In Mannheim wird ein Fall verhandelt, der Schlagzeilen machte. Die mutmasslichen Täter haben gestanden. Eine Spur führt auch in die Schweiz.
Zehn bis zwanzig Prozent aller Liebespaare wollen Kinder, bekommen aber keine. Viele Paare holen sich Hilfe: Sie lesen Ratgeber, lassen sich untersuchen, informieren sich über Hormonbehandlungen oder das Einfrieren von Eizellen. Bleibt der Kinderwunsch trotzdem unerfüllt, kann das Leid sehr gross sein. Ein deutsches Ehepaar empfand das Leid als derart gross, dass es durchgedreht ist.
Die 45-jährige Ina und der 43-jährige Marco O. haben die 27-jährige Ukrainerin Ryta R. sowie deren 51-jährige Mutter getötet. Sie wollten die fünf Wochen alte Tochter von Ryta R. grossziehen. Das Ehepaar hat die Taten am Dienstagmorgen zum Prozessbeginn in Mannheim gestanden.
Fehlgeburt Anfang 2023
Ina und Marco O. gaben vor Gericht an, dass sie eine Tochter hätten haben wollen. Zwar hatte Marco O. aus erster Ehe bereits eine Tochter, sah diese aber seltener als erhofft. Ina O. hatte ihrerseits zwei Söhne in die Ehe gebracht, ehe das Paar einen gemeinsamen Sohn bekam.
Anfang 2023 wurde Ina O. nochmals schwanger, erlebte aber eine Fehlgeburt. Schon länger suchte das Paar nach Alternativen, das geht aus der Anklageschrift hervor, die der «Zeit» vorliegt. Zuerst waren die Bemühungen harmlos, Ina und Marco O. traten der Facebook-Gruppe «Künstliche Befruchtung» bei, recherchierten im Internet.
Irgendwann begann Marco O., andere Paare mit Kinderwagen zu fotografieren. Auf seinem Handy speicherte er auch Bilder von neugeborenen Babys von der Website des Spitals in Solothurn. Marco O. ermittelte die Adressen von Eltern und machte Screenshots davon. Doch dann stiessen sie auf Ryta R.
«Erledigen und anzünden»
Ryta R. war wegen des Krieges in der Ukraine zuerst in die Slowakei, dann nach Deutschland geflüchtet. Sie lebte in einer Flüchtlingsunterkunft in Baden-Württemberg und wurde nach einer Affäre schwanger. Ina und Marco O. lernten sie in einem Telegram-Gruppenchat namens «Help Ukraine HD» kennen, in dem Ryta R. im Januar 2024 schrieb, sie sei schwanger, neu in Deutschland und beherrsche die Sprache nicht, ob ihr jemand beim Übersetzen helfen könne.
Daraufhin meldete sich Ina O. bei Ryta R. und freundete sich offenbar mit ihr an. Sie begleitete Ryta R. sogar ins Spital, als diese im Februar 2024 eine Tochter mit dem Namen Mia gebar. Hinter dem Rücken von Ryta R. fälschte Ina O. Dokumente und täuschte die Behörden. Auf den offiziellen Papieren war plötzlich sie die Mutter des Kindes, das jetzt nicht mehr Mia hiess, sondern Elina.
Gleichzeitig beriet sich das Ehepaar über das weitere Vorgehen. Laut Anklageschrift schrieb Marco O. seiner Frau, sie müssten dafür sorgen, dass sie mit der Mutter von Ryna R. «ein paar Meter alleine» laufen könnten, um sie dann «erledigen und anzünden» zu können.
Am 6. März 2024 hatte Marco O. Geburtstag. Das Ehepaar lud Ryta R. und ihre Mutter in ein chinesisches Restaurant ein und mischte ihnen ein Beruhigungsmittel ins Getränk. Als sich die Mutter von Ryta R. unwohl fühlte, versprachen Ina und Marco O., sie ins Spital zu bringen. Stattdessen fuhren sie zu einem See, wo ihr Marco O. mit einem Gummihammer viermal auf den Kopf schlug. Die Leiche versenkte er im See.
Ina und Marco O. gaben Ryta R. danach an, ihre Mutter habe einen Herzinfarkt erlitten, sie würden sie zu ihr ins Spital bringen. Tatsächlich steuerten sie aber ein Waldstück an, wo Ryta R. zu Tode geschlagen und danach angezündet wurde. Zwei Tage später präsentierte das Ehepaar das Kind bei einem Familienfest, in der folgenden Woche den Eltern von Ina O. Wenige Stunden später wurden die beiden verhaftet.
Die Tochter ist zurück in der Ukraine
Laut dem «Spiegel» war Ina O. am Dienstagmorgen vor Gericht zwar anwesend, doch ihre Erklärung verlas ihr Anwalt. Ina O. bereue alles, was sie getan habe. «Das Mädchen hat keine Mutter mehr, meine Kinder haben auch keine Mutter mehr. Wenn ich könnte, würde ich die Zeit zurückdrehen.» Und Marco O. liess laut dem Redaktionsnetzwerk Deutschland verlauten, er habe zu jener Zeit regelmässig Drogen konsumiert. «Ich finde mich abscheulich, was ich ihnen alles angetan habe.»
Das Ehepaar dürfte nun für lange Zeit weggesperrt werden. Auch deshalb, weil laut einem psychiatrischen Gutachten weder bei Ina noch bei Marco O. eine psychische Störung vorliegen soll, die sich strafmildernd auswirken könnte. Das Urteil wurde Ende Februar erwartet, könnte nach den Geständnissen aber auch früher gesprochen werden.
Die Tochter von Ryta R. ist inzwischen elf Monate alt. Sie lebte einige Monate bei einer Pflegefamilie und ist mittlerweile in der Obhut der 21 Jahre alten Schwester von Ryta R., die im Sommer in die Ukraine zurückgekehrt ist. Die Schwester tritt im Prozess als Nebenklägerin auf. Ihr Anwalt fordert lebenslange Haft für die beiden Angeklagten.