Der neue Fall für Tobler und Berg exerziert durch, auf welche Katastrophen eine Gesellschaft zusteuert, der es an einem sozialen Miteinander fehlt.

Bereits ein schmaler Waldpfad scheidet die Geister. Ihn könnten die zwei Tatverdächtigen genutzt haben, um von der Talstation einer Sommer-Seilbahn nahe Freiburg zu fliehen. Oder auch nicht.

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Im Gegensatz zu Hauptkommissar Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner), der das flüchtige Paar mittlerweile sonst wo vermutet, schlussfolgert seine Kollegin Franziska Tobler (Eva Löbau), dass es nicht weit sein kann, und setzt zum Sprint an. Verblüfft bleibt Berg zurück: «Was macht die denn, meine Fresse!»

Damit ist der Ton gesetzt – im neuen Schwarzwald-«Tatort» versteht niemand sein Gegenüber. Ganz nach der Devise: Verrückt sind die anderen. Auch deshalb wird eine Gondel der Schwarzwald-Bergbahn zum blutigen Tatort.

Handgemenge in der Kabine

Hoch über den Baumkronen eskaliert bei herrlichstem Ausflugswetter ein Disput unter Fahrgästen derart, dass schliesslich ein Mann mit eingeschlagenem Schädel zu Boden fällt.

Bekloppt mutet an, was sich Sekunden zuvor auf der Talfahrt ereignet hat, wenn auch nicht fern jeglicher Realität. Brütende Hitze treibt den dicht gedrängt stehenden Passagieren den Schweiss auf die Stirn. Unter ihnen befinden sich Sven Kucher (Benjamin Lillie) und seine hochschwangere Frau Nina (Pina Bergemann), der die stickige Luft sichtlich zu schaffen macht. «Bitte, können Sie das Fenster öffnen?» Doch sobald es aufgesperrt wird, schliesst der Fahrgast vor Sven das Fenster wieder. Es geht hin und her, klapp auf, klapp zu, bis das Gefecht in einem Handgemenge und Geschrei mit mehreren Involvierten gipfelt.

Die Aussagen der Zeugen sind diffus, vor allem scheint unklar, welche Gefahr von dem unauffindbaren Ehepaar ausgeht. Erst recht, als bekanntwird, dass Frau Kucher unter einem auf die Amygdala drückenden Gehirntumor leidet, der sie «nicht zur Bestie macht», aber unberechenbar.

Darüber geraten auch Tobler und Berg für ihre Verhältnisse heftig aneinander – inklusive verbaler Tiefschläge und einer Ohrfeige. Toblers endlich eingereichte Bewerbung für den Leitungsposten im Kommissariat dürfte dabei eine Rolle spielen.

Während die Kriminalbeamten also eher gegeneinander als gemeinsam ermitteln, haben die Kuchers, die eine dumme Entscheidung nach der nächsten treffen, sich verlaufen. Als fleischgewordene «German Angst» irren sie blass und phobisch durch die gebirgige Traumlandschaft des Hochschwarzwalds. Ein Eindruck, der durch die Linse einer wackeligen Handkamera und eine musikalisch-düstere Untermalung verstärkt wird.

Parallelen zur Gegenwart

Derweil hat ihr Untertauchen einen Grosseinsatz mit Hundestaffeln und Helikopter ausgelöst, was Kräfte von unweit wütenden Waldbränden abzieht. Als obendrein ein Junge verschwindet, wird – wider Toblers Protest: «Es handelt sich nicht um Terroristen!» – ein Spezialkommando angefordert. Zudem drohen besorgte Bürger, ein wütender Mob, die Verfolgung selbst aufzunehmen.

Von Vernunft geleitet scheint kaum einer mehr, stattdessen läuft alles im erratischen Schlingerkurs emotionsgetrieben auf das Schlimmste zu. Der neue Schwarzwald-«Tatort», erdacht und inszeniert von Christina Ebelt, überzeugt in seinen Parallelen zur Gegenwart. Durchexerziert wird, auf welche Katastrophen eine Gesellschaft zusteuert, der es an Minimalkonsens fehlt, einem sozialen Miteinander.

Schade zwar, dass er durch eine Aneinanderreihung verhängnisvoller Ereignisse und unwahrscheinlicher Zufälle arg überfrachtet wirkt (auf dem 800 Hektaren grossen Suchgebiet läuft etwa der später vermisste Junge erst Tobler, dann Frau Kucher über den Weg). Doch am Ende lohnt sich das Einschalten allein wegen der exzellent dargebotenen Panikattacken vor Wanderlust-Kulisse.

«Tatort» aus dem Schwarzwald: «Die grosse Angst». Sonntag, 20.05/20.15 Uhr, SRF 1 / ARD.

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