Donnerstag, November 6

Der britische Aussenminister David Cameron offeriert der Regierung in Berlin einen Ringtausch, um der Ukraine mit weitreichenden Waffen zu helfen. Die Frage lautet allerdings, was die Briten mit dem leistungsstärkeren deutschen Marschflugkörper wollten.

Die Debatte um eine Lieferung von Taurus an die Ukraine könnte eine neue Wendung nehmen. Der britische Aussenminister David Cameron hat angeboten, der Regierung in Kiew im Gegenzug für den deutschen Marschflugkörper weitere Storm Shadow zur Verfügung zu stellen. Damit präsentiert London einen Ausweg aus der Sackgasse, in die sich Bundeskanzler Olaf Scholz mit seinem kategorischen Nein zu Taurus manövriert hat.

Cameron verpackte sein Angebot an Scholz in den Worten, sein Land sei «entschlossen, engstens mit unseren deutschen Partnern zusammenzuarbeiten, um der Ukraine zu helfen». Nicht ausgeschlossen sei, dass es hierfür zu einem Tauschhandel mit Deutschland komme. Taurus gegen Storm Shadow – das böte Scholz die Möglichkeit, sein Gesicht zu wahren und gleichzeitig der Ukraine dringend benötigte weitreichende Waffen im Verteidigungskampf gegen Russland zu liefern. Die britische Regierung sei bereit, sich «alle Optionen anzuschauen, um den maximalen Effekt für die Ukraine zu erzielen», sagte Cameron in einem Interview der «Süddeutschen Zeitung».

Cameron äusserte sich jedoch weder dort noch in anderen Statements am Wochenende zu den Details seines Vorschlags. Er begründete dies damit, «unseren Gegnern» nicht verraten zu wollen, «was wir vorhaben». Gleichwohl stellt sich die Frage, was Grossbritannien mit dem Taurus wollte. Um den deutschen, gut 500 Kilometer weit reichenden Marschflugkörper in das eigene Arsenal aufzunehmen, fehlen bis anhin die technischen Voraussetzungen.

Eurofighter-Tests mit Taurus abgebrochen

Der etwa 1,5 Tonnen schwere Taurus kann in Deutschland jedenfalls nur durch das veraltete, in Grossbritannien vor fünf Jahren ausgemusterte Kampfflugzeug Tornado eingesetzt werden. Vor gut zehn Jahren hatte die deutsche Luftwaffe den Versuch abgebrochen, den Marschflugkörper auch in den Eurofighter zu integrieren. Die Tests damals zeigten, dass durch das hohe Gewicht des Taurus sowie der anderen Waffen, die er zur Selbstverteidigung mitführen muss, Strukturschäden am Kampfjet nicht auszuschliessen sind. Die «Trageversuche» führten etwa zu dem Ergebnis, dass die Belastung des Bugfahrwerks zu hoch und daher für den Eurofighter im Friedensbetrieb inakzeptabel sei. Die deutsche Luftwaffe stellte die Tests einstweilen ein.

Der Vorschlag, Taurus im Ringtausch nach Grossbritannien zu geben, ist gleichwohl nicht neu. Mitte Januar wurde er schon einmal in britischen Medien diskutiert, allerdings ohne grossen Niederschlag in der politischen Debatte der beiden Länder zu finden. Grund dafür könnte sein, dass die Regierungen in Berlin und London keine Aufmerksamkeit wollten für die Tests, die seit einiger Zeit bei der britischen Luftwaffe stattfinden. Militärfachleute berichten von dem Versuch der Briten, ihrerseits nun den Taurus in ihre Eurofighter zu integrieren. Bis jetzt sind ihre Kampfjets lediglich für den Storm Shadow zugelassen.

Ob die britischen «Trageversuche» erfolgreich waren, wussten die Luftwaffenexperten, mit denen die NZZ gesprochen hat, nicht. Die Äusserungen Camerons vom Wochenende könnten jedoch ein Indiz dafür sein, dass die Briten eine Lösung gefunden haben. Ihre Streitkräfte unterscheiden sich von den deutschen unter anderem dadurch, dass sie im Frieden weniger strengen Auflagen unterliegen. Risiken, die bei der Bundeswehr als nicht hinnehmbar gelten, werden von den Briten mitunter akzeptiert. Es könnte demnach sein, dass sie die Gefahr, dass das Bugfahrwerk Schaden nehmen könnte, geringer bewerten als die Deutschen.

Dreistelliger Millionenbetrag für Neuprogrammierung

Damit wäre der Taurus allerdings noch längst nicht in den Eurofighter integriert. Wenn man einen etwa 1,5 Tonnen schweren, 5 Meter langen Marschflugkörper an ein Kampfflugzeug hängen will, müssen vor allem auch aerodynamische Aspekte beachtet werden. Der Eurofighter ist als ein sehr instabiler Jet konstruiert, wodurch er eine hohe Manövrierbarkeit erreicht. Computer und Software sorgen dafür, dass die Maschine in sicherer Fluglage bleibt und nicht abstürzt. Die Bordrechner müssen sofort reagieren, wenn sich die Aerodynamik durch das Ausklinken des Taurus verändert. Das erfordert eine entsprechende Programmierung der Computer durch den Hersteller. Luftwaffenfachleute sagen, dies sei mit Kosten in dreistelliger Millionenhöhe verbunden.

Ob Deutschland diese Kosten für Grossbritannien übernähme, ist ebenso unklar wie die Frage, ob die deutsche Luftwaffe die abgegebenen Taurus ersetzt bekommt. Bis jetzt verfügt die Bundeswehr über 600 Marschflugkörper, von denen aber nur 150 einsatzfähig sein sollen. Die Briten wiederum sollen Anfang der nuller Jahre gut 900 Storm Shadow gekauft, einige von ihnen aber bereits im Irak, in Libyen sowie im Kampf gegen den Islamischen Staat verschossen haben. Im Sommer vorigen Jahres lieferte die Regierung in London zudem eine unbekannte Anzahl des Storm Shadow an die Ukraine. Dort wurde die bis zu 300 Kilometer weit reichende Waffe mehrfach erfolgreich gegen russische Ziele eingesetzt. So beschädigte etwa im Juni 2023 ein Storm Shadow die Tschonhar-Brücke auf die Halbinsel Krim.

Für die deutsche Regierung kommt das britische Angebot möglicherweise gerade zum richtigen Zeitpunkt. Bundeskanzler Scholz steht auch in der eigenen Koalition in der Kritik, weil er der Ukraine keine Taurus liefern will. Er begründet das mit seiner Befürchtung, dass Deutschland damit in den Krieg hineingezogen werden könnte. Wiederholt hatte er dazu erklärt, Luftwaffensoldaten müssten den Ukrainern bei der Zielprogrammierung des Marschflugkörpers helfen. Dies wurde jedoch von ranghohen Offizieren in einer von Russland abgehörten Besprechung widerlegt.

Britische Offerte nimmt Druck von Scholz

Scholz muss in der Kanzlerfragestunde am Mittwoch im Bundestag mit kritischen Nachfragen dazu rechnen. Für Donnerstag hat die oppositionelle Union zudem eine erneute namentliche Abstimmung im Parlament zu einer Lieferung von Taurus in die Ukraine anberaumt. Auch Angehörige der Koalition haben angekündigt, diesmal für den Antrag der Union zu stimmen. Die Offerte aus London könnte nun Druck von Scholz nehmen. Die Ukraine bekäme zwar nicht den weiter reichenden Taurus, aber doch eine Waffe, mit der sie Ziele weit hinter den russischen Linien angreifen könnte.

In der deutschen Politik fallen die Reaktionen auf das britische Ringtausch-Angebot gleichwohl gemischt aus. Aussenministerin Annalena Baerbock von den Grünen nannte Camerons Vorschlag eine Option und verwies darauf, dass es einen Ringtausch auch schon bei anderen Waffen gegeben hat. Ihr Parteikollege Anton Hofreiter sagte, Scholz dürfe nun nicht auch noch dieser Möglichkeit im Wege stehen.

Die oppositionelle Union indes will sich nicht mit der zweitbesten Lösung zufriedengeben. Es müsse alles getan werden, um eine ukrainische Niederlage zu verhindern, sagte Johann Wadephul, Aussenexperte der Christlichdemokraten. Dazu gehöre die Lieferung des besten Systems, und dies sei nun einmal der Taurus. Kein Ringtausch könne ihn hinsichtlich Reichweite, Präzision und Durchschlagskraft ersetzen.

Dies dürften auch die Briten so sehen. Wenn es ihnen gelingt, den Taurus in den Eurofighter zu integrieren, könnte der Ringtausch für sie ein gutes Geschäft sein. Doch auch andernfalls würde sich der Handel für sie lohnen. Die Regierung in London könnte den Taurus weiterverkaufen. So sind Saudiarabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate bis jetzt nur Käufer des Storm Shadow. Einem leistungsstärkeren Marschflugkörper wären sie vermutlich nicht abgeneigt.

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