozent) und dass er effizient (67 Prozent) und modern sei (76 Prozent). 92 Prozent der Befragten erklärten ausserdem, dass der Dienst attraktiver sei, weil man unter der Woche nach Hause gehen könne.
Kritisch sind die Befragten beim Thema Vereinbarkeit und Flexibilität der Armee. Nur knapp ein Fünftel der Befragten ist der Meinung, der Militärdienst lasse sich gut mit dem Privatleben vereinbaren und stelle einen Mehrwert für die berufliche Laufbahn dar. Deutlich besser sind die Rahmenbedingungen im Zivildienst: 92 Prozent finden ihn gut vereinbar mit dem Privatleben, 72 Prozent sehen einen Mehrwert für die berufliche Laufbahn.
Mögliche Verpflichtung zum Weitermachen kommt nicht gut an
Grosse Ablehnung haben die Befragten insbesondere, wenn es ums Weitermachen geht. Armeeangehörige können zu Führungsfunktionen verpflichtet werde. Das finden nur 8 Prozent in Ordnung. Jene Armeeangehörigen, die während der Rekrutenschule in den Zivildienst wechselten, gaben dies als entscheidenden Grund für den Wechsel an. Ausserdem hat die Hälfte dieser ehemaligen Militärangehörigen Mühe gehabt mit dem Führungsstil und den hierarchischen Strukturen. Auch empfanden die Befragten die Ausbildung (Inhalt und Methodik) teilweise als wenig sinnvoll und zweckmässig.
Rund ein Viertel gab an, dass die psychische Belastung während der Rekrutenschule zu hoch gewesen sei oder sie gemäss eigenen Angaben Diskriminierung in der Armee erlebt haben. Erst kürzlich publizierte die Armee die erste Studie zu Diskriminierung und sexualisierter Gewalt. Diese kam zum Schluss, dass Frauen besonders stark betroffen sind, aber auch andere Minderheiten wie homosexuelle Männer.
Damit es künftig zu weniger Abgängen kommt, empfehlen die Studienautoren verschiedenste Massnahmen: Die Armee solle beispielsweise den Sinn und Zweck des Dienstes besser kommunizieren und praktisch veranschaulichen. Dies besonders bei Personen, die vor der RS ein Gesuch für den Zivildienst einreichen, da diese rund die Hälfte der jährlichen Gesuchsteller ausmachen. So könnte die Armee beispielsweise öffentliche Übungen oder Manöver organisieren oder Schnuppertage in der RS. Ausserdem solle die Armee ihre Attraktivität steigern, indem die Diensttage über die Jahre flexibler einteilbar seien. Weiter solle die Ausbildung erwachsenengerechter gestaltet und mehr Lerninhalte im Dienst eingebaut werden, die auch im zivilen Leben nützlich seien. Das VBS prüft die vorgeschlagenen Massnahmen.
Wechsel auch, wenn Zivildienst noch länger dauern würde
Mit der Weiterentwicklung der Armee (WEA), die von 2018 bis 2022 realisiert wurde, hat die Armee bereits einige Massnahmen umgesetzt. So wurde es zum Beispiel möglich, eine militärische Ausbildung an eine zivile anrechnen zu lassen oder den Zeitpunkt des Dienstantritts bis zum 24. Altersjahr flexibler zu wählen. Die Befragten der Studie gaben an, dass die Massnahmen für die Armee zwar tatsächlich attraktivitätssteigernd waren, aber ihre Wechselgründe wurden damit offensichtlich nicht substanziell beeinflusst.
Knapp die Hälfte der befragten Zivis hätte nämlich auch in den Zivildienst gewechselt, wenn dieser dreimal so lange gedauert hätte. Weiter gaben 85 Prozent der Befragten an, eher wieder Zivildienst zu leisten anstelle von Militärdienst.
Erst kürzlich hat die Armee mitgeteilt, dass sie die Alimentierung in den nächsten Jahren nicht sicherstellen könne. Bis im Jahr 2030 werde der Effektivbestand unter die Obergrenze von 140 000 Soldatinnen und Soldaten sinken. Deshalb prüft das VBS und das Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung zwei alternative Dienstmodelle. Nicht nur die Armee hat Personalnot, auch der Zivilschutz, der in gewissen Kantonen schon jetzt einen Unterbestand aufweist. Geprüft wird eine Zusammenlegung von Zivilschutz und Zivildienst sowie eine bedarfsorientierte Dienstpflicht nach dem Vorbild Norwegens, wo Männer und Frauen dienstpflichtig sind. Der Prüfbericht soll bis Ende Jahr vorliegen.