Seit siebzig Jahren schwelt der Konflikt zwischen China und Taiwan. In den vergangenen Monaten hat sich die Lage jedoch zugespitzt. Kommt es zum Krieg? Und was sind die Hintergründe?
Die neusten Entwicklungen:
- Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump gibt sich mit Blick auf US-Unterstützung für Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs zurückhaltend. «Ich denke, Taiwan sollte uns für die Verteidigung bezahlen. Wir sind nichts anderes als eine Versicherungsgesellschaft. Taiwan gibt uns nichts», sagte Trump dem Magazin «Bloomberg Businessweek» auf die Frage, ob er Taiwan gegen China verteidigen würde. China könne Taiwan einfach angreifen. Das werde China aber nicht tun, da sie nicht die Chipfabriken in Taiwan verlieren wollten. Taiwan habe den USA das gesamte Chip-Geschäft weggenommen. Chinas Staatschef Xi Jinping sei ein «sehr guter Freund». Das habe sich mit dem Ausbruch der Coronapandemie geändert.
- Das taiwanische Verteidigungsministerium hat am Samstag (13. 7.) erklärt, es beobachte «Wellen» von Raketentests in Chinas nördlichster Region. Taiwans Luftverteidigungskräfte seien daher in Alarmbereitschaft. Das Ministerium teilte mit, dass es ab 4 Uhr morgens «mehrere Wellen von Teststarts», durchgeführt von Chinas Raketentruppen, in einem Gebiet der Inneren Mongolei 2000 Kilometer von Taiwan entfernt festgestellt habe. Die taiwanischen Streitkräfte beobachteten die Entwicklungen kontinuierlich, erklärte das Ministerium, ohne Einzelheiten zu nennen. Ein Kommentar des chinesischen Verteidigungsministeriums steht aus. Die Raketentruppe ist für Chinas konventionelles und nukleares Raketenarsenal zuständig.
- Japan hat am Freitag (12. 7.) davor gewarnt, dass China die Spannungen mit Taiwan durch verstärkte Militärübungen zu verschärfen droht. Japans jährliche Bewertung der Bedrohung seiner nationalen Sicherheit – unter anderen durch Nachbarn wie China, Nordkorea und Russland – erfolgt zu einem Zeitpunkt, zu dem Taiwan die chinesischen Luft- und Seeübungen, einschliesslich einer Übung mit einem Flugzeugträger im nahen Pazifik, genau beobachtet. «Aufgrund dieser zunehmenden militärischen Aktivitäten können wir die Möglichkeit erhöhter Spannungen nicht ausschliessen», erklärte Japan zum ersten Mal in seinem jährlichen Verteidigungsweissbuch.
- Während des Nato-Gipfels in den USA scheint China verstärkt Militärübungen vor Taiwan abzuhalten. Das taiwanische Verteidigungsministerium verzeichnete bis zum Donnerstagmorgen (11. 7.) für die zurückliegenden 24 Stunden 66 Militärflugzeuge um seine Insel und damit einen Rekordwert in diesem Jahr, wie die Behörde mitteilte. 56 davon hätten die Taiwanstrasse überflogen. Die Kampfflieger seien von Norden, Südwesten und Südosten in Taiwans Luftverteidigungszone – nicht zu verwechseln mit dem Luftraum – eingedrungen. Der bisherige Höchstwert von Ende Mai lag bei 62 Kampffliegern, die kurz nach der Amtseinführung Lais um Taiwan eine Übung abhielten.
Der Taiwan-Konflikt im Detail
Die kommunistische Führung in Peking betrachtet Taiwan als Teil ihres Territoriums, obwohl sie den Inselstaat nie kontrolliert hat. Peking strebt eine «Wiedervereinigung» Taiwans mit dem Festland an – wenn nötig mit gewaltsamen Mitteln. China demonstriert mit gezielten Provokationen seinen Machtanspruch auf die «abtrünnige Provinz».
Taiwan, offiziell Republik China genannt, verwaltet sich seit 1949 selbst. Nach Jahrzehnten der Militärherrschaft hat sich Taiwan seit den 1990er Jahre zu einer Demokratie entwickelt. Die Mehrheit der Bevölkerung Taiwans versteht sich als Taiwaner und nicht als Chinesen und lehnt eine Vereinigung mit dem Festland ab.
Nach Japans Kapitulation im Zweiten Weltkrieg fällt die Insel Taiwan 1945 an die Republik China. Kurz darauf flammt der chinesische Bürgerkrieg wieder auf zwischen der Kuomintang (KMT) von Chiang Kai-shek und Mao Zedongs Kommunisten.
Die kommunistische Volksbefreiungsarmee erobert das gesamte chinesische Festland. Chiang zieht sich mit rund zwei Millionen Gefolgsleuten auf Taiwan zurück. Die 180 Kilometer breite Strasse von Taiwan schützt ihn vor der Eroberung der Insel durch die Kommunisten.
Am 1. Oktober 1949 ruft Mao auf dem Festland die Volksrepublik China aus. Damit beanspruchen zwei Regierungen, ganz China zu vertreten: die Volksrepublik China unter Mao auf dem Festland und die Republik China unter Chiang auf Taiwan.
Schrittweise anerkennen immer mehr Länder die Regierung in Peking als alleinige Vertreterin von Gesamtchina. Die Schweiz nimmt als einer der ersten westlichen Staaten bereits 1950 diplomatische Beziehungen mit der Volksrepublik auf. 1971 stimmt die Uno-Generalversammlung einer Resolution zu, welche den chinesischen Sitz an Peking überträgt – Taipeh muss die Uno und alle ihre Unterorganisationen verlassen.
