Mit der neuen Supermarkt AG will die Migros ihr Kerngeschäft schlagkräftiger machen. Doch die Arbeit beginnt erst – und es stehen noch viele Hindernisse bevor.
Fast fünf Monate hat es gedauert. Erstmals seit der formellen Gründung Anfang 2024 kommen nun konkrete Lebenszeichen von der Supermarkt AG, der grossen Zukunftshoffnung der Migros.
In dem Konstrukt will der orange Riese wichtige Funktionen bündeln, die quasi hinter den Kulissen des Supermarktgeschäfts ablaufen. Dazu gehören zum Beispiel der grösste Teil des Wareneinkaufs, die IT-Systeme, das Marketing oder die Planung neuer Ladenkonzepte.
Bisher hatte es hier Doppelspurigkeiten und unklare Zuständigkeiten zwischen dem Migros-Genossenschafts-Bund (MGB) und den zehn Migros-Regionalgenossenschaften gegeben. Mit der Zentralisierung im Rahmen der Supermarkt AG will die Migros ihr Kerngeschäft schlanker und profitabler machen, um wieder Terrain gegenüber Coop, Aldi und Lidl zurückzugewinnen.
150 Mitarbeiter verlieren die Stelle
Zunächst bedeutet die Reorganisation allerdings einen Stellenabbau. Am Dienstag wurden die Mitarbeitenden der Einheit über die neue Aufgabenteilung und die Organisation informiert. Von den rund 900 Stellen der Einheit sollen etwa 150 Arbeitsplätze wegfallen, wie die Migros mitteilte. Dabei handelt es sich um Jobs, die am Hauptsitz der Supermarkt AG am Limmatplatz in Zürich angesiedelt sind. Zudem kommt es zu rund 100 Änderungskündigungen.
Für das betroffene Migros-Personal kommt erstmals ein schweizweit einheitlicher Sozialplan zum Tragen. Dieser bringt laut Migros deutliche Verbesserungen zu den bisherigen Plänen der einzelnen Genossenschaften und Migros-Firmen.
Reduziertes Elektronik-Sortiment
Die Supermarkt AG ist bis jetzt vor allem mit sich selbst beschäftigt gewesen. Allein die Gründung war eine Herkulesaufgabe: Sie erforderte die Zustimmung von 22 Gremien des Migros-Genossenschafts-Bundes (MGB) und der zehn Migros-Regionalgenossenschaften. Zudem musste eine Eigentümer- und Kontrollstruktur gefunden werden, die den Einfluss der Regionalgenossenschaften und der MGB-Zentrale politisch fein ausbalanciert (siehe Grafik). Dann war zu klären, wie sich die neue Einheit organisatorisch aufstellt.
Doch jetzt ist der eigentliche Startschuss für die Arbeit der Supermarkt AG gefallen. Einen ersten kleinen Einblick in die Umbaupläne gab die Migros am Dienstag. In rund 50 grösseren Supermarkt-Filialen waren bis anhin Verkaufsflächen des Elektronikfachhändlers Melectronics integriert gewesen. Aber weil diese Produkte unterdessen mehrheitlich online verkauft werden, lohnt sich eine physische Präsenz nicht mehr. Darum will die Migros die Melectronics-Ladenkette verkaufen und es drängten sich Anpassungen auf. Das Elektronik-Angebot wird in den Supermärkten auf ein reduziertes Grundsortiment verkleinert, das etwa Kaffeemaschinen, Haushaltsgeräte, Druckerpatronen und dergleichen umfasst.
Zwei Milliarden für erneuerte Läden
Um grössere Fragen sollen sich in den nächsten Monaten Projektteams aus der Supermarkt AG und den Regionalgenossenschaften kümmern. Dieser Strategieprozess solle bis Ende Jahr abgeschlossen sein, sagte Mario Irminger, der Präsident der MGB-Generaldirektion, jüngst im Gespräch mit der NZZ.
Ein zentraler Punkt ist die Erneuerung und Erweiterung des Filialnetzes. Viele Supermärkte beispielsweise im Wallis oder im Tessin entsprechen nicht mehr den heutigen Anforderungen. Irminger hat deshalb angekündigt, dass man in die Erneuerung der Migros-Supermärkte in den nächsten Jahren gut zwei Milliarden Franken investieren wolle. Der grosse Konkurrent Coop ist weiter, er treibt bereits seit vielen Jahren die Renovation seines Ladennetzes voran.
Doch zunächst muss ein neues Ladenkonzept gefunden werden. Dies dürfte ein Testfall für die Zusammenarbeit zwischen der Supermarkt AG und den Regionalgenossenschaften werden. Bisher hatten die Migros-Regionen eigene Ladenkonzepte gepflegt. Deshalb standen in den verschiedenen Regionen zum Beispiel unterschiedliche Kühlmöbel in den Filialen.
Irminger möchte das ändern. «Es wäre effizienter, mit drei, vier grossen Ladenbau-Teams zu arbeiten, als wenn jede Genossenschaft ihren eigenen Ladenbau hat», erklärte er im Interview. Ein gemeinsames Ladenkonzept sei sinnvoll, weil man dann auch teure Einrichtungen wie die Kühlgeräte oder Kassen gemeinsam beschaffen könne.
Konflikte sind programmiert
Ob die Regionen ihre bisherigen Kompetenzen einfach abgeben werden – was wohl auch Stellen kosten wird – , dürfte in den nächsten Monaten eine heikle Frage sein. Zu Konflikten könnte es auch bei anderen Themen kommen. Gerungen werden dürfte um die Organisation der Logistik für Frischprodukte. Viele Regionalgenossenschaften haben noch ihre eigene Logistik. Aber es ist klar, dass es zu einer stärken Zusammenarbeit und Zentralisierung kommen muss.
In anderen Fragen dürfte eine Einigung hingegen leichter fallen. Schon bisher wurden 90 Prozent der Produkte in den Migros-Filialen zentral eingekauft. Die Supermarkt AG wird das weiter machen, die Regionen sollen nur für den Einkauf eines fokussierten regionalen Sortiments zuständig sein.
Eine Entscheidung ist zudem mit Blick auf die IT-Systeme gefallen. Die Regionalgenossenschaften hatten bisher zum Teil noch eigene IT-Lösungen gepflegt. Laut Irminger wird man nun auf ein einziges System wechseln.
Kunden sollen profitieren
Die Kunden werden vom grossen Umbau im Bauch des Supermarkt-Geschäfts zunächst wohl noch wenig merken. Doch das Ziel ist klar: Die Migros will mit attraktiveren Läden wieder mehr Kunden anlocken und dank geringerer Kosten günstigere Preise anbieten. Wenn sich die Supermarkt AG und die Regionalgenossenschaften zusammenraufen können, sollten solche Veränderungen im Verlauf der nächsten Jahre spürbar werden.