Freitag, Oktober 11

Seit zwei Jahren versuchen die USA den technologischen Fortschritt Chinas mit weitreichenden Massnahmen aufzuhalten. Antonia Hmaidi von der Denkfabrik Merics zieht eine Zwischenbilanz.

Geht es nach den USA, soll China technologisch in der Vergangenheit verharren. Das ist das Ziel der umfangreichen Exportkontrollen, die die Biden-Regierung seit zwei Jahren gegen China durchsetzt. Sie will den technologischen Fortschritt Chinas einfrieren oder zumindest deutlich verlangsamen und verteuern. Und vor allem soll das chinesische Militär nicht von amerikanischer Hochtechnologie profitieren.

Man wolle die so gewonnene Zeit nutzen, um kritische Industrien wieder aufzubauen und den technologischen Vorsprung gegenüber China zu verteidigen und auszubauen, so begründen die USA und ihre Verbündeten die Exportkontrollen.

Aber funktioniert das überhaupt? Antonia Hmaidi ist Senior Analyst bei der Berliner Denkfabrik Merics. Dort beschäftigt sie sich unter anderem mit Chinas Streben nach technologischer Unabhängigkeit. Gemäss ihren Einschätzungen gibt es einige Bereiche, in denen die amerikanischen Massnahmen Probleme bereiten.

Frau Hmaidi, ist es den Amerikanern in den vergangenen zwei Jahren gelungen, den technologischen Fortschritt der Chinesen zu bremsen?

Zwei Jahre sind etwa in Bezug auf die Computerchip-Technologie nur eine kurze Zeitspanne. In diesem Bereich sehen wir heute Folgen von Massnahmen, welche die USA schon vor mehr als zwei Jahren getroffen hatten.

Welche Massnahmen sprechen Sie an?

Die USA entschieden schon 2018, dass China keinen Zugang zu modernsten Maschinen zur Chipproduktion haben soll. Entsprechend begannen chinesische Firmen wie das Technologieunternehmen Huawei oder der Chiphersteller SMIC schon damals, sich anzupassen. So stellt SMIC heute trotz den US-Exportkontrollen Chips mit einer Transistorengrösse von 7 Nanometern her, für die eigentlich modernste Maschinen gebraucht werden. SMIC wiederholt stattdessen mit älteren Maschinen gewisse Produktionsschritte mehrmals, um dennoch moderne Chips herzustellen. Die Chips werden etwa in Huaweis 5G-Smartphones eingesetzt.

Sind die US-Massnahmen also wirkungslos?

Nein, man sieht durchaus einen Effekt der Massnahmen. Chinas 7-Nanometer-Chips sind durch die längere Produktionszeit und den höheren Ausschuss teurer. Und der nächste Schritt, die Produktion von 5-Nanometer-Chips, scheint China noch nicht gelungen zu sein. Insofern haben die US-Massnahmen den chinesischen Fortschritt schon verlangsamt. Ganz einfrieren können die Amerikaner chinesische Entwicklungen aber nicht. Doch die Massnahmen haben die Geschwindigkeit verlangsamt und den Fortschritt verteuert. Trotzdem haben die Chinesen zu einem gewissen Grad mit den Kontrollen leben gelernt und gezwungenermassen Alternativen oder Übergangslösungen entwickelt.

Wie meinen Sie das?

Chips, die von den Exportkontrollen betroffen sind, gelangen immer noch nach China, wenn auch über Umwege. Weiter verwendet man teilweise einfach Cloud-Services von Amazon, mietet also Datenzentren im Ausland, anstatt eigene aufzubauen. Und schliesslich hat man begonnen, chinesische Alternativprodukte zu nutzen. Beispielsweise hat Huawei einen eigenen Chip für KI-Anwendungen entwickelt. Dieser ist zwar schlechter als die modernsten Chips des amerikanischen Herstellers Nvidia. Aber er ist immer noch besser als die Chips, die chinesische Firmen legal im Westen kaufen können.

Technologien wie Computerchips sind für China untrennbar mit nationaler Sicherheit verbunden. Wie gelangen Sie an Informationen, wie solchen zu Huaweis KI-Chip?

In der Vergangenheit wurde durchaus viel und stolz über technologische Innovationen berichtet. Das änderte sich, als einzelne Veröffentlichungen amerikanische Massnahmen zur Folge hatten. Der Chiphersteller SMIC machte etwa 2020 öffentlich, dass ihm ein technologischer Durchbruch gelungen war. Wenig später ging das US-Handelsministerium gegen SMIC vor. Amerikanische Unternehmen brauchen seither eine Sonderlizenz, um mit SMIC zusammenzuarbeiten. Heute ist die Recherche viel aufwendiger und komplizierter.

Wie gehen Sie dabei vor?

Ich kann mir beispielsweise durch Firmenmitteilungen, Forschungspublikationen oder Patentanmeldungen ein Bild verschaffen. Firmen haben immer noch ein Interesse daran, über technologische Fortschritte zu informieren, auch wenn sie das nun vermehrt nur noch auf Chinesisch tun. Doch diese Ankündigungen sind teilweise übertrieben.

Wie sieht es in der Forschung aus?

Es wird nach wie vor viel publiziert, weil Finanzierungsprogramme Forschungsinstitute unter anderem anhand ihrer Veröffentlichungen bewerten. Institute müssen ihre Forschung also publik machen, um Geld zu bekommen. Manche Arbeiten werden zwar absichtlich nicht mehr bei englischsprachigen Journals eingereicht. In chinesischen Journals kann man sie aber trotzdem einsehen.

Inwiefern liefern Patentanmeldungen wertvolle Informationen?

Es kommt regelmässig vor, dass Patente geheim gehalten werden, weil sie die chinesische Regierung als zu wichtig und wertvoll für die nationale Sicherheit erachtet. Und dennoch werden auch bei kritischen Technologien wie Computerchips immer noch sehr viele Patente veröffentlicht. Huawei hat zum Beispiel vergangenes Jahr ein Patent zu moderner Lithografietechnologie angemeldet, die man zur Herstellung von Chips braucht. Da stelle ich mir manchmal die Frage: Will China tatsächlich, dass die USA das mitbekommen?

Wo bereiten die US-Massnahmen Ihren Recherchen nach am meisten Probleme für China?

Das grösste Problem Chinas ist das Equipment, das man zur Herstellung von Computerchips benötigt. Für jeden der zahlreichen Produktionsschritte braucht man andere Maschinen. Und China ist bei allen Schritten noch extrem abhängig von Ausrüstung, die von den amerikanischen Massnahmen betroffen ist. In chinesischen Fabriken liegt der Anteil an heimischem Maschinen bei allen Produktionsschritten unter 20 Prozent. Das zeigt, warum die Amerikaner den Fokus auf Maschinen zur Chipherstellung gelegt haben.

Wo hat China sonst noch Probleme?

Generative künstliche Intelligenz (KI) wie etwa Sprachmodelle ist ebenfalls ein grosses Thema. Die modernsten Chips, GPU genannt, die man in der Regel dafür verwendet, dürfen nicht nach China geliefert werden.

Was kann China dagegen tun?

China versucht, die im Land vorhandenen GPU an einem Ort zu sammeln, damit sie quasi ein Datenzentrum bilden und dort dauerhaft verwendet werden können. Und dann wird entschieden, welche chinesische Firma wie viel Zugriff auf die Rechenleistung bekommt. Das wiederum führt dazu, dass China teilweise andere Schwerpunkte setzt als westliche Länder.

Zum Beispiel?

Chinesische KI-Modelle basieren auf kleineren Datensätzen und sind weniger aufwendig zu trainieren. Das wiederum hat zur Folge, dass sie sich lediglich für spezifische Zwecke eignen. Beispielsweise kann ein Modell einen Arbeiter beim Unterhalt einer Maschine unterstützen. Das gleiche Modell kann jedoch kaum für andere Zwecke eingesetzt werden. Chinesische Modelle sind schlechter als jene von Open AI, Meta oder Alphabet, die sich oft gerade durch ihre Vielseitigkeit auszeichnen.

Welchen Einfluss haben die amerikanischen Chipkontrollen auf Entwicklungen im chinesischen Militär?

Das einzuschätzen, ist deutlich schwieriger. Doch je länger die amerikanischen Massnahmen anhalten, desto öfter werden sie auch Standardtechnologien betreffen. Eine Folge des technologischen Fortschritts ist, dass die Chips in herkömmlichen Laptops irgendwann so leistungsfähig sein werden wie die KI-Chips, die die USA heute China vorenthalten. Wenn solche Hochleistungschips im Westen immer breiter eingesetzt werden, während sie China nicht bekommt beziehungsweise selber nicht herstellen kann, dann wird das für China immer mehr zum Problem.

Und was hätte das für Folgen im militärischen Bereich?

Bessere Chips könnten etwa im Bereich Drohnen etwas verändern. Die Berechnungen zur Steuerung einer Drohne werden bis anhin am Boden durchgeführt und dann zur Drohne gesandt. Solange dem so ist, kann man die Drohne theoretisch neutralisieren, indem man den Kontakt zwischen dem Boden und der Drohne unterbricht. Wenn die Drohne mit entsprechend leistungsfähigen Chips ausgestattet wäre, könnte sie die Berechnungen selbst durchführen. Dann wäre sie deutlich schwieriger auszuschalten. Das heisst: Es gibt sehr viele Szenarien, wo die heutigen US-Massnahmen in Zukunft zu einer Veränderung führen könnten. Aber heute haben sie aus meiner Sicht noch keinen grossen Einfluss.

Sie sagten eingangs, nach zwei Jahren lasse sich der Effekt der amerikanischen Massnahmen auf China kaum einschätzen. Wie sieht es mit dem Ziel aus, dass die USA und der Westen ihre eigenen technologischen Fähigkeiten stärken wollen?

Dieses Ziel ist so weit gefasst, betrifft so viele verschiedene Technologien. Da ist es unmöglich zu sagen, wann es erreicht sein wird.

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