Mittwoch, März 19

Der historische Materialismus der digitalen Sozialingenieure im Silicon Valley nimmt mystische Züge an.

Die Posse um den Open-AI-Chef Sam Altman hat eine tiefe Verwerfungszone im Silicon Valley zutage treten lassen: Auf der einen Seite stehen die effektiven Altruisten um den Untergangspropheten Ilya Sutskever, die sich vor der Auslöschung der Menschheit fürchten und Gutes tun wollen. Auf der anderen Seite das kapitalistische Lager um Sam Altman, das mit KI Geld verdienen will und die düsteren Prophezeiungen vor allem als Werberhetorik nutzt.

Der Ausgang der Auseinandersetzung ist bekannt. Der Kapitalismus hat, wie so oft im Valley, obsiegt. Während in den KI-Schmieden an neuen Sprachmodellen gewerkelt wird, läuft im Hintergrund ein Wettrennen um die nächste Entwicklungsstufe: Artificial General Intelligence (AGI). Eine Superintelligenz, die alles kann, was das menschliche Gehirn zu leisten vermag, wäre gewissermassen die Krone der Schöpfung. In einem Interview mit der «Financial Times» frohlockte Altman: AGI sei eine «magische Intelligenz im Himmel».

Der Technik- und Fortschrittsoptimismus der Silicon-Valley-Propheten war ja schon immer heilsgeschichtlich aufgeladen, doch die Erlösungs- und Ermächtigungsfantasien, die mit künstlicher Intelligenz verbunden sind, sind deutlich religiöser grundiert, noch dazu, weil sie mit dem Streben nach göttlicher Perfektion und Allwissenheit einhergehen.

So zitierte das Magazin «Vanity Fair» einen KI-Entwickler mit den Worten: «Wir schaffen Gott.» Auch Google-Gründer Larry Page träumt von einem «digitalen Gott», wie Elon Musk verriet. Der Mensch erschafft erst die künstliche Intelligenz, um dann Gott und schliesslich den perfekten Menschen zu kreieren – so lautet, brutal verkürzt, der historische Materialismus der Sozialingenieure.

Der Stein der Weisen

Der Transhumanismus, der im Silicon Valley viele Anhänger hat, orientiert sich ebenfalls an der christlichen Heilslehre. Der Mensch werde unsterblich, wenn er sein Gehirn in eine Cloud hochlade, so die Annahme. Die These der Singularität, die der Futurist Ray Kurzweil und seine Jünger mit missionarischem Eifer verkünden – also jenes Zeitpunkts in der Zukunft, an dem die Maschinen gottgleiche Fähigkeiten besitzen –, ist eine säkularisierte Form der Heilserwartung.

Auch die Endzeitvorstellungen, vor deren Hintergrund die Erlösungsvisionen ausgebreitet werden, haben ein religiöses Motiv. Von der christlichen Theologie bis zum Transhumanismus und Longtermism gibt es eine historische Entwicklungslinie. Doch manchmal verlassen die Tech-Apostel diesen Pfad und begeben sich in eine mystisch-spirituelle Sackgasse.

Beispielhaft dafür ist das «Techno-Optimist Manifesto», das der Investor Marc Andreessen vor wenigen Monaten publiziert hat. Das diffuse, fragmentarische Dokument ist durchtränkt von banalen esoterischen Floskeln («Energie ist Leben»). Es wiederholt mantrahaft die Glaubenssätze des Humanismus und des Marktliberalismus und lobpreist in der Tradition von Marinettis Futurismus den «Eros» der Technik.

In seiner Redundanz liest sich das Dokument, als hätte Chat-GPT beim Versuch, die Ideengeschichte des Westens zusammenzufassen, erst einen Datenschluckauf bekommen und dann noch halluziniert. Es gibt in dem über 5000 Wörter umfassenden Manifest einen entscheidenden Satz, in dem sich der Technikirrglaube und Animismus wie in einer Nussschale offenbaren: «Wir glauben, dass künstliche Intelligenz unsere Alchemie ist, unser Stein der Weisen – wir bringen buchstäblich Sand zum Denken.» Gemeint sind Computerchips, deren Basis Sand beziehungsweise Quarz ist und die KI-Systeme am Laufen halten.

