Dienstag, März 18

Dreissig Jahre konnte sich der ANC als einst ruhmreiche Anti-Apartheid-Organisation auf historische Loyalität verlassen. Die bevorstehende Ära der Koalitionsregierungen macht nicht nur die strauchelnde Partei nervös.

Warum sie noch einmal den African National Congress (ANC) gewählt hat, kann Terry Blotman selbst nicht so genau erklären. Sie habe eigentlich keine wirkliche Hoffnung mehr, dass die langjährige Regierungspartei das Land voranbringen könne. Oder ihr eigenes Leben, das in der Arbeitslosigkeit feststecke.

Aber ihre vor kurzem verstorbene Grossmutter hätte das mit der ANC-Stimme sicher so gewollt, sagt die 26-Jährige vor einem Wahllokal der Kapstädter Township Imizamo Yethu. Wobei ja auch die geliebte Oma enttäuscht gewesen sei von Nelson Mandelas Partei. Zeitlebens habe ihr die Partei ein subventioniertes Steinhaus versprochen. Ihre Grossmutter lebte aber bis zuletzt in einer Blechhütte.

Dreissig Jahre lang konnte sich der ANC als einst ruhmreiche Anti-Apartheid-Organisation auf diese zunehmend irrationale historische Loyalität verlassen. Bis zu den Wahlen am Mittwoch. Am Donnerstagnachmittag zeichnete sich immer deutlicher der erstmalige Verlust der absoluten Mehrheit ab. Am späteren Nachmittag stand der ANC nach einem Fünftel der ausgezählten Stimmen bei 43 Prozent. Mehrere Fernsehsender kalkulierten daraus Hochrechnungen für ein Endergebnis von maximal 45 Prozent. Das deckt sich dem Vernehmen nach auch mit internen Berechnungen der Partei selbst, die vor fünf Jahren noch komfortable 57 Prozent der Stimmen gewonnen hatte.

Der Rand verliert an Wert

Das würde einen historischen Einschnitt in der Geschichte des Landes bedeuten, das seit der Einführung der Demokratie im Jahr 1994 vom zentristisch-linksorientierten ANC ununterbrochen mit absoluter Mehrheit regiert wird. Auch die Märkte greifen der Verkündung des offiziellen Endergebnisses in Afrikas wichtigster Volkswirtschaft vorweg, die am Wochenende erwartet wird. Die südafrikanische Währung Rand verlor am Donnerstag 1 bis 2 Prozentpunkte gegenüber den Leitwährungen, die Aktienkurse der Banken litten an den Aktienmärkten.

Denn das drohende Szenario, in dem der ANC eine Koalition mit den linksradikalen Economic Freedom Fighters (EFF), die zu Nationalisierungsphantasien neigen, eingehen muss, erscheint vielen nun als möglich. Und realistischer als ein ANC-Bündnis mit der liberalen und kapitalistisch orientierten Democratic Alliance (DA), auf das so mancher in der Mittelschicht hofft. Es dürfte für den ANC auch schwer werden, sich mit unbedeutenderen und weniger diametralen Parteien über die 50-Prozent-Marke zu retten. Unsicherheit ist bekanntlich Gift für die Wirtschaft. Die marode Regierungspartei hatte sich auch unter der Führung von Präsident Cyril Ramaphosa nur wenig verbessert. Aber sie war doch irgendwie kalkulierbar.

In den kommenden Wochen könnte sich zudem einmal mehr zeigen, wie überaus ambitioniert die südafrikanische Verfassung ist. Sie gehört zu den progressivsten der Welt, ihre hehren Paragrafen zu Menschenwürde, sozialer Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit erscheinen so manchem Südafrikaner inzwischen als Utopie. Ganze zwei Wochen sieht die Verfassung nach Bekanntgabe des Ergebnisses für eine Regierungsbildung vor – ein ebenfalls utopisch anmutendes Unterfangen, an dem jüngst bekanntlich die koalitionserfahrenen Niederlande sechs Monate lang gewerkelt hatten.

Die neue Partei MK kopiert die ANC-Wahlstrategie

Auch die Erklärungsmuster, die der ANC am Donnerstag offenbarte, lassen nichts Gutes erahnen. Die Regierungspartei erfuhr die grössten Verluste gegen die MK-Partei, das politische Startup des beim ANC in Ungnade gefallenen Ex-Präsidenten Jacob Zuma. Eine derartige Blamage hätte wohl selbst gegen die bei Weissen und Menschen gemischter Herkunft (Coloureds) populären Democratic Alliance (DA) nicht so sehr geschmerzt. Die aber konzentrierte sich, durchaus erfolgreich, in erster Linie auf ihre Kernwähler und dürfte neben ihrem Regierungsmandat am Westkap auch die Rolle als Oppositionsführer auf nationaler Ebene behalten.

Zumas Partei aber wurde vor gerade einmal neun Monaten registriert – und wird nun aus dem Stand stärkste Partei in der Provinz KwaZulu-Natal und damit den abgeschlagenen ANC in der zweitgrössten Provinz Südafrikas ablösen. Das katapultiert die MK auch national aller Voraussicht nach über die 10-Prozent-Marke.

Als die Auszählung erst wenige Stunden lief, suchte der Bergbau-Minister Gwede Mantashe, einer der ANC-Lenker und der Xhosa-Ethnie zugehörig, die Schuld nicht etwa im nachweislichen Versagen seiner Partei – sondern im «Zulu-Tribalismus, einer rückwärtsgerichteten Form der Politik», der MK.

Das greift natürlich zu kurz. Mantashes Wut kommt auch daher, dass die MK die von der ANC-erprobten Wahlkampfstrategien kopierte. Viele von Zumas Wahlkämpfern hatten schliesslich während dessen Präsidentschaft den gleichen Job für die Regierungspartei gemacht. Und nun hatte Zuma mehr denn je die Zulu-Identität bedient und die Elite der Ethnie mit Versprechungen gelockt.

Ein wenig drohen sich damit längst überwunden geglaubte Gräben in Südafrika zu öffnen. Sie sind nicht annähernd so tief wie die weltgrössten Einkommensunterschiede, die eigentliche Spaltung dieser komplizierten Gesellschaft. Aber doch ein Faktor, der sie zusätzliche Kraft kosten dürfte.

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