Mittwoch, Februar 12

Nach dem Sturz des Asad-Regimes steht Syrien vor einem Neubeginn. Ahmed al-Sharaa muss sich nun in einem Geflecht aus ausländischen Interessen behaupten.

Vor ein paar Monaten hiess Ahmed al-Sharaa noch Abu Mohammed al-Julani und war ein Geächteter. Der Führer der Islamistenmiliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) sass isoliert in seiner Rebellenenklave von Idlib, wurde von Bashar al-Asads Artillerie sowie der russischen Luftwaffe beschossen und stand auf der Terrorliste der Amerikaner.

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Jetzt ist Sharaa, der seinen Kampfnamen abgelegt hat und statt Militärkleidung Anzug und Krawatte trägt, ein gerngesehener Gast im ganzen Nahen Osten. Gerade erst zum Übergangspräsidenten Syriens gekürt, begab sich der ehemalige Milizenführer, dessen Kämpfer im Dezember innert weniger Tage das mehr als ein halbes Jahrhundert alte Asad-Regime von der Landkarte getilgt hatten, auf eine Art «Grand Tour» quer durch die Region.

«NZZ Pro» – geopolitische Einordnung im Überblick

Kurzgefasst: Der frühere Islamist Ahmed al-Sharaa hat das Asad-Regime gestürzt und wird nun als neuer Präsident Syriens hofiert, doch seine Machtbasis bleibt fragil.

Geopolitische Einschätzung: Die Türkei und die Golfstaaten profitieren vom Sturz des Asad-Regimes, während Iran und Russland als Verlierer dastehen. Syrien bleibt ein Spielball regionaler Interessen.

Blick voraus: Sharaa muss Stabilität schaffen, doch das Land bleibt zersplittert. Ob er Erfolg hat oder scheitert, entscheidet über die Zukunft der gesamten Region.

Erst stieg er feierlich in Saudiarabien aus dem Regierungsflugzeug, ein paar Tage später flog er in die türkische Hauptstadt Ankara. Überall wurde der scheinbar neue starke Mann aus Damaskus mit allen Ehren empfangen. Alle wollen offenbar mit ihm ins Geschäft kommen. Aber kann der ehemalige Al-Kaida-Kader Syrien in eine bessere Zukunft führen? Und hat er überhaupt die Macht dazu?

Die Nachbarn wollen nicht, dass Syrien zum Schlachtfeld wird

Fast zwanzig Jahre lang war das einst stolze Syrien, das unter dem Diktator Hafis al-Asad noch als Regionalmacht galt, ein Spielball fremder Mächte. Türken, Amerikaner, Israeli, Iran, die Golfstaaten und Russland hatten ihre Hände mit im Spiel, als der Levante-Staat 2011 nach einem gescheiterten Volksaufstand gegen Hafis’ Sohn Bashar in einem blutigen Bürgerkrieg versank.

Nachdem der für die Rebellen schon verlorengeglaubte Krieg Ende 2024 eine neue Wendung genommen und mit ihrem Sieg geendet hat, steht Syrien jetzt erneut im Zentrum der Machtpolitik im Nahen Osten. In dem Land wird sich mitentscheiden, ob in der Region eine langfristig stabile Ordnung entstehen kann. Sollte Syrien hingegen erneut zu einem instabilen Chaos-Staat werden, könnte es die umliegenden Mächte einmal mehr in ein blutiges Ringen um Ressourcen und Einfluss verstricken.

Auf den ersten Blick scheint diese Gefahr gering. Denn die mächtigen Nachbarn Syriens scheinen zurzeit ein Interesse daran zu haben, dass das Land geeint und stabil bleibt. Den wohl wichtigsten Einfluss hat dabei die Türkei. Ankara zählte schon vor der Machtübernahme Sharaas zu dessen Stützen und hält offenbar auch jetzt wieder seine schützende Hand über den frisch eingesetzten Präsidenten. Angeblich soll der Syrer der Türkei im Gegenzug Militärbasen zugesichert haben.

Den Türken bietet sich zudem die Gelegenheit, sich ein für alle Mal ihres langjährigen kurdischen Erzfeindes zu entledigen. Denn mit dem Ende des Asad-Regimes sind die autonomen Kurdengebiete im Osten Syriens unter Druck geraten. Bereits jetzt nutzen die türkischen Vasallentruppen der Syrischen Nationalen Armee (SNA) die Gunst der Stunde und rennen gegen die Stellungen der kurdisch dominierten SDF-Miliz an. Die Zentralregierung in Damaskus fordert von den Kurden die Entwaffnung.

Türkei und Golfstaaten als Sieger, Iran und Russland als Verlierer

Ankara allein kann Syrien aber nicht stabilisieren. Es ist dabei auf die Hilfe der Golfstaaten angewiesen. Vor allem Saudiarabien hat bei der Zukunft Syriens ein gewichtiges Wort mitzureden. Kein anderer arabischer Staat kann das nötige Geld aufbringen, um die zerstörte syrische Wirtschaft wieder auf Vordermann zu bringen. Lange Jahre stritten Saudi und Türken in der Region um Macht und Einfluss. Inzwischen haben die beiden sich jedoch angenähert und kooperieren.