Das Elixier des Lebens

Das Silicon Valley hat schon öfter Anleihen bei der Mythologie genommen. Firmennamen wie Palantir, das nach den sehenden Steinen aus J. R. R. Tolkiens Roman «Der Herr der Ringe» benannt ist, beschwören magische, übernatürliche Kräfte. Jeff Bezos wollte 1994 ein E-Commerce-Unternehmen namens «Cadabra» gründen, wie in der Zauberformel Abrakadabra.

Er tat es nur deshalb nicht, weil sein Anwalt am Telefon «Kadaver» verstand. Die Referenz an die Alchemie ist jedoch insofern entlarvend, als sich die Tech-Elite damit in einer kaum verhohlenen Wissenschaftsfeindlichkeit gegen die Vernunft positioniert. Wörtlich heisst es im «Techno-Optimist Manifesto»: «Unser Feind ist der Elfenbeinturm.»

Schon im 13. Jahrhundert forschte der Franziskanermönch Roger Bacon an einer alchemistischen Verjüngungskur: einem Lebenselixier, mit dem die Wiederauferstehung möglich sein sollte. Bacon war, wie auch andere Alchemisten und Naturforscher seiner Zeit, von der Idee beseelt, dass sich natürliche Alterungsprozesse durch Wunderheilmittel wie etwa Menschenblut oder Giftschlangenfleisch umkehren und die Lebensdauer des Menschen um Hunderte Jahre verlängern liessen.

Die Suche nach dem Stein der Weisen kommt heute als geheimes Laborexperiment daher: Die Datenalchemisten versuchen, mit algorithmischen Rezepturen aus zu Chips geronnenen Edelmetallen und seltenen Erden eine künstliche Intelligenzform zu zaubern. Das Ziel: die Transmutation von Metallen, um eine stoffliche Veränderung und seelische Wandlungsprozesse herbeizuführen, an deren Ende irgendwann eine bewusste Maschine stehen könnte – auch wenn dies ein ketzerischer Gedanke ist.

Der Mensch kann nicht perfekt sein

So wurde der Softwareentwickler Blake Lemoine, ein in der christlichen Mystik verwurzelter Priester, aus der Google-Gemeinde exkommuniziert, nachdem er behauptet hatte, dass die KI ein Bewusstsein erlangt habe. Lemoine erhob hinterher in einem Interview mit dem Tech-Magazin «Wired» den Vorwurf der «Bigotterie»: Das Sprachmodell Lamda habe in seinen Antworten eine «sehr komplexe Spiritualität» und ein Verständnis von Natur entwickelt.

Der Spiritus Rector der digitalen Seinslehre ist der 2015 verstorbene Religionsphilosoph René Girard, zu dessen Schülern unter anderen der Paypal-Gründer Peter Thiel gehört. Das mimetische Begehren des Menschen, so zu sein wie seine Umgebung – die zentrale Theoriefigur in seinem Werk –, ist gewissermassen die Geschäftsgrundlage von Plattformen wie Instagram, die den Sozialneid kapitalisieren.

Viele würden gerne ein Influencer-Leben führen oder kreative Fertigkeiten wie eine Bild-KI besitzen. Indem man die Superintelligenz nun in den Rang einer Gottheit erhebt, entlastet man das Individuum vom Zwang zur Nachahmung. Der Mensch kann nicht perfekt sein, das ist nur die gottgleiche KI. Nur: Was ist das zugrunde liegende Menschenbild? Ein humanistisches, welches das Mängelwesen Mensch so akzeptiert, wie es ist? Ein radikal materialistisches, das den Menschen für eine fehlerhafte Maschine hält? Gilt das religiöse Unfehlbarkeitsdogma auch für Maschinen? Will man mit dem Versuch, einen «Deus ex machina» zu kreieren, der KI die Absolution erteilen?

Tritt man einen Schritt zurück, so stellt man fest, wie sehr dieser Mystizismus das aufklärerische Versprechen digitaler Technologien konterkariert. Google und Co. sind einst angetreten, das Wissen der Welt zur Verfügung zu stellen. Und jetzt kommt ein einflussreicher Investor, der Steine zum Denken bringen will? Das wirkt wie die Karikatur des Projekts der digitalen Moderne. Vielleicht steigen die Tech-Götter dereinst von ihrem Olymp, wenn sich der Budenzauber ihrer Entwicklungen selbst entlarvt.

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