Sonntag, März 16

Kleinklassen oder erweiterte Lernräume für verhaltensauffällige Kinder? Die Debatte zur Zukunft der integrativen Schule dürfte spannend werden.

Die Förderklasseninitiative der Stadtzürcher Gemeinderätin und Schulleiterin Yasmine Bourgeois (FDP) sowie von Vertretern von SVP und GLP hat eine weitere Hürde genommen. Die Kommission für Bildung und Kultur des Kantonsrats hat sich dafür ausgesprochen, das Volksbegehren ohne Gegenvorschlag umzusetzen. Der Entscheid fiel mit 8 zu 7 Stimmen denkbar knapp aus.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Die Initiative verlangt, dass verhaltensauffällige Schüler und solche mit einer Lernschwäche bei Bedarf in sogenannte Förderklassen eingeteilt werden können. Dies semesterweise und vorübergehend, wie Bourgeois und ihr Komitee betonen. Idealerweise befinden sich diese Lerngruppen im gleichen Schulhaus wie die Regelklassen, aus der die Kinder kommen und in die sie bei guter Entwicklung auch wieder zurückkehren sollen. Geführt werden sollen diese Kleinklassen von Heilpädagoginnen.

Das Konzept hat die Mehrheit der Kantonsratskommission überzeugt. Da die Förderklassen «möglichst im selben Schulhaus» unterrichtet werden sollen, würden Kinder und Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen nicht aus ihrem Umfeld herausgerissen oder stigmatisiert. Die Massnahme sei regelmässig zu überprüfen, die Durchlässigkeit zwischen Förder- und Regelklassen sei zu gewährleisten. Die Initiative garantiere, dass die integrative Schulung erfolgreich bleibe, teilt die Kommissionsmehrheit mit.

Kostenneutral?

Die Grünliberalen betonen, dass es ein Instrument zwischen Regelklassen und Sonderschulen brauche. «Das sind die Förderklassen», sagt Christa Stünzi, die Fraktionspräsidentin der GLP. Sie und ihre Mitstreiter in der Bildungskommission halten die Initiative für praxistauglich. Auch wenn die Umsetzung «eventuell ein wenig Zeit» und «Flexibilität» brauchen werde, wie die Mehrheit der Kommission weiter mitteilt.

Die SVP sieht sich bestätigt. Das integrative System schade den Kindern, den Lehrern und der Bildung insgesamt, schreibt die Partei in einem Communiqué. «Zum Glück haben das inzwischen auch die FDP und die GLP gemerkt.» Der Parteipräsident Domenik Ledergerber betont: «Es kann nicht sein, dass die grosse Mehrheit vergessengeht, weil ein paar Schüler so viel Energie und Ressourcen beanspruchen.»

Das Vorhaben der Initianten ist ambitioniert: Es soll keine zusätzlichen Kosten verursachen. Heilpädagoginnen, die für den Unterricht in Förderklassen benötigt würden, sollen aus den Regelklassen abgezogen werden. Die Mehrheit der Kommission (SVP, FDP, GLP) traut es Lehrerinnen und Lehrern zu, eine solche Regelklasse ohne Heilpädagoginnen zu führen.

Die Minderheit sieht das anders. «Die Regelklassen würden durch den Abzug des heilpädagogisch geschulten Personals geschwächt», halten Vertreter der SP, der Grünen, der EVP und der Mitte fest. Kathrin Wydler (Mitte) betont, dass zum Beispiel Kinder und Jugendliche mit einer leichten Dyskalkulie oder einer Lese- oder Schreibschwäche weiterhin auf gezielte Unterstützung in ihren Klassen angewiesen wären.

«Kostenneutral ist die Initiative nicht zu haben», sagt Wydler. Das zeige sich bereits heute: Gemeinden könnten Kleinklassen einrichten, wenn sie wollten. «Aber das machen nur wenige.» Es fehle an Ressorcen, zusätzlichen Schulräumen und an ausgebildeten Pädagoginnen und Pädagogen.

Die Mitte-Fraktion des Kantonsrats plädiert denn auch für den Gegenvorschlag ihrer Bildungsdirektorin Silvia Steiner: Statt Förderklassen sollten für besonders anspruchsvolle Kinder und Jugendliche sogenannte erweiterte Lernräume oder Schulinseln geschaffen werden.

Das würde das System kurzfristig entlasten, sagt Wydler. Im Gegensatz zum Volksbegehren würden dafür zusätzliche Mittel bereitgestellt. Und die Gemeinden könnten weiterhin selber entscheiden. Die Initiative von Yasmine Bourgeois hingegen wolle die Gemeinden verpflichten, Kleinklassen zu führen. «Das ist nicht sinnvoll», findet Wydlers Partei. Ein Blick in den Initiativtext indes zeigt: Von einer Förderklassen-Pflicht ist keine Rede.

Pro Infirmis will die Gemeinden administrativ entlasten

Die SP lehnt die Initiative ebenfalls ab und bevorzugt den Gegenvorschlag der Regierung. «Schulinseln sollten von Lehrerinnen, Sozialarbeitern oder Heilpädagoginnen geführt werden», sagt die Kantonsrätin Qëndresa Sadriu-Hoxha, die die Sozialdemokraten auch in der Bildungskommission vertritt. Diese Räume sollten als kurzfristige Auszeiten dienen. Den Ansatz, Förderklassen für ganze Semester einzurichten, lehnt die SP ab. Das schade dem Klassensystem und diene auch nicht den Lehrpersonen.

Die Ausgangslage ist interessant: Die Gegner der Förderklasseninitiative wollen verhindern, dass das Anliegen vors Volk kommt. Sie setzen darauf, dass sich im Parlament der Gegenvorschlag von Silvia Steiner oder eine abgefederte Version der Initiative durchsetzen wird. Denn an der Urne dürften sie es schwer haben: Umfragen zeigen, dass viele Zürcherinnen und Zürcher dem integrativen Unterricht gegenüber skeptisch sind – und eine Einführung von Kleinklassen für lernschwache und verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche begrüssen.

Widerstand gegen die Förderklasseninitiative kommt auch von Verbänden, die sich für Menschen mit einer Beeinträchtigung einsetzen. Pro Infirmis Zürich und weitere Organisationen haben kürzlich die Lancierung eines eigenen Volksbegehrens bekanntgegeben. Die «Initiative für eine integrative Schule» will Gemeinden administrativ entlasten: Bei Bedarf sollen sie direkt auf eine Kasse für integrative Massnahmen an ihren Schulen zugreifen können – anstatt beim Kanton jedes Mal einen aufwendigen Antrag stellen zu müssen.

Laut Pro Infirmis steht das Volksbegehren kurz davor, vom Kanton geprüft zu werden. Danach könnten die Initianten mit der Unterschriftensammlung beginnen.

Exit mobile version