Mittwoch, Januar 15

Hüberli/Brunner stehen am Donnerstag im Olympiahalbfinal. Ihr Erfolg gründet auch auf einer Trainingsphilosophie, die Swiss Volley vor zwölf Jahren eingeführt hat.

Tanja Hüberli und Nina Brunner stehen längst hinter dem Stadion unter den Bäumen des Parks im Dunkeln, als am Eiffelturm die nächtliche Show beginnt. Tausende Lichter blinken wie verrückt, während Hüberli und Brunner in aller Ruhe das elektrisierende Spektakel beschreiben, das sie soeben im Viertelfinal gezeigt haben.

Das Duo hat am Olympiaturnier bisher keinen Satz abgegeben, zuletzt bezwangen Hüberli und Brunner die Weltmeisterinnen aus den USA. Zur Medaille fehlt nur noch ein Sieg. Die Schweizerinnen lagen zeitweise hinten, «aber diese Situation ist nicht mehr schwierig für uns», sagt Hüberli, «wir haben die Gewissheit, dass wir wieder ein Break holen. Das gibt uns eine innere Ruhe.»

Die 31-jährige Hüberli und die 28-jährige Brunner spielen ihre siebente gemeinsame Saison – so gut wie jetzt waren sie noch nie. Das könnte man auch über das Schweizer Frauen-Beachvolleyball sagen. Drei Teams hätten sich mit ihren Leistungen für die Olympischen Spiele qualifiziert, waren in den Top 17 der Weltrangliste. Zugelassen sind pro Nation aber nur zwei Duos.

Hüberli/Brunner waren durch ihre starke Saison praktisch unantastbar, doch die beiden anderen Duos lieferten sich ein dramatisches Duell bis zum letzten Qualifikationsturnier: Hier Anouk Vergé-Dépré und Joanna Mäder, die Bronzemedaillen-Gewinnerinnen von Tokio 2021, die nach einer schweren Verletzung Mäders um den Anschluss kämpften. Und dort Zoé Vergé-Dépré, die jüngere Schwester von Anouk, mit ihrer Partnerin Esmée Böbner. Eine der Schwestern musste der anderen den Olympiatraum nehmen.

Das jüngere, aufstrebende Team lag am Schluss vorne. Und dankte es in Paris mit überraschend starken Auftritten bis in den Viertelfinal, den Böbner/Vergé-Dépré schliesslich knapp verloren.

Sie trainieren abwechslungsweise miteinander

Die drei Teams kennen sich spielerisch in- und auswendig. Vor knapp zwölf Jahren, nach den Olympischen Spielen in London, initiierte der Verband Swiss Volley im Leistungszentrum in Bern ein Projekt, das das Beachvolleyball besser fördern sollte. Wie oft in jungen Sportarten war die Schweiz rasch an die Weltspitze aufgestiegen, feierte in den 1990er Jahren mit den Brüdern Laciga Erfolge, errang 2004 mit Heuscher/Kobel Olympiabronze. Nun wollten die Verantwortlichen die Förderung besser strukturieren.

«Die Philosophie war von Anfang an, dass wir gewisse Dinge gemeinsam machen, Synergien nutzen, wie man sie nur im Verband haben kann», sagt der Frauen-Nationalcoach Christoph Dieckmann, ein ehemaliger Europameister aus Deutschland, der seit Beginn des Projekts dabei ist. «Aber auch jedem Team seine Individualität zugestehen.»

So haben sich die Weltklasseteams zum Beispiel im Bereich Mental- oder Athletiktraining unabhängig vom Verband organisiert, trainieren aber immer wieder in wechselnden Kombinationen gemeinsam oder auch mit den Männern, die ebenfalls im Leistungszentrum sind. «So bekommen wir das Beste aus beiden Welten.»

Auch die Trainer arbeiten nicht mehr nur ausschliesslich mit einem Team – Dieckmann etwa ist momentan der Haupttrainer von Hüberli und Brunner, wird aber auch von Vergé-Dépré/Böbner zugezogen. Ein weiterer Vorteil in Bern: Junge Teams sehen, welche Herangehensweise es braucht, um an die Weltspitze zu kommen. Und dort zu bleiben.

Das Beachvolleyballspiel ist variabler geworden

Das Beachvolleyball hat sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt, ist variabler geworden. Wurden früher jeweils die drei möglichen Ballkontakte ausgenützt und der Angriff nach dem meist gleichen Schema ausgetragen, geht es heute wilder zu und her: Angriffe mit zwei Ballkontakten, Variation des Spieltempos, weitere Laufwege.

Ein Beispiel dafür sind die jungen Schweden Jonatan Hellvig und David Ahman, die Sprungpässe eingeführt haben – die Gegner wissen kaum, welcher der beiden als Nächster angreift. Bei den Frauen werde das noch nicht so extrem praktiziert, sagen Hüberli und Brunner, doch es laufe ihnen auch so gut, weil sie die Entwicklung des Sports mitgemacht hätten. «Wir waren offen und bereit, den Schritt mitzugehen.»

Für den Coach Dieckmann ist das einer der Hauptgründe für den Erfolg von Hüberli/Brunner. Andere Athleten liessen sich nicht mehr viel sagen, wenn sie etwas Bestimmtes auf einem sehr hohen Niveau beherrschten. «Die beiden aber sind ein aussergewöhnlicher Fall. Sie haben täglich diesen Willen, sich Defizite einzugestehen. Und wollen daran arbeiten.»

Ein anderer Grund des Erfolges ist die gute technische Basis. Nina Brunner erinnert sich an Winter, in denen sie Stunde um Stunde technische Übungen absolviert und gedacht haben: Spielen wir auch einmal? «Aber das kommt uns jetzt zugute.» Die Zuger Defense-Spielerin klärte im Viertelfinal einige Male in extremis, auch spektakulär per Fuss – die Videobilder der Aktion gingen tags darauf in den sozialen Netzwerken viral.

Die beiden sind froh, dass sie in Paris nicht ihre ersten Spiele erleben. Tokio war für Hüberli/Brunner (die damals, vor der Hochzeit mit dem Eishockeyprofi Damien Brunner, noch Betschart hiess) zwar ein bitteres Erlebnis: In einem hart umkämpften Achtelfinal mit fünf Matchbällen auf beiden Seiten verloren sie gegen die Schweizer Kolleginnen Heidrich (heute Mäder)/Vergé-Dépré. Eine Woche später wurden sie aber Europameisterinnen.

«Ich habe mich in diesem Jahr viel weniger mit Olympia befasst als noch in Tokio», sagte Hüberli vor den Spielen in Frankreich. «Ich weiss jetzt, dass ich nicht irgendetwas wahnsinnig Spezielles machen muss.» Die starken Leistungen in den vergangenen Monaten geben Sicherheit und Selbstvertrauen für die zwei kommenden grossen Spiele.

Wird es ihr letzter gemeinsamer Olympia-Auftritt?

Dieckmann verlässt die Schweiz und wird leitender Bundestrainer in Deutschland. Und Veränderungen stehen auch bei den sechs Schweizer Weltklassespielerinnen an. Bei der einen oder anderen besteht der Wunsch, eine Familie zu gründen.

Doch wie lässt sich ein derart unplanbares Unterfangen planen in einer Sportart, in der ein Duo normalerweise einen ganzen Olympiazyklus zusammen verbringt? In der heutigen Zeit, in der Frauen auch nach der Geburt wieder in den Spitzensport zurückkehren?

Mag sein, dass auch das Erreichen oder Verpassen der sportlichen Ziele an diesen Spielen bei der Karriereplanung eine Rolle spielt. Die erfolgreichen Duos des Schweizer Beachvolleyballs könnten bald schon neu zusammengesetzt sein.

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