Mohammed bin Salman, der allmächtige Kronprinz von Riad, scheint daher bereit, in den syrischen Trümmerstaat zu investieren. Schliesslich will der Prinz vor allem eines: Ruhe und Stabilität in der Nachbarschaft, um sein eigenes Land von einer Erdöl-Tankstelle in eine moderne Dienstleistungswirtschaft umzuwandeln. Sekundiert wird er dabei von zwei kleineren Mächten: Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Während Katar Sharaa und die syrischen Rebellen seit Jahren unterstützt, sind die Mächtigen im benachbarten Abu Dhabi weniger euphorisch. Den stramm antiislamistisch eingestellten Herrschern dort sind die Ex-Jihadisten aus Idlib suspekt, die nun über Syrien regieren. Dennoch ist man auch in der Stammesföderation offenbar bereit, Sharaa eine Chance zu geben. Hauptsache, die Region versinkt nicht in einem weiteren Konflikt.

Der Umsturz in Damaskus hat Verlierer hinterlassen. Dazu gehört vor allem Iran. Die Islamische Republik musste erst mit ansehen, wie ihr Erzfeind Israel die libanesische Hizbullah-Miliz in Stücke schoss, ehe mit Bashar al-Asad dann auch noch ihr wichtigster arabischer Verbündeter fiel. Nun versuchen die Iraner das Beste aus der Situation zu machen. Man habe keine Probleme mit der neuen Führung in Damaskus, tönt es aus Teheran.

Sharaa muss die Sanktionen und die Israeli loswerden

Gleichzeitig scheinen die Iraner aber durchaus bereit, mögliche Aufständische gegen Sharaa zu unterstützen. Ob dies angesichts der in letzter Zeit offensichtlichen Unfähigkeit Teherans, seine wichtigsten Klienten zu retten, zum Erfolg führt, ist jedoch fraglich. Ähnlich machtlos wirkt auch der zweite grosse ehemalige Asad-Verbündete: Russland. Moskau hat sich allerdings mit der neuen Situation abgefunden und versucht, zumindest seine Militärbasen Tartus und Latakia zu halten.

Den geschwächten Russen kommt entgegen, dass sie mit dem ins Moskauer Exil geflohenen Ex-Diktator Bashar al-Asad ein Faustpfand in der Hand haben. Bis jetzt ist aber unklar, ob sich Sharaa mit dem ehemaligen Feind auf ein Geschäft einlassen wird. Der neue syrische Präsident hat zudem andere Sorgen: Einerseits ist sein Regime immer noch westlichen Sanktionen unterworfen, andererseits sind seit dem Sturz Asads ausgerechnet israelische Truppen auf syrisches Gebiet vorgedrungen.

Zumindest bei den Sanktionen gibt es Hoffnung. Erst vor ein paar Wochen kündigte die EU an, gewisse Strafmassnahmen zu lockern. Dies ist für Sharaa überlebenswichtig. Denn solange Syrien ein Paria bleibt, wird es ihm schwerfallen, dringend benötigte ausländische Investitionen ins Land zu holen. Allerdings muss sich Sharaa nun mit Donald Trump auseinandersetzen. Die USA haben immer noch Truppen in Ostsyrien stationiert. Ob Trump Sharaa langfristig als Freund oder Feind betrachten wird, ist – wie so vieles bei ihm – unabsehbar.

Die Israeli hingegen dürften dem neuen Präsidenten in Damaskus erst einmal weniger Kopfzerbrechen bereiten. Da Jerusalem in Syrien in erster Linie Sicherheitsinteressen verfolgt und Sharaa im Gegensatz zu Asad kaum antiisraelische Ambitionen hegt, ist die Gefahr einer direkten Auseinandersetzung zwischen den beiden offiziell verfeindeten Staaten gering. Dennoch ist Israels Präsenz in der einstigen Pufferzone im Golan eine Demütigung für die neue Regierung und könnte ihr mittelfristig Probleme bereiten.

Ein Blick in die Geschichte mahnt zur Vorsicht

Ob es Sharaa gelingt, sich in dem Geflecht aus ausländischen Interessen zu behaupten, hängt am Ende vor allem von seiner Stellung zu Hause ab. Bis heute ist unklar, wie gefestigt seine Macht ist – und ob er seine Autorität tatsächlich über das gesamte Staatsgebiet ausweiten kann. Noch immer werden weite Teile Syriens von Milizen beherrscht. Im Norden stehen die protürkischen Verbände der SNA, im Süden bewaffnete Drusen und unabhängige Kämpfer aus Daraa. Und im Osten weigern sich die Kurden, ihren Separat-Staat aufzugeben.

Nicht zuletzt muss Sharaa aber für Sicherheit sorgen. Immer wieder kommt es vor allem unter der einst mehrheitlich Asad-treuen Glaubensgemeinschaft der Alawiten zu Racheaktionen, die die Macht des neuen Präsidenten untergraben. Radikale Jihadisten, die an der Seite des inzwischen gemässigten Rebellenführers gekämpft hatten, drohen mit dem neuen Kurs unzufrieden zu werden. Und in den Weiten der Syrischen Wüste warten zudem die Reste des Islamischen Staates auf eine günstige Gelegenheit, das Land zu destabilisieren.

Sharaa stehen deshalb schwere Zeiten bevor. Sollte es ihm gelingen, das kaputte und traumatisierte Syrien zu stabilisieren, dürfte sich das beruhigend auf die ganze Region auswirken. Doch ein Blick auf die Geschichte mahnt zur Vorsicht. Syrien war jahrzehntelang berüchtigt für Chaos, wechselnde Regierungen und Militärputschs. Der Einzige, dem es gelang, das Land langfristig zu beherrschen, war Hafis al-Asad – ausgerechnet der Begründer jener Dynastie, die Ahmed al-Sharaa gestürzt hat.

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