Heute unterhalten nur noch 12 Länder diplomatische Beziehungen zur Republik China auf Taiwan. Als letztes Land tat dies im Januar 2024 Nauru – nur ein Tag nachdem der neue Präsident Lai Ching-te gewählt wurde.
Chinesische Militärflugzeuge und Kriegsschiffe haben seit Anfang 2021 wiederholt die sogenannte Medianlinie zwischen dem Festland und der Insel überquert oder sind in die taiwanische Luftüberwachungszone eingedrungen.
Mit den Flügen unterstreicht Peking nicht nur seinen Anspruch auf Taiwan. Die Volksbefreiungsarmee zwingt damit auch die taiwanische Luftwaffe zu ständiger Alarmbereitschaft und zu Einsätzen und strapaziert Taiwans beschränkte militärische Ressourcen. Durch die häufige Annäherung von Flugzeugen von beiden Seiten besteht die Gefahr, dass es zu einem Unfall kommt, der eskalieren könnte. Anfang Januar 2021 stürzte ein taiwanischer Kampfjet bei einem Training ab. Laut Experten zeigt der Vorfall, dass Piloten mit wenig Erfahrung komplexe Einsätze fliegen müssten, weil das Pilotenkorps überlastet sei.
Taiwans Luftüberwachungszone wurde in den 1950er Jahren vom amerikanischen Militär definiert, als dieses noch auf der Insel stationiert war. Ebenso haben die amerikanischen Militärs in der Mitte der Strasse von Taiwan die «median line» definiert. Bisher haben China und Taiwan die Linie implizit anerkannt.
De facto umfasst die ADIZ heute nur noch den Bereich südöstlich der Medianlinie. Taiwans Militärs erfassen chinesische Flüge in diesem Bereich und publizieren sie.
China droht immer wieder damit, Taiwan mit Waffengewalt zu erobern, wenn dieses sich nicht freiwillig dem «Mutterland» anschliesse. Peking macht auch klar, dass es eine formelle Unabhängigkeitserklärung der Insel als Kriegsgrund sehen würde. Wegen der wiederholten militärischen Provokationen Chinas hat Taiwan den obligatorischen Wehrdienst von vier auf zwölf Monate verlängert.
China hat in den vergangenen Jahren militärisch stark aufgerüstet und verfügt über Hunderte von Kampfflugzeugen sowie Kurz- und Mittelstreckenraketen.
Die wirtschaftlichen Kosten und die politischen Risiken einer Invasion wären hoch für Peking. Zugleich wäre eine Eingliederung Taiwans ein wichtiger Schritt hin zur Vollendung des «chinesischen Traums» – des nationalistischen Projekts Xi Jinpings, den Grossmachtstatus Chinas bis 2049 wiederherzustellen.
Der technologische Vorsprung der taiwanischen Waffensysteme, die grösstenteils aus amerikanischer Produktion stammen, ist geschwunden. Heute ist Taiwan China quantitativ und qualitativ weit unterlegen; die Luftwaffe ist veraltet. Unter der früheren Präsidentin Tsai wurden die Verteidigungsausgaben stark erhöht. Taiwan versucht damit, seine eigene Abwehrfähigkeit gegenüber chinesischen Aggressionen zu erhalten.
Trotz wiederholten Zusagen von Präsident Biden, Taiwan im Fall eines Angriffs militärisch beizustehen, ist das nicht klar. Die USA verfolgen traditionell eine Politik der strategischen Zweideutigkeit: Sie anerkennen Taiwan nicht als Staat, versorgen das Land aber mit Waffen zur Selbstverteidigung.
Die Unklarheit hinsichtlich der genauen Strategie der USA soll einerseits Peking von einem Angriff abhalten, anderseits Taiwan dazu motivieren, sich um die eigene Verteidigung zu kümmern und Provokationen gegenüber Festlandchina zu unterlassen – vor allem Schritte in Richtung formeller Unabhängigkeit.
Diese Politik ist die Folge des amerikanischen Umschwenkens in den siebziger Jahren: Seit 1979 anerkennen die USA nicht mehr Taipeh als Vertretung Chinas, sondern Peking. Washington brach die diplomatischen Beziehungen zur Inselrepublik damals formell ab und führte die Kontakte nur noch auf niedriger Ebene weiter.
In der Taiwan Relations Act von 1979 verpflichteten sich die USA jedoch, der Insel Rüstungsgüter zur Selbstverteidigung in genügender Menge zugänglich zu machen. Entsprechend liefern die USA regelmässig Waffen nach Taiwan, ungeachtet heftiger Proteste aus Peking. Das Gesetz hält ferner fest, dass Washington ein Embargo gegen die Insel als Bedrohung für den Frieden betrachten würde – eine Warnung an China, das zu einer Blockade der Insel militärisch grundsätzlich in der Lage wäre.
Taiwan ist der weltweit grösste Hersteller von Halbleitern. Diese kommen in elektronischen Geräten, aber auch in Autos und Waffensystemen zum Einsatz und sind für viele Industrien auf der ganzen Welt wichtig. Taiwanische Unternehmen generierten im Jahr 2020 mehr als 60 Prozent des weltweiten Umsatzes mit Halbleitern.
Insbesondere die amerikanische Tech-Branche ist stark von den taiwanischen Chipherstellern abhängig. Nach wie vor ist aber China der wichtigste Handelspartner Taiwans – allen Spannungen zum Trotz. Ein kriegerischer Konflikt um Taiwan hätte unabsehbare Konsequenzen für die Weltwirtschaft.

