Sonntag, April 13

Um am wichtigsten Monument der Saison starten zu können, musste sich der dreifache Tour-de-France-Sieger Tadej Pogacar von seinem eigenen Team emanzipieren. Auch das schafft er mit links.

Nach seinem Sieg an der Flandernrundfahrt passierte etwas im Radsport Unvermeidliches: Es meldeten sich die gefallenen Helden der Vergangenheit zu Wort.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Tadej Pogacar sei der beste Radfahrer aller Zeiten, verkündete Lance Armstrong, der von 1999 bis 2005 jedes Jahr die Tour de France gewann und sämtliche Titel wieder verlor, weil er gedopt war. Bradley Wiggins, der 2012 in Frankreich triumphierte, hielt im Podcast «The Move» halbherzig dagegen, ein bisschen solle man noch warten: Erst in ein paar Jahren werde Pogacar auch statistisch an der Velo-Legende Eddy Merckx vorbeigezogen sein. Wiggins hat gravierende Geldprobleme und musste Insolvenz anmelden.

BELGIAN COBBLES MASTERCLASS! 🐐 | 2025 Tour Of Flanders Men's Race Highlights | TNT Sports Cycling

Letztlich spielt es kaum eine Rolle, was Pogacars skandalumwobene Vorgänger über ihn denken. Aufschlussreicher ist der direkte Vergleich: Er macht offensichtlich, wie sehr der Slowene den Radsport in seiner Essenz verändert. Armstrong, Wiggins und andere ehemalige Dominatoren fokussierten sich geradezu manisch auf die Tour de France. Im Frühjahr beschränkten sie ihren übergrossen Ehrgeiz darauf, Gefahren zu vermeiden. Alle Bemühungen galten dem erhofften, kurzen Leistungszenit im Juli.

Schalkhafter Lausbub ohne Neid

Pogacar dagegen fährt das ganze Jahr hindurch Rennen, als gebe es kein Morgen. Ob Eintagesrennen oder Rundfahrt, er ist dabei, und zwar stets in bester Laune. Es ist mehr als eine Randnotiz, dass der Kontrast zu den Finsterlingen Armstrong und Wiggins auch in der Aussendarstellung kaum grösser sein könnte. Während die Altstars mit heiligem Ernst zur Sache gingen, was im Übrigen bereits für Merckx galt, verkörpert Pogacar mit 26 Jahren weiterhin einen schalkhaften Lausbub, der auch anderen Erfolge gönnen mag.

Im Februar veröffentlichte der Slowene ein Video, in dem er unschuldig grinsend über die groben Pflastersteine des Waldes von Arenberg rollt, einer besonders berüchtigten Passage der Classique Paris-Roubaix. Seitdem war klar, dass er das wichtigste Monument der Saison in diesem Frühjahr erstmals bestreiten möchte. Seine Betreuer sträubten sich vergeblich gegen das Wagnis.

«Tadej will das Rennen ausprobieren, aber ich sage ihm immer, dass er warten muss», sagte Mauro Gianetti, der Chef des Teams UAE, noch im März. Ein Sturz dort könne die Ziele bei der Tour de France gefährden. «Tadej soll keine Risiken eingehen.» Es half nichts.

Auch Pogacars einstiger Förderer Allan Peiper verwies auf die Gefahren von Paris-Roubaix, als ihn der Journalist Daniel Benson in seinem belgischen Zuhause besuchte. «Mich fragt er ja nicht», klagte Peiper, der sich wegen einer Krebserkrankung weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat. Der Australier argumentierte, Pogacar solle sich in den nächsten Jahren auf die Tour de France konzentrieren. Dort fünfmal zu gewinnen, müsse doch das Ziel sein. Peiper verwies auf das Schicksal Jan Ullrichs, der als Jahrhunderttalent galt, das wichtigste Radrennen der Welt aufgrund diverser Vorfälle jedoch nur einmal gewann.

Doch Gianetti und Peiper verkörpern den alten, in Traditionen verhafteten Radsport. Pogacar steht für etwas Neues: Er macht aus Velorennen einen Unterhaltungs-Event, in dem das Spektakel im hier und jetzt ebenso wichtig ist wie Zahlen und Statistiken – welche im Übrigen darauf hindeuten, dass er dem Branchen-Primus Merckx trotz allem enteilt. Der Belgier gewann die Tour de France mit 26 Jahren zum dritten von insgesamt fünf Malen, Pogacar könnte im Juli ebenfalls 26-jährig bereits der vierte Triumph gelingen.

Pogacar macht den Unterschied an steilen Anstiegen – Paris–Roubaix hat keine solchen

Aber zunächst einmal steht an diesem Sonntag Paris-Roubaix auf dem Programm. Diese Freiheit nimmt sich Pogacar, seinem 8-Millionen-Euro-Jahressalär beim Team UAE zum Trotz. Die Siegchancen sind gar nicht einmal so gut, wie es die Klassenunterschiede in anderen Rennen vermuten lassen könnten. Bisher benötigte Pogacar stets einen steilen Anstieg, um seinen derzeit grössten Rivalen Mathieu van der Poel zu distanzieren.

An den letzten Strassenrad-Weltmeisterschaften im September 2024 liess Pogacar den Niederländer am Zürichberg stehen, an der Flandernrundfahrt zuletzt am Oude Kwaremont. Doch bei einem topografisch leichteren Rennen, Mailand-Sanremo, erwies sich im März die Steilheit von Cipressa und Poggio als zu gering. Pogacar verlor das Duell, was ihm nun bei Paris-Roubaix erst recht droht: Auf dem Weg zum berühmten Velodrome in der nordfranzösischen Arbeiterstadt stellt sich den Fahrern kein einziger nennenswerter Hügel in den Weg.

Aber Pogacar wäre nicht Pogacar, würde er die Erwartungen nicht virtuos schüren. Vor wenigen Tagen veröffentlichte er auf der Plattform Strava eine 213 Kilometer lange Trainingseinheit, die ihn über einige der wichtigsten Pavé-Abschnitte des Rennens führte. Auf dem Fünf-Sterne-Sektor Mons-en-Pévèle und auf der fast ebenso schweren Passage Auchy-les-Orchies stellte Pogacar Bestzeiten auf. Als wäre das ein Kinderspiel gewesen, überquerte er anschliessend die Grenze nach Belgien, um dort noch Oude Kwaremont und Paterberg in Angriff zu nehmen, die Schluss-Anstiege der Flandernrundfahrt.

Auf kurzen Abschnitten Rekorde aufzustellen, ist für Radprofis keine bahnbrechende Leistung: Entscheidend ist nicht, wie schnell jemand Mons-en-Pévèle in fast ausgeruhtem Zustand bewältigen kann, sondern ob er ein entsprechendes Tempo auch nach stundenlanger Rennbelastung erreicht. Pogacars Strava-Training ist ein Muster ohne Wert. Doch es sorgte in der Szene und bei Beobachtern tagelang für Gesprächsstoff.

Pogacar beherrscht den Diskurs, weil er den Umgang mit den neuen Medien perfektioniert hat: Hier ein Youtube-Video, dort ein Strava-Training, gelegentlich eine sorgfältig inszenierte Dosis Selbstironie auf Instagram. Er erinnert an den Basketballer LeBron James, der einst, als das Fernsehen noch bedeutsamer war als heute, einen Transfer-Entscheid in einem Live-Interview verkündete. Auch James zog die Aufmerksamkeit auf sich, auch er rüttelte an den Machtverhältnissen zwischen Spielern und Funktionären, auch er verschob Grenzen.

Jahr für Jahr höhere Geschwindigkeiten

Der Basketballer brauchte noch das Fernsehen. Heute entfalten Strava-Bestzeiten eine ungeahnte Symbolwirkung, weil jedermann nachvollziehen kann, wie sie zustande kommen: Amateure jagen auf der Plattform ebenso nach Kronen wie Profis. Und Pogacar weiss den Hype zu ökonomisieren. Er verlinkte auf der Plattform eine neue Modekreation: T-Shirts mit seinem Konterfei, Roubaix-Edition.

Unterdessen fährt er von Jahr zu Jahr schneller. Als der Schweizer Fabian Cancellara 2010, 2013 und 2014 die Flandernrundfahrt gewann, betrug seine Durchschnitts-Geschwindigkeit 40,7, 41,9 sowie 41,4 Kilometer pro Stunde (km/h). Pogacar bewältigte den Parcours 2023 bei seinem ersten Sieg in 44,0 km/h, dieses Jahr lautete der Schnitt 44,9 km/h. Taktik, Windverhältnisse und Material spielen eine Rolle, doch der steile Aufwärtstrend macht offensichtlich: Der Slowene stösst in neue Dimensionen vor.

Dass sich Pogacar tatsächlich in jeder Hinsicht von seinem Vorgänger Armstrong unterscheidet, ist nicht zuletzt auch eine Hoffnung.

Exit mobile version