Mittwoch, Oktober 9

Fünf ukrainische Taucher auf einer Sportjacht – laut Medienberichten sollen so die Pipelines gesprengt worden sein. Ein Fachmann hält das durchaus für möglich.

Herr Balzer, Sie sind Geschäftsführer einer international anerkannten Tauchausbildungsorganisation. Das heisst, sie bilden Tauchlehrer aus, die dann in aller Welt Tauchkurse anbieten können. Waren Sie schon einmal in einer Tiefe von 80 Metern?

Ja, im Rahmen meiner Ausbildung. Allerdings in einem Warmgewässer.

Wo war das?

Im Roten Meer in Ägypten.

Im Moment diskutiert die Öffentlichkeit über die Sabotage der Nord-Stream-Pipelines 2022. Laut mehreren Medienberichten sollen fünf ukrainische Taucher mit einer Sportjacht zum Anschlagsort gefahren sein und dann dort auf eigene Faust die Sprengsätze angebracht haben. Was für ein technisches Equipment braucht man, um auf einer Tiefe von 70 bis 80 Metern zu tauchen?

Das ist abhängig davon, für welche Art des Tauchens man sich entscheidet. Entweder für ein offenes System, das man vom Sporttauchen kennt und bei dem Luftblasen aufsteigen beim Ausatmen. Das nennt man OC, Open Circuit. Oder man entscheidet sich für ein CCR-System, für Closed Circuit Rebreather. Ich würde es vorziehen, mit einem geschlossenen Kreislaufsystem zu tauchen. Dann muss man weniger Gas mitnehmen.

Kann man sich ein solches System als Hobbytaucher leisten? Was kostet das?

Ja, kann man. Wenn es vollkommen unbezahlbar wäre, würden wir keine Zertifizierungen dafür anbieten. Ich würde schätzen, so ein System kostet pro Person 10 000 bis 15 000 Euro.

Wie lange braucht man, um in diese Tiefe zu tauchen?

Der Abtauchvorgang ist gar nicht so entscheidend. Die Tiefe kann man zwischen 8 und 10 Minuten erreichen.

Wie lange kann man sich dort aufhalten?

Das ist abhängig von der Planung. Die kritische Phase ist der Auftauchvorgang. Da geht es darum, die sich bildenden Gasblasen im Blutkreislauf kontrolliert abzubauen, bevor sie für den Körper gefährlich werden können. Dafür muss man sich, vereinfacht gesagt, die Zeit geben, dass so eine Blase vom kleinen Zeh bis zur Lunge kommt und dort dann ausgeatmet werden kann.

Wie viel Zeit muss man dafür einplanen?

Das ist abhängig von der Tiefe und der Zeit, die man unten verbringt. Ich würde meinen, dass man sich höchstens 20 Minuten in einer solchen Tiefe aufhalten kann. Selbst dann wird der Tauchgang nicht in unter 2 Stunden zu machen sein. Als Hobbytaucher kann man kaum länger in einer solchen Tiefe verweilen. Sonst braucht man viel mehr Atemgas, und es wird viel riskanter.

Geht das nicht auch mit einer Dekompressionskammer?

Das ist der Worst-Case. Da kommt man nur hin, wenn man sich an die Auftauchgeschwindigkeit nicht gehalten hat. Das sollte man tunlichst vermeiden. Dann ist etwas schiefgegangen. Es gibt dieses Vorgehen allerhöchstens beim Industrietauchen oder militärischen Tauchen. Da wird das dann geplant, und dann werden die Taucher gleich nach dem Tauchgang in die Dekompressionskammer geschickt, manchmal für Tage. Aber dafür braucht man eine ganz andere Logistik. Ich kann mir das auf einer Sportjacht nicht vorstellen.

Zur Person

PD

Henrik Balzer

Balzer wurde 1987 geboren und taucht seit seinem 6. Lebensjahr. Er ist Geschäftsführer des «International Aquanautic Clubs», einer Tauchorganisation mit Sitz in Essen. Sie bildet Tauchlehrer für Tiefen in bis zu 100 Metern aus. Balzer verfügt über die höchste Ausbilderstufe im Bereich der Sporttaucherausbildung.

Die Schätzungen über den eingesetzten Sprengstoff gehen auseinander. Deutsche Experten gingen anfangs davon aus, dass mindestens 300 bis 400 Kilogramm C4-Sprengstoff eingesetzt wurde, um die Röhren in der Tiefe zu sprengen. Andere sprachen später von Hohlladungen, die deutlich leichter sind. Wie viele Tauchgänge muss man machen, um so viel Sprengstoff unten anzubringen? Geht das überhaupt?

Schwer zu sagen. Ich kann nicht beurteilen, wie viel Abtrieb Sprengstoff hat, ob er also nach unten absinkt oder sogar künstlich beschwert werden muss. Aber es gibt ja auch Taucher, die Geisternetze bergen in der Tiefe. Dafür werden Hebesäcke mit Gas an den Netzen befestigt, das könnte man natürlich auch andersrum machen. Das heisst, man befestigt Säcke, die den Sprengstoff an der Wasseroberfläche tragen und lässt dann kontrolliert die Luft daraus ab. Das ist aber schwer zu kontrollieren und riskant. Ich glaube eher, dass man so viel Sprengstoff an einem Seil herablassen muss. In der Jacht selbst könnte man ihn aber durchaus mitnehmen. Wenn es Hohlladungen waren, dann ist es natürlich etwas einfacher.

Dann müssen die Taucher die Sprengstoffladungen aber noch in der Tiefe anbringen. Reicht dafür überhaupt die Zeit?

Sie müssen sich klarmachen, dass der Umgebungsdruck bereits hoch ist. Es könnte also sein, dass weniger Sprengstoff nötig ist als an der Luft. Aber das geht jetzt schon sehr ins Militärische. Da habe ich keine Erfahrungen.

Können Sie sich vorstellen, dass fünf gut ausgebildete technische Hobbytaucher mit entsprechender Ausrüstung und Sprengstoff eine solche Operation ohne Unterstützung durchführen können?

Wenn es ums Tauchen selbst geht: ja. Man kann eine Tauchtiefe von 80 Metern ohne Probleme erreichen. Man kann sich dort allerdings nicht sehr lange aufhalten, wenn die dahinterstehende Logistik nicht aus dem Ruder laufen soll.

Kann man da unten überhaupt etwas sehen?

Nein. Man braucht entsprechende Lampen, aber die gehören zur Standardausrüstung bei dieser Tauchtiefe.

Was muss man bei einer solchen Operation noch beachten?

Die grösste Herausforderung ist aus meiner Sicht, die Pipeline überhaupt zu finden und beim Tauchgang genau dort zu landen. Die Taucher müssen, da bin ich mir ziemlich sicher, an einem Seil ab- und auch wieder aufgetaucht sein, zum Beispiel an der Ankerkette. Wenn sie den Zielort in der Tiefe verfehlen, ist der Tauchgang gescheitert. Das Problem in der Ostsee ist ja, wir haben da unter Umständen viel Strömung. Und da man keine Referenz hat, merkt man nicht, wie man abgetrieben wird. Ich würde meinen, man müsste mindestens vor Anker liegen. An dem Anker taucht man ab, dann tut man, was getan werden muss, dann taucht man wieder auf. Sonst läuft man Gefahr, beim Tauchgang selbst abgetrieben und dann nicht mehr wiedergefunden zu werden. Man könnte dann sogar den Anker in der Tiefe lichten als Taucher, und an dem Seil den Auftauchvorgang beginnen, während das Boot bereits weiter segelt.

Woher weiss man als Laie überhaupt, wo die Pipeline genau entlang verläuft?

Dafür braucht man ein Sonar, das ist auf solchen Schiffen verbaut. Das gibt Anhaltspunkte, was sich auf dem Grund befindet. Es kartografiert die Unterwasserwelt, und das recht genau.

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