Dienstag, April 22

Die Pigmente von Tätowierungen tönen nicht nur die Haut, sondern wandern bis in die Lymphknoten. Die Wissenschaft beginnt erst zu verstehen, ob und wie schädlich die Injektionen für den Körper sind.

Susi liebt Tätowierungen. Ihre erste bekam sie vor gut 20 Jahren zum Geburtstag geschenkt. Mittlerweile zieren Ornamente und Schriftzüge ihren ganzen Körper, einschliesslich Hals und Gesicht. Mehr noch: Susi betreibt ein eigenes Tattoo-Studio. Ihr Geschäft boomt, denn mit Motiven vom zarten Gänseblümchen bis zum feuerspeienden Drachen ist die Körperkunst mittlerweile in allen Gesellschaftsschichten verbreitet.

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In der Schweiz ist rund ein Fünftel, in Deutschland mehr als ein Viertel der Bevölkerung tätowiert. Angesichts der steigenden Beliebtheit interessieren sich auch Wissenschafter immer mehr für Tattoos. Sie wollen herausfinden, was mit der Farbe im Körper passiert – sowohl beim Tätowieren als auch in all den Jahren danach. Ziel der Forschung ist es, bereits bekannte Gesundheitsprobleme, etwa Tattoo-Allergien, besser zu verstehen und langfristige Gefahren wie ein erhöhtes Krebsrisiko aufzudecken.

Niemand stellt Pigmente speziell für Tattoos her

Wer sich für ein Tattoo entscheidet, sollte die unerwünschten Nebenwirkungen kennen und zudem wissen, dass die in die Haut gestochenen Farben keinesfalls harmlos sind. Deren Inhaltsstoffe sind zwar sowohl in der Schweiz als auch in der EU gesetzlich geregelt, doch tätowiert wird auch hier mit Tinten aus den USA und anderen Ländern, die diesbezüglich keine Verordnungen kennen.

«Wir finden bei Kontrollen von Tätowiermitteln immer noch unerlaubte Konservierungsstoffe, Pigmente und Verunreinigungen», sagt der Chemiker Urs Hauri vom Kantonalen Laboratorium Basel-Stadt.

Selbst Farben von seriösen Herstellern, die sich gesetzeskonform verhalten möchten, sind nicht unbedingt frei von Schadstoffen. Das liege daran, sagt Hauri, dass niemand Pigmente speziell für Tattoos herstelle. Die farbgebenden Substanzen sind eigentlich für Autolacke, Druck- oder Wandfarben vorgesehen und gar nicht in der nötigen Reinheit erhältlich. Daher enthalten Pigmente häufig problematische Begleitstoffe, etwa Schwermetalle wie Blei, Arsen und Nickel.

Hauri wundert sich über die Unbedachtheit von Leuten, die sich tätowieren lassen: «Die meisten interessieren sich viel zu wenig dafür, welche Substanzen ihnen in die Haut gestochen werden.»

Jeder Stich mit der Nadel bringt Tinte in den Körper

Auch Susis nächste Kundin hat sich mehr Gedanken über das Motiv als über eventuelle Gesundheitsgefahren gemacht. Sie möchte sich das Datum eines für sie besonderen Tages auf den rechten Unterarm tätowieren lassen. Die Vorzeichnung hat Susi, die jetzt goldene Einmalhandschuhe trägt, schon übertragen.

Sie füllt schwarze Tinte in ein Näpfchen, setzt die Nadel auf den Tattoo-Stift und tunkt dessen Spitze in die Farbe. Dann zeichnet sie langsam die Ziffern auf der Haut nach. Angetrieben von einer Batterie, bewegt sich die feine Nadel schnell auf und ab. Jeder Stich transportiert Tinte unter die oberste Hautschicht. «Das tut nicht weh», meint die Kundin. Sie verzieht keine Miene – doch ihr Immunsystem schlägt Alarm.

Die körpereigene Abwehr schickt weisse Blutkörperchen los, vor allem Makrophagen, um das Chaos aufzuräumen, das Nadel und Tinte gerade anrichten. Die Immunzellen fressen Zelltrümmer auf – und Keime, die trotz Desinfektion eingedrungen sind. «Doch Pigmente können sie nicht verdauen», sagt Ines Schreiver, die sich am Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin mit Tattoo-Tinten im Körper beschäftigt.

Die Fresszellen umschliessen die winzigen Farbpartikel zwar, aber sie werden sie nicht los. Schliesslich müssen sie sich mit ihnen arrangieren. Das gelinge erstaunlich gut, erklärt Schreiver: «Gewebeuntersuchungen haben gezeigt, dass in tätowierter Haut kein dauerhafter Entzündungszustand herrscht.»

Die Tinten wandern durch den Körper

In anderen Körperregionen hingegen hat Schreiver Unerfreuliches beobachtet. In Lymphknoten von verstorbenen tätowierten Personen entdeckte sie Ablagerungen, die sie mit spektroskopischen und mikroskopischen Techniken als Tattoo-Pigmente identifizierte.

Verwunderlich ist das nicht, denn beim Stechen einer Tätowierung mischt sich die Tinte mit der Gewebeflüssigkeit rund um die Hautzellen, und mit der Lymphe schwimmen einige Farbteilchen bis zu den nächstgelegenen Lymphknoten. Hier, in den Filterstationen des Lymphsystems, bleiben sie hängen.

«Je kleiner die Partikel sind, desto leichter verteilen sie sich im Körper», hat Schreiver festgestellt. Während die grösseren Pigmente im Tattoo verbleiben, lagern sich in den Lymphknoten vor allem Nanopartikel ab.

Diese Teilchen sind so klein, dass sie trotz ihrer Wasserunlöslichkeit schon während des Tätowierens mit der Gewebeflüssigkeit weggeschwemmt werden. Innerhalb von Minuten landen sie in den Lymphknoten. Dorthin transportieren Fresszellen anschliessend auch weitere Farbteilchen.

Die von Schreiver untersuchten Lymphknoten waren aber nicht nur verfärbt, sondern zudem chronisch vergrössert. Die Schwellung ist ein Indiz für eine Entzündung und zeigt, dass das Immunsystem die Farbpartikel bekämpft.

Der permanente Entzündungszustand erhöht laut einer aktuellen Studie der Universität Lund das Risiko für Lymphkrebs. Die Grösse des Tattoos scheint dabei keine Rolle zu spielen. Demnach steigert ein kleiner Schmetterling auf der Schulter das Krebsrisiko ebenso wie eine Ganzkörpertätowierung. Die schwedischen Wissenschafter suchen noch nach einer Erklärung für diese unerwartete Beobachtung.

Sie sind sich bewusst, dass ihre Studie noch keinen endgültigen Beweis für die krebsauslösende Wirkung von Tattoos liefert. Mehr epidemiologische Forschung sei dringend notwendig, um den Zusammenhang zu belegen, betonen sie. Sie wollen ihre Ergebnisse jetzt absichern und zudem untersuchen, ob Tätowierungen weitere Krebsarten oder sonstige Krankheiten auslösen.

Fachleute diskutieren bereits einen Zusammenhang zwischen Tattoos und Sarkoidose, einem Autoimmunleiden mit Knötchenbildung, das Tätowierungen anschwellen lässt und auch andere Körperregionen betreffen kann. Es stellt sich zudem die Frage, ob die Farbteilchen neben den Lymphknoten weitere Organe befallen. Das könnte durchaus passieren, denn die Tätowiernadel pikst Blutgefässe an. Mit dem Blut vermischte Tinte könnte in weniger als einer halben Minute etwa vom Unterarm in Organe wie Leber, Niere und Milz gelangen.

Eine an der Medizinischen Universität Graz durchgeführte Untersuchung an tätowierten Schweinen gab im vergangenen Jahr vorerst Entwarnung. Die Forscher entdeckten Pigmente zwar in den Lymphknoten, nicht aber in anderen Organen oder dem Gehirn. Auszuschliessen ist zwar nicht, dass feinere Analyseverfahren die Farbteilchen zukünftig auch in blutfilternden Organen von tätowierten Personen nachweisen. Wie schädlich solche Ablagerungen wären, lässt sich aber noch nicht sagen.

Verzögerter Juckreiz

Gesicherte Daten zu den Auswirkungen von Tattoos auf die menschliche Gesundheit gibt es bis jetzt ohnehin kaum. Das gilt auch für Allergien, unter denen laut Schätzungen von Dermatologen 5 bis 20 Prozent aller Tätowierten leiden, oft aber nicht lange, denn Unverträglichkeitsreaktionen auf ein frisches Tattoo verschwinden meist schnell von allein. Als Auslöser von kurzzeitigen Schwellungen, Rötungen und Juckreiz gelten flüssige Inhaltsstoffe, etwa Konservierungsmittel, die der Körper zügig ausscheidet oder abbaut.

Schwerwiegender sind Allergien gegen die dauerhaft vorhandenen Pigmente oder deren Begleitstoffe. «Ein Tattoo kann man ja nicht einfach ausziehen», betont Schreiver. Einen Allergietest oder eine Mini-Tätowierung vorab hält sie dennoch für wenig aussagekräftig. Solche Tests können nur anschlagen, wenn der Körper das Allergen schon kennt und eine Reaktion darauf trainiert hat.

Manche Unverträglichkeiten treten erst nach einem Jahr oder noch später auf, vermutlich weil der Körper auf Abbauprodukte der Tattoofarben allergisch reagiert. Sowohl Sonnenstrahlung als auch körpereigene Prozesse verändern die chemische Struktur der farbgebenden Substanzen im Laufe der Zeit. Dabei können Bruchstücke entstehen, die schlechter verträglich sind als die ursprünglichen Inhaltsstoffe.

Hautproben von Tattoo-Allergikern sollen Hinweise liefern

«Wir versuchen gerade herauszufinden, welche Substanzen für Allergien verantwortlich sind», sagt Schreiver. Ihr Team arbeitet auf diesem Gebiet unter anderem mit Chemikern von der Universität Münster zusammen, die Hautproben von Menschen mit Tattoo-Allergien untersuchen. Dafür wird den Betroffenen ein winziges Stück der Tätowierung ausgestanzt.

Die Forscher analysieren die Pigmente und prüfen, ob es einen Zusammenhang zwischen deren Verteilung und entzündlichen Hautzellen gibt. Eindeutige Rückschlüsse auf bestimmte Substanzen konnten sie noch nicht ziehen. Aufgefallen ist ihnen aber, dass vor allem rote Tattoos allergische Reaktionen verursachen.

Susis Kundin hat sich für eine schwarze Ziffernfolge entschieden. Das Datum auf ihrem Unterarm ist fast fertig, diesen Tag wird sie ihr Leben lang nicht vergessen. Hauri schlägt noch eine andere Erinnerungshilfe vor: «Alle frisch Tätowierten sollten ein Foto von den Inhaltsstoffen der verwendeten Tinten machen.» Tritt ein Problem auf, vielleicht erst nach Jahren, lässt sich die Ursache zumindest leichter ergründen.

Ein Artikel aus der «»

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