Donnerstag, Oktober 3

Die Gründerin der Fondsgesellschaft Ark Invest drängt auf den europäischen Markt. Im Interview erklärt sie, wie sie ihre Anlageentscheidungen fällt – und weshalb sie bei Tesla immer noch enormes Potenzial sieht.

Frau Wood, je älter die Menschen werden, desto mehr scheuen sie das Risiko. Bei Ihnen ist es umgekehrt: Im Jahr 2014 haben Sie im Alter von 58 Jahren einen guten Job verlassen, alles auf die Karte Risiko gesetzt und Ark Invest gegründet. Warum?

Ich dachte eigentlich immer, dass ich bei meiner letzten Firma, dem Vermögensverwalter Alliance Bernstein, in den Ruhestand gehen würde. Aber nach der grossen Finanzkrise sah ich an den Finanzmärkten eine enorme Risikoscheu aufkommen. Die Leute klammerten sich bei ihren Investments an Leitindizes und Benchmarks.

Ist das schlecht?

Nein, aber ich wollte einen anderen Weg gehen. Mein Ziel war es, den Investoren mehr Innovation und Diversifikation zu bieten als die Leitindizes. Ich ahnte, dass das bei meinem damaligen Arbeitgeber nicht möglich sein würde. Ich gründete mein eigenes Unternehmen und lancierte einen aktiv verwalteten, börsengehandelten Aktienfonds, der in disruptive Technologien wie künstliche Intelligenz oder Robotik investiert.

Ein Jahrzehnt später sind Sie international bekannt für gewagte Investments und aufsehenerregende Prognosen. Für Tesla, dessen Aktienkurs heute bei 180 Dollar liegt, setzten Sie kürzlich ein Kursziel von 2000 Dollar. Das bringt Ihnen Aufmerksamkeit, aber auch Kritik.

Ja, ich vermute, dass die meisten Portfoliomanager nicht den Blicken ausgesetzt sein wollen, denen ich ausgesetzt bin, wenn wir etwas anders machen als der Rest der Branche. Uns macht das nichts aus, das ist Teil unserer Kommunikationsstrategie. Das ist ein bisschen wie bei Elon Musk.

Wie meinen Sie das?

Ich will mich nicht mit Elons Genie vergleichen. Aber wie für ihn gibt es auch für mich so etwas wie negative Publizität nicht. Wir sind bei Ark Invest bewusst transparent und sagen, wenn wir denken: Da draussen passiert etwas Grosses! Wenn jemand anderer Meinung ist, gibt mir das die Chance, unseren Standpunkt erneut zu erläutern.

Wie gehen Sie genau vor, wenn Sie Ihre Prognosen erarbeiten?

Wir arbeiten mit einem Anlagehorizont von fünf Jahren. Das ist mehr als bei den meisten Vermögensverwaltern. Unsere Prognosemodelle basieren auf dem Wrightschen Gesetz, das von einem Ingenieur aus den Anfängen der Zivilluftfahrt stammt: Er beobachtete, dass die Kosten pro Flugzeug jedes Mal um einen konstanten Prozentsatz sanken, wenn sich die Anzahl der produzierten Flugzeuge verdoppelt hatte. Dieses Gesetz funktioniert bis heute.

Tatsächlich?

Ja, bei Elektrofahrzeugen sinken die Kosten nach einer Verdoppelung der produzierten Menge um 28 Prozent, bei Industrierobotern um 50 Prozent. Wirklich beeindruckend ist der Rückgang der Kosten aber bei der künstlichen Intelligenz: Bei einer Verdoppelung der Datenmenge pro Einheit Rechenleistung sinken die Kosten für das Training von KI-Modellen um 75 Prozent. Und das innerhalb von weniger als einem Jahr. Das gibt Ihnen ein Gefühl dafür, wie deflationär technologiegestützte Innovationen wirken. Ich glaube deshalb: Die weltweiten Inflationssorgen werden sich in Luft auflösen.

Das klingt jetzt sehr optimistisch.

Nicht für alle. Natürlich bedeutet disruptive Innovation auch kreative Zerstörung. Wir sind zum Beispiel überzeugt: Benzinbetriebene Autos werden in etwa fünf Jahren überflüssig sein. Denn für jeden Dollar Kostenrückgang wird die Nachfrage nach Elektroautos um einen bestimmten Prozentsatz zunehmen.

Aber die Wachstumsraten von E-Autos gehen derzeit in vielen Ländern zurück.

In den Anfängen des Mobiltelefons gab es auch Vorhersagen, dass es weltweit nie viel mehr als eine Million Geräte geben werde. Heute sind es mehrere Milliarden. Es geht bei unseren Prognosemodellen darum, ein Gefühl dafür zu bekommen, wie schnell die Kosten sinken werden, wie schnell sich die Technologie verbreiten wird und wie gross deren Marktchancen sind.

Die Aktien in Ihren Fonds haben im Durchschnitt sehr hohe Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV). Wer investiert, spekuliert auf ein sehr hohes Gewinnwachstum.

Wie gesagt: Wir haben einen Anlagehorizont von fünf Jahren. Wir gehen davon aus, dass sich die Bewertungskennzahlen in den kommenden Jahren in Richtung Marktdurchschnitt bewegen werden.

Beim Chiphersteller Nvidia wurde es aber auch Ihnen ungeheuer: Sind Sie aufgrund der hohen Bewertung vorschnell ausgestiegen?

Es wurde viel über unsere Geschichte mit Nvidia berichtet. Ein Grossteil der Berichterstattung unterlag aber einem grossen Missverständnis: Wir haben über viele Jahre in Nvidia investiert. Unsere erste Analystin erkannte schon 2014, dass die Grafikprozessoren von Nvidia quasi zum Gehirn von autonomen Fahrzeugen würden. Damals sprach noch niemand anderes von dieser Möglichkeit, nicht einmal Nvidia selbst.

Weshalb sind Sie ausgestiegen?

Wir haben einen grossen Teil der Wertsteigerung mitgemacht und besitzen die Aktie immer noch in einigen spezialisierten Fonds. Wir haben eine fast hundertfache Wertsteigerung erzielt. Wir wollten unser KI-Engagement letztlich auch stärker in den Softwarebereich verlagern.

Die Bewertung spielte keine Rolle?

Nvidia übertraf unsere Ziele bei weitem. Dennoch gingen wir davon aus, dass Softwareunternehmen im KI-Bereich längerfristig mehr Rendite bringen würden. Nvidia ist eher im Hardware-Bereich tätig.

Kürzlich haben Sie Tesla als «grösstes KI-Projekt» der Welt bezeichnet. Warum?

Wir gehen davon aus, dass um autonome Robo-Taxis bis in zehn Jahren ein riesiger Markt entstehen wird. Tesla wird Robo-Taxi-Betreibern die Plattform dafür zur Verfügung stellen. Schon heute hat Tesla in den Vereinigten Staaten acht Millionen Fahrzeuge mit Full Self-Driving auf der Strasse, die ständig Daten sammeln. Tesla hat mehr Fahrdaten als jedes andere Unternehmen der Welt. Das ist eine riesige Chance.

Reicht es, um gegen günstigere chinesische Konkurrenten wie BYD zu bestehen?

Ja. Das zeigt sich auch daran, dass Elon Musk vor wenigen Tagen nach China eingeladen wurde. Der Tech-Konzern Baidu geht eine Partnerschaft mit Tesla ein, weil Tesla etwas hat, was sie nicht haben: Und das sind Fahrdaten. Ich halte das für eine grossartige Entwicklung: Trotz allen geopolitischen Problemen sprechen wir bei der Innovation dieselbe Sprache wie die Chinesen. Innovation bringt die Menschen zusammen.

Dennoch ist der Aktienkurs von Tesla ist in den letzten Jahren stark gesunken.

Als die Tesla-Aktien Ende 2021 300 bis 400 Dollar erreichten, haben wir unser Engagement verkleinert. Als der Kurs fiel, kauften wir aber wieder zu. Für beide Entscheidungen wurden wir kritisiert. Ich halte das Potenzial von Tesla immer noch für enorm: Die gesamten Betriebskosten für Elektrofahrzeuge über die ganze Lebenszeit sind unter die von benzinbetriebenen Fahrzeugen gefallen. Entscheidend sind die Verkaufspreise, und diese sind immer noch eher hoch. Elon hat diese deshalb gesenkt, damit die Autos von Tesla erschwinglich bleiben. Er hat die Margen gesenkt, verdient aber immer noch Geld.

Eine tiefere Marge bedeutet, dass er bedeutend mehr Fahrzeuge verkaufen muss, um gleich viel zu verdienen.

Das wird er auch. Das Model Y ist das meistverkaufte Auto der Welt, mit einem Durchschnittspreis von 45 000 Dollar. Wenn die Preise für Elektroautos auf 30 000, dann 20 000 Dollar fallen, wird die Nachfrage explodieren.

Ihre Fonds sind sehr volatil. Es gibt herausragende Jahre, aber auch miserable. Wie gehen Sie als Investorin damit um?

Es ist so: Die vergangenen Jahre waren aufgrund der massiven Zinserhöhungen sehr schwierig für uns. Auch Anleihen lieferten die schlechtesten Renditen seit den 1700er Jahren. Unsere jährliche Rendite liegt seit der Auflegung bei etwa 10 Prozent. Unser Ziel einer jährlichen Rendite von 15 Prozent haben wir damit noch nicht erreicht. Aber wir arbeiten hart daran.

Sie hoffen auf die Zinswende.

Letztes Jahr erhielten wir einen Vorgeschmack darauf. Viele dachten: «Hey, vielleicht haben die Zinssätze ihren Höhepunkt erreicht.» Unser Hauptfonds ist 2023 um 68 Prozent gestiegen, während der Nasdaq 55 Prozent schaffte. Wir haben das ohne die «Magnificent 6»-Aktien geschafft. Wenn die Zinssätze tatsächlich sinken, werden unsere Fonds sehr gut abschneiden.

Es gab aber bedeutende Abflüsse aus Ihren Fonds in den Vereinigten Staaten. Ist das der Grund, warum Sie jetzt nach Europa expandieren?

Nein. Wir wollen nach Europa, weil wir festgestellt haben, dass ein Viertel der Leser unserer Research-Berichte aus Europa kommt. Die häufigste Frage, die wir in der Vergangenheit von Europäern bekamen, lautete: Warum kann ich Ihre Fonds nicht kaufen?

Und die Abflüsse?

Die Abflüsse waren hauptsächlich auf Gewinnmitnahmen zurückzuführen. Unser Bitcoin-ETF hat einen grossen Teil der Verluste wieder ausgeglichen. Wir haben das Schlimmste hinter uns. Wenn die Zinsen sinken, sind wir in einer hervorragenden Ausgangslage.

Stichwort Bitcoin: Die Kryptowährung hat seit Anfang Jahr noch einmal um über 40 Prozent zugelegt. Wo sehen Sie das weitere Kurspotenzial nach dem Halving im April?

Wir haben schon in Bitcoin investiert, als er erst 250 Dollar wert war. Wir befinden uns mitten in einem Bullenmarkt für Bitcoin und andere digitale Vermögenswerte. Nicht einmal die Hälfte der Hausse ist durch. Grosse Investoren fangen erst jetzt an, Krypto als neue Anlageklasse zu sehen. Es ist ihre treuhänderische Pflicht, dies zu tun. Blockchain ist eine Technologie, die das Internet vervollständigt.

Werden die Blockchain-Technologie und der Bitcoin das traditionelle Finanzwesen ersetzen?

Die Blockchain-Technologie wird eine Menge Zwischenhändler ausschalten. Finanzinstitute können damit ihre Kosten stark senken.

Wird es noch einen Markt für traditionelle Schweizer Banken geben?

Die Blockchain-Technologie wird sich vor allem in Schwellenländern schnell ausbreiten. Wie damals, als China den Westen bei der Mobiltelefontechnologie überholte, noch bevor sich Festnetztelefonie im Land durchgesetzt hatte. Auch die Schweiz hat aufgrund ihres freundlichen regulatorischen Umfelds viele Innovatoren im Bereich der Blockchain-Technologie angezogen. Unser Partner für den Spot-Bitcoin-ETF, 21Shares, mit über drei Milliarden Dollar verwalteten Vermögen, ist in Zürich angesiedelt. Leider haben die USA viele Talente im Krypto-Bereich an die Schweiz verloren.

Gibt es andere Schweizer Tech-Firmen, auf die Sie aufmerksam wurden?

Das Biotechunternehmen Crispr Therapeutics gehört zu unseren zehn grössten Positionen. Ein grosser Teil des Geschäfts ist zwar in Boston, aber das Unternehmen ist in der Schweiz beheimatet und wurde hier gegründet. Es ist ein sehr wichtiges Unternehmen, dessen Technologie schwere Krankheiten heilen kann.

In Ihrer Zeit als Ökonomiestudentin hatten Sie einen prominenten Mentor und Professor: Arthur Laffer. Er wurde 1981 Berater von Präsident Reagan und plädierte für deutliche Steuersenkungen. Wie hat er Ihre Karriere und Ihr Denken beeinflusst?

Arthur war mein Professor an der University of Southern California und verhalf mir zu meinem ersten Job bei Capital Group. Ich verliebte mich in die Ökonomie und insbesondere in Laffers Fähigkeit, ökonomische Theorien zu erklären. Dank ihm war ich gewappnet, als ich in die reale Welt ging. Er war ein grossartiger Lehrer und Mentor. Ich habe ihm bei der Gründung von Ark Invest als Dank einen Anteil an meiner Firma gegeben. Er ist bis heute ein enger Freund.

Bei der letzten Präsidentschaftswahl haben Sie die Republikaner mit ihrem Kandidaten Donald Trump unterstützt. Stehen Sie auch bei dieser Wahl wieder hinter ihm?

Ich wähle nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ich klammere fast alle anderen Faktoren aus, weil die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes und die Anreize für Innovationen so wichtig für Wachstum und Wohlstand sind. Aus diesem Grund bin ich Donald Trump gegenüber kritischer eingestellt als in der Vergangenheit: Er will die Zölle wieder massiv anheben. Da bin ich dagegen. Zollerhöhungen sind nicht gut für die Innovation.

Sie wollen sich aber noch nicht auf einen Kandidaten festlegen.

In Trumps Umfeld zirkulieren einige Vorschläge, von denen wir nicht wissen, ob sie von Trump stammen. Anscheinend streiten seine Berater darüber. Aber einige dieser Ideen missfallen mir sehr. Ich mag Steuersenkungen. Zölle aber sind Steuererhöhungen, auch wenn sie Waren und Dienstleistungen anderer Länder betreffen. Wir brauchen günstigere Waren in den USA, besonders wenn man bedenkt, wie sich die Inflation durch die Budgets der Menschen gefressen hat.

Eine polarisierende Figur

Cathie Wood, 68, gehört zu den bekanntesten Persönlichkeiten in der Finanzwelt. Die Amerikanerin ist Gründerin und CEO von Ark Invest, einem Investmentunternehmen, das sich auf disruptive Technologien konzentriert. Wood wuchs als eines von vier Kindern irischer Immigranten auf. Sie besuchte bis 1974 eine Highschool für katholische Mädchen in Los Angeles und studierte anschliessend Betriebswirtschaft an der University of Southern California.

Im Jahr 2014 gründete Wood Ark Invest, nachdem sie drei Jahrzehnte in der Vermögensverwaltungsbranche tätig war und für Unternehmen wie Capital Group, Jennison Associates und Alliance Bernstein gearbeitet hatte. Ark Invest machte sich schnell einen Namen durch die Konzentration auf innovative Technologieaktien und das Angebot an aktiv verwalteten börsengehandelten Fonds (ETF).

Im September 2023 gab Ark Invest die Expansion nach Europa und damit verbunden die Übernahme von Rize ETF bekannt, einem in London ansässigen Fondshaus. 

Wood ist aufgrund ihrer unkonventionellen Investitionsstrategien eine umstrittene Figur. Ihre Methoden polarisieren. Sie legt ihre Transaktionen täglich offen und investiert aktiv in hoch volatile Technologieaktien. Diese Strategien haben zeitweise zu aussergewöhnlich hohen Gewinnen, aber auch zu hohen Verlusten geführt. Kritiker monieren die hohen Risiken und die hohe Abhängigkeit der Anlagestrategie von Woods persönlichem Urteil.

Trotz der Volatilität ihrer Fonds hat Wood eine treue Anhängerschaft unter jüngeren, technikaffinen Investoren. Wood gilt als politisch konservativ und religiös.

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