Freitag, Oktober 18

Der ANC hat rund einen Viertel seines Stimmanteils verloren. Nun steht er vor einer Herausforderung.

Nach dem überraschend deutlichen Verlust ihrer absoluten Mehrheit grübelt Südafrikas marode Regierungspartei African National Congress (ANC), ob sie sich mithilfe abgestossener reaktionärer Trümmer an der Macht halten soll oder ob sie auf die bisherigen Oppositionsführer der Democratic Alliance (DA) setzen soll. Deren Diskreditierung als weisse Klientelpartei gehörte bisher zum ANC-Grundvokabular.

Am Sonntagabend gab die Wahlkommission das offizielle Ergebnis bekannt. Es ergibt eine Parteienlandschaft, der eine chaotische Ära der Koalitionsregierungen bevorsteht: Der ANC kommt nur noch auf 40,2 Prozent und hat damit weit über ein Viertel seines Stimmanteils verloren. Es folgt die liberale DA (21,8 Prozent). Sensationell mit 14,6 Prozent drittstärkste Kraft wurde die neue ANC-Splitterpartei von Ex-Präsident Jacob Zuma, Umkhonto we Sizwe (MK), noch vor den Economic Freedom Fighters (EFF, 9,5 Prozent), die einst ebenfalls von abtrünnigen Populisten aus dem linken ANC-Flügel gegründet wurden.

Die linkszentristische Partei von Präsident Cyril Ramaphosa wird sich also verschieben müssen – in Richtung des radikalen bis antirechtsstaatlichen Spektrums von EFF und MK. Oder zumindest etwas hin zur marktorientierten Politik der von vielen Weissen gewählten DA, was ganz nebenbei die ANC-Identitätspolitik zunichtemachen würde.

Ex-Präsident Zuma schreitet zum Verbalangriff

Dass neben der Stabilität der Regierung auch die des Landes gefährdet ist, macht Zuma seit Samstag deutlich. Da drohte der 82-jährige Zulu-Patriarch der Wahlkommission damit, es werde «Probleme» geben, wenn sie die Ergebnisse veröffentliche. Das weckte Erinnerungen an die enormen Zerstörungen seiner Anhänger, als er vor drei Jahren zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war.

Zuma ist mit über 14 Prozent der grosse Gewinner dieser Wahl, hatte aber absurderweise die Zweidrittelmehrheit versprochen. Ohne Belege reklamiert seine MK nun Wahlbetrug, will womöglich gar Neuwahlen. Es hatte logistische Probleme der unterfinanzierten Kommission gegeben. Aber Hinweise für Auswirkungen auf das Ergebnis gibt es bislang nicht. Einmal mehr macht es den Eindruck, als tausche Zuma Notizen mit einem republikanischen Präsidentschaftskandidaten in den USA aus.

Zumas Verbalangriff kann man im günstigsten Fall als persönlichen Rachefeldzug interpretieren, schliesslich hatte die Wahlkommission seine Partei zunächst nicht zugelassen und ihm selbst wegen seiner Verurteilung die Kandidatur für das Parlament verwehrt. Der Blick auf das antikonstitutionelle MK-Parteiprogramm aber legt die gezielte Erosion öffentlichen Vertrauens in die staatlichen Institutionen nahe.

Wahlbeteiligung war tiefer denn je

Dem Zulu-Nationalisten Zuma kommt eine gewisse Demokratiemüdigkeit der Nation entgegen. Die Wahlbeteiligung war mit 58 Prozent niedriger denn je. Und dieser Anteil bezieht sich auf die Bürger, die sich im Wählerverzeichnis haben registrieren lassen. Legt man die Zahl der wahlberechtigten Südafrikaner zugrunde, dann sind nur 38 Prozent an die Urnen getreten. Dreissig Jahre sind vergangen, seit ganze Generationen mutig erkämpft hatten, dass nicht länger nur eine Minderheit über die Geschicke Südafrikas abstimmt. Nun entschied darüber in gewisser Hinsicht wieder eine Minderheit.

Ramaphosa hat im ANC nur zögerlich aufgeräumt, den korrupten Zuma-Flügel isoliert, aber nicht ganz verdrängt. So mancher dort drängt auf eine Allianz mit Zuma, jenem Mann, dessen gezielte Staatsplünderung das Land 50 Milliarden Franken gekostet hat. Auch die EFF machen sich zu Recht Hoffnungen.

Am Sonntag haben zudem die liberalen Oppositionsführer der DA ihre Gesprächsbereitschaft erklärt. Sie fordern weniger Zugeständnisse als die Konkurrenz, aber ihr Angebot klingt dennoch chancenlos: die mehrheitlich von Weissen gewählte DA als Juniorpartner des ANC. Für beide ist das Risiko gross, würden sie doch ihre Stammwähler brüskieren.

Der Generalsekretär des ANC Fikile Mbalula beschrieb die Beziehungen am Sonntag mit skeptischen Worten: «Wie Öl und Wasser.» Gegen eine Koalition mit der DA gibt es ANC-intern einigen Widerstand, aber dem Vernehmen nach auch Fürsprecher, etwa in der Ostkap-Provinz, dem Herzen der frühen ANC-Lande. Auch Ramaphosa weiss, dass er wohl nur mit wirtschaftlichen Erfolgen Vertrauen zurückgewinnen kann.

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