Montag, November 25

Sechs Mini-Neptune, die einen hellen Stern im Gleichklang umkreisen. Die jüngste Entdeckung von Planetenforschern ist ganz anders als unser Sonnensystem – und gerade deshalb so interessant.

Unser Sonnensystem ist ein Sonderfall. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht. So haben Astronomen in den vergangenen Jahren herausgefunden, dass mehr als die Hälfte aller sonnenähnlichen Sterne von Planeten umkreist werden, die grösser als die Erde, aber kleiner als der Neptun sind. In unserem Sonnensystem gibt es keinen einzigen dieser Mini-Neptune. Ungewöhnlich ist auch, dass die acht Planeten im Sonnensystem sehr unterschiedliche Massen haben. In den meisten Planetensystemen sind die Massen der Planeten ähnlich.

Mit den beiden Weltraumteleskopen Tess und Cheops haben Astronomen nun ein Planetensystem entdeckt, das in nahezu idealer Weise den Normalfall verkörpert. Es besteht aus sechs Mini-Neptunen ähnlicher Masse, die den sonnenähnlichen Stern HD110067 umkreisen. Dieser ist ungefähr 100 Lichtjahre von uns entfernt und leuchtet fast ebenso hell wie die Sonne. Was das Planetensystem auszeichnet, ist die Tatsache, dass es heute noch fast genauso aussieht wie kurz nach seiner Entstehung. Seine Untersuchung könnte deshalb wertvolle Einblicke liefern, wie Systeme mit mehreren Planeten typischerweise entstehen.

Zwei Weltraumteleskope, die sich optimal ergänzen

Die Entdeckung des Planetensystems war ein Parforceritt, der nur deshalb mit einem Erfolg endete, weil sich das amerikanische Tess-Teleskop und das europäische Cheops-Teleskop optimal ergänzen. Das Tess-Teleskop wurde gebaut, um extrasolare Planeten zu entdecken, die um sonnenähnliche Sterne in unserer Nachbarschaft kreisen. Die Aufgabe des Cheops-Teleskops besteht darin, bereits bekannte Exoplaneten genauer zu charakterisieren. Bei Cheops handelt es sich um eine gemeinsame Mission der ESA und der Schweiz unter Leitung der Universität Bern.

Die ersten Hinweise auf das neue Planetensystem tauchten im Jahr 2020 auf. Bei der Beobachtung von HD110067 mit dem Tess-Teleskop fiel Astronomen auf, dass der Stern regelmässig geringfügig verdunkelt wird – so als zöge ein Planet vor ihm vorbei, der einen winzigen Teil des Lichts blockiert. Aus dem Timing dieser Planetentransite schlossen die Forscher, dass der Stern zwei planetare Begleiter hat.

Zwei Jahre später nahmen sie den Stern erneut mit dem Tess-Teleskop ins Visier. Dabei zeigte sich, dass die Dinge komplizierter sind als zunächst gedacht. Die Beobachtungen lieferten Hinweise auf weitere Planetentransite, die allerdings teilweise nicht mit den früher beobachteten kompatibel waren.

Eine Auswertung des erweiterten Datensatzes lieferte Hinweise auf zwei Planeten mit Umlaufperioden von 9,1 beziehungsweise 13,7 Tagen. Damit liessen sich aber nicht alle Transite erklären. Folglich vermuteten die Forscher mindestens einen weiteren Planeten. Dessen Umlaufperiode liess sich allerdings nicht eindeutig bestimmen. Die Daten liessen mehrere Lösungen zu.

Nun kam das Cheops-Teleskop zum Zuge. Zu den infrage kommenden Zeitpunkten wurde es auf den Stern HD110067 ausgerichtet und konnte tatsächlich einen dritten Planeten mit einer Umlaufperiode von 20,5 Tagen bestätigen. Auch damit liessen sich aber noch nicht alle Transite erklären, die das Tess-Teleskop beobachtet hatte. Der Parforceritt war noch nicht zu Ende.

Den Forschern fiel auf, dass die Umlaufperioden der drei Planeten in einem ganzzahligen Verhältnis zueinander stehen. In der Zeit, in der der erste Planet dreimal den Stern umläuft, macht der zweite Planet zwei Umrundungen. Und das gleiche Verhältnis gilt auch zwischen dem zweiten und dem dritten Planeten. Astronomen nennen das eine Bahnresonanz.

Diese Beobachtung war der Schlüssel, um die verbleibenden Transite zu erklären. Diese lassen sich auf drei weitere Planeten zurückführen, wenn man annimmt, dass sich die Kette der Resonanzen fortsetzt. Auf die beiden 3:2-Resonanzen folgen eine weitere 3:2-Resonanz und dann zwei 4:3-Resonanzen. Vergleicht man den Anfang und das Ende der Kette, heisst das, dass der äusserste Planet für einen Umlauf genauso lange braucht wie der innerste für sechs Umläufe, nämlich 54,8 Tage.

Die Umlaufbahnen der sechs Planeten stehen in einem ganzzahligen Verhältnis zueinander

Schematische Darstellung der Planeten, die den Stern HD110067 umkreisen

Ein Planetensystem, das alt ist, aber wie neu aussieht

Solche Bahnresonanzen seien normalerweise sehr fragil, erklärt der Planetenforscher Yann Alibert von der Universität Bern, der an der Untersuchung von HD110067 beteiligt war. Üblicherweise sorgten grosse Planeten, vorbeiziehende Sterne oder auch Planetenkollisionen dafür, dass die Planetenbahnen ausser Resonanz gerieten. Bei HD110067 sei das nicht der Fall. Man sehe das Planetensystem so, wie es kurz nach seiner Entstehung vor einer Milliarde Jahre ausgesehen habe. Seine Entwicklung sei quasi in einem frühen Stadium eingefroren worden.

Alibert geht davon aus, dass HD110067 zu einer Art Rosetta-Stein werden könnte, um Prozesse der Planetenentstehung besser zu verstehen. Dafür sind weitergehende Untersuchungen nötig. So wollen die Forscher zum Beispiel mit dem Cheops-Teleskop die genaue Ausrichtung der sechs Planetenbahnen relativ zueinander untersuchen. Das erlaube Rückschlüsse auf die protoplanetare Scheibe, in der die Planeten entstanden seien, so Alibert.

To-scale animation of the orbits of the six resonant planets in the HD110067 system

Auch für das James-Webb-Teleskop ist HD110067 ein Kandidat. Der Stern ist hell. Bei den Planetentransiten fällt deshalb relativ viel Licht durch die dünne Atmosphäre der Planeten. Das sind günstige Voraussetzungen, um deren chemische Zusammensetzung zu untersuchen. Für die Astronomie sei HD110067 ein Glücksfall, so Alibert. «Die Kombination seiner Eigenschaften ist einzigartig. Kein anderes bekanntes Planetensystem bietet so günstige Voraussetzungen für weiterführende Beobachtungen.» Möglicherweise helfe das auch dabei, die Besonderheiten unseres Sonnensystems besser zu verstehen.